Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachversicherung bei der VBL nach Betriebsübergang

 

Leitsatz (amtlich)

  • Scheidet ein Arbeitnehmer vor Eintritt des Versorgungsfalles mit einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft aus dem Arbeitsverhältnis aus, so ist die Anwartschaft vom Arbeitgeber nach § 2 BetrAVG anteilig zu berechnen und mit ihrem Teilwert aufrechtzuerhalten.
  • Diese Pflicht hat auch ein öffentlicher Arbeitgeber, der in eine von einem privaten Arbeitgeber begründete Versorgungsverpflichtung nach § 613a BGB eingetreten ist. Eine Nachversicherung des ausgeschiedenen Arbeitnehmers bei einer Zusatzversorgungseinrichtung des öffentlichen Dienstes nach § 18 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 6 BetrAVG durch den öffentlichen Arbeitgeber kommt in diesem Fall nicht in Betracht.
 

Normenkette

BetrAVG §§ 1-2, 18 Abs. 1 Nr. 6; BetrAVG Abs. 6; BGB § 613a

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 10.07.1991; Aktenzeichen 5 Sa 1061/88)

ArbG München (Urteil vom 28.06.1988; Aktenzeichen 19 Ca 7336/87)

 

Tenor

  • Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 10. Juli 1991 – 5 Sa 1061/88 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte für den Kläger eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft nach § 2 BetrAVG aufrechterhalten muß oder ihn bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei einer Zusatzversorgungseinrichtung des öffentlichen Dienstes nach § 18 Abs. 6 BetrAVG nachversichern durfte.

Der am 1. Januar 1941 geborene Kläger war seit 1. Januar 1972 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der B… Aktiengesellschaft (BRZ-AG) beschäftigt. Durch Dienstvertrag vom 1. Januar 1979 wurde er zum Leiter der Programmierung bestellt. Gleichzeitig sagte die Arbeitgeberin ihm eine Alters- und Hinterbliebenenversorgung zu. Näheres war in entsprechenden Versorgungsverträgen geregelt. Danach sollte das Ruhegeld dienstzeit- und endgehaltsabhängig berechnet werden.

Am 1. Januar 1986 übernahm die Beklagte, eine in Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts betriebene Genossenschaftsbank, die BRZ-AG. Die Beklagte teilte dem Kläger mit, sie trete als Betriebserwerberin in die Rechte und Pflichten aller im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse der BRZ-AG ein. Der Kläger hat dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht widersprochen. Zum 31. Dezember 1986 schied er bei der Beklagten aufgrund eigener Kündigung aus.

Der Kläger verlangte von der Beklagten Auskunft über die Höhe der während des Arbeitsverhältnisses erworbenen unverfallbaren Versorgungsanwartschaft gemäß § 2 Abs. 6 BetrAVG. Die Beklagte bestätigte dem Kläger die Unverfallbarkeit seiner Anwartschaft und teilte ihm mit, sie werde ihn bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) nach § 18 BetrAVG nachversichern. Damit ist der Kläger nicht einverstanden.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe durch die Versorgungszusage der privatrechtlich organisierten BRZ-AG einen Anspruch auf Altersversorgung erworben. Dieser Anspruch sei unverändert auf die Beklagte als Betriebserwerberin nach § 613a BGB übergegangen. Auf die Versorgungszusage eines privaten Arbeitgebers könne § 18 BetrAVG nicht angewendet werden. Die Beklagte sei daher verpflichtet, seine unverfallbare Versorgungsanwartschaft nach § 2 BetrAVG aufrechtzuerhalten.

Der Kläger hat beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft zu erteilen über die Höhe der entsprechend dem Alters- und Hinterbliebenenversorgungsvertrag der B… AG in der Zeit vom 1. Januar 1979 bis 31. Dezember 1986 erworbenen unverfallbaren Versorgungsanwartschaft;
  • festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm bei Eintritt des Versorgungsfalls eine dieser Auskunft entsprechende Betriebsrente zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, als Körperschaft des öffentlichen Rechts sei sie verpflichtet, den Kläger bei seinem Ausscheiden nach § 18 Abs. 6 BetrAVG nachzuversichern. § 613a BGB schließe eine spätere Veränderung des Versorgungsanspruchs nicht aus. Eine solche Veränderung sei durch die Tatsache begründet worden, daß der Kläger in ein Arbeitsverhältnis zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts getreten sei, was – im Falle seines Ausscheidens – die Notwendigkeit einer Nachversicherung bei der VBL bedingt habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, die Versorgungsanwartschaft des Klägers nach § 2 Abs. 1 BetrAVG aufrechtzuerhalten und ihm nach § 2 Abs. 6 BetrAVG die begehrte Auskunft über die Höhe der Anwartschaft zu erteilen.

I. Der Kläger besaß bei seinem Ausscheiden aus den Diensten der Beklagten eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft.

1. Nach § 1 Abs. 1 BetrAVG wird eine Versorgungsanwartschaft unverfallbar, wenn der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses das 35. Lebensjahr vollendet hat und die Versorgungszusage mindestens drei Jahre bestanden hat und der Beginn der Betriebszugehörigkeit mindestens zwölf Jahre zurückliegt. Der Kläger war bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses 45 Jahre. Das Arbeitsverhältnis dauerte 15 Jahre. Die Versorgungszusage bestand für den Kläger acht Jahre.

2. Für den Eintritt der Unverfallbarkeit kommt es nicht darauf an, daß die Versorgungszusage dem Kläger von der Rechtsvorgängerin der Beklagten erteilt wurde. Gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der Erwerber eines Betriebes in alle Rechte und Pflichten aus den zur Zeit des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Das gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch für die bestehenden Versorgungsanwartschaften (statt aller: BAGE 62, 224, 229 f. = AP Nr. 10 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, zu III 1 der Gründe). Soweit die Unverfallbarkeit einer Versorgungsanwartschaft von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängt, müssen bei einem Betriebsinhaberwechsel die Beschäftigungszeiten beim Veräußerer und beim Erwerber zusammengerechnet werden (BAGE 44, 7 = AP Nr. 35 zu § 613a BGB).

II. Der Kläger kann verlangen, daß seine Versorgungsanwartschaft zeitanteilig nach § 2 Abs. 1 BetrAVG berechnet und in dieser Form erhalten bleibt. Durch eine Nachversicherung bei der VBL genügt die Beklagte ihrer Versorgungsverpflichtung nicht.

1. Scheidet ein Arbeitnehmer vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis aus, so hat der Arbeitgeber eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft nach Maßgabe des § 2 BetrAVG (Teilwert) aufrechtzuerhalten. Diese Vorschrift gilt jedoch nicht in den in § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 BetrAVG beschriebenen Fällen. Hier tritt an die Stelle der Teilwertsicherung nach § 2 BetrAVG die Nachversicherung nach § 18 Abs. 6 BetrAVG. Diese unterschiedliche Behandlung unverfallbarer Anwartschaften, einerseits die Aufrechterhaltung nach Maßgabe des § 2 BetrAVG, andererseits die Nachversicherung bei einer Zusatzversorgungseinrichtung des öffentlichen Dienstes nach § 18 Abs. 1 und 6 BetrAVG, ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Der Gesetzgeber konnte im Interesse der Gleichbehandlung für alle ehemaligen Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes ein von der Privatwirtschaft abweichendes System der Bewertung und Abwicklung unverfallbarer Versorgungsanwartschaften wählen (BAGE 37, 198, 204 = AP Nr. 3 zu § 18 BetrAVG, zu I 3b der Gründe; BAGE 58, 58, 66 = AP Nr. 17 zu § 18 BetrAVG, zu III der Gründe; zuletzt Senatsurteil vom 29. August 1989 – 3 AZR 737/87 – AP Nr. 22 zu § 18 BetrAVG, zu 3 der Gründe).

2. Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Nachversicherung des Klägers bei der VBL nach § 18 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 6 BetrAVG entgegen der Ansicht der Revision nicht vor.

a) Nach § 18 Abs. 1 Nr. 6 BetrAVG gilt § 2 BetrAVG nicht für Personen, die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses zu einer Gebietskörperschaft oder einer sonstigen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts nach einer Ruhelohnordnung oder einer entsprechenden Bestimmung eine Anwartschaft auf Ruhegeld oder Ruhelohn haben und denen Hinterbliebenenversorgung gewährleistet ist. Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger nicht. Die Anwartschaft des Klägers beruht nicht auf einer Versorgungszusage eines öffentlichen, sondern auf der eines privaten Arbeitgebers, nämlich der BRZ-AG. Eine Anwartschaft besteht nur dann “aufgrund eines Arbeitsverhältnisses” zu den in § 18 Abs. 1 Nr. 6 BetrAVG genannten öffentlichen Arbeitgebern, wenn die Versorgung von einem solchen Arbeitgeber zugesagt wurde.

b) Die unterschiedliche Behandlung der Anwartschaft, je nachdem ob sie auf eine Zusage eines öffentlichen oder eines privaten Arbeitgebers zurückzuführen ist, hat ihren Grund in den unterschiedlichen Interessenlagen und dem damit zusammenhängenden Vertrauensschutz. Ein Arbeitnehmer, der von einem öffentlichen Arbeitgeber eine Versorgungszusage erhält, kann bei seinem vorzeitigen Ausscheiden nur mit einer Nachversicherung bei einer Zusatzversorgungseinrichtung des öffentlichen Dienstes nach § 18 Abs. 6 BetrAVG rechnen. Dagegen kann ein Arbeitnehmer, der von einem privaten Arbeitgeber eine Versorgungszusage erhalten hat, darauf vertrauen, daß bei seinem Ausscheiden mit einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft die Anwartschaft mit ihrem Teilwert aufrechterhalten bleibt.

c) Diese Auslegung des § 18 Abs. 1 Nr. 6 BetrAVG steht auch mit dem Sinn und Zweck des § 613a BGB im Einklang. § 613a BGB ist ein Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmer (vgl. BAGE 35, 104, 108 = AP Nr. 24 zu § 613a BGB, zu 2b der Gründe). Die Vorschrift soll den Arbeitnehmer vor rechtlichen Nachteilen durch einen Betriebsübergang schützen. Mit dieser Schutzfunktion wäre es nicht zu vereinbaren, wenn ein öffentlicher Arbeitgeber, der durch eine Betriebsübernahme für eine in der Privatwirtschaft erteilte Versorgungszusage nach § 613a BGB einzustehen hat, nicht wie ein privater Arbeitgeber bei Ausscheiden des Arbeitnehmers die unverfallbare Versorgungsanwartschaft nach den Grundsätzen des § 2 BetrAVG sichern müßte.

d) Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, bei ihr gebe es eine Ruhelohnordnung bzw. eine entsprechende Regelung im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 6 BetrAVG. Es kann offen bleiben, ob eine solche Ruhelohnordnung bei der Beklagten besteht (zu deren Voraussetzungen vgl. Urteil des Senats vom 29. August 1989 – 3 AZR 737/87 – AP Nr. 22 zu § 18 BetrAVG). Die Zusage des Klägers beruht nicht auf dieser Ruhelohnordnung. Auch durch den Betriebsübergang wird die Ruhelohnordnung für die Anwartschaft des Klägers nicht maßgeblich. Die nach dem Ausscheiden des Klägers geschlossene Betriebsvereinbarung zur Harmonisierung der betrieblichen Altersversorgung der ehemaligen Mitarbeiter der BRZ-AG und der übrigen Mitarbeiter der Beklagten hat die Anwartschaft des Klägers nicht berührt. Das beendete Arbeitsverhältnis wird von einer nachfolgenden Betriebsvereinbarung nicht erfaßt (vgl. BAGE 45, 178 = AP Nr. 10 zu § 1 BetrAVG).

 

Unterschriften

Dr. Heither, Griebeling, Dr. Wittek, Dr. Bächle, Arntzen

 

Fundstellen

Haufe-Index 846732

NZA 1993, 645

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