Leitsatz (amtlich)

Der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 6 ZPO ist gegeben, wenn der Zustimmungsbescheid der Hauptfürsorgestelle zur Kündigung eines Schwerbehinderten nach § 12 SchwbG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren rechtskräftig aufgehoben wird, zuvor aber das Arbeitsgericht wegen der Zustimmung die Wirksamkeit der Kündigung festgestellt hat.

 

Normenkette

ZPO § 580 Nr. 6, § 148; ArbGG 1979 § 79; SchwbG § 12

 

Verfahrensgang

LAG Bremen (Urteil vom 20.12.1979; Aktenzeichen 3 Sa 76/79)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 20. Dezember 1979 – 3 Sa 76/79 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision trägt die Beklagte.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Restitutionskläger ist als Schwerbehinderter anerkannt. Er war seit April 1974 als technischer Angestellter beim Restitutionsbeklagten tätig und zuletzt als Leiter des Bauhofs in die Vergütungsgruppe IVa BAT eingestuft.

Nachdem die Hauptfürsorgestelle einer ordentlichen Kündigung des Restitutionsklägers zugestimmt hatte, kündigte die Restitutionsbeklagte das Arbeitsverhältnis am 28. Februar 1975 fristgerecht zum 31. März 1975.

Hiergegen wandte sich der Restitutionskläger mit der Kündigungsschutzklage und legte gegen den Bescheid der Hauptfürsorgestelle Widerspruch ein.

Die Kündigungsschutzklage des Restitutionsklägers blieb beim Arbeitsgericht ohne Erfolg. Die Berufung des Restitutionsklägers hat das Landesarbeitsgericht am 30. Januar 1976 zurückgewiesen. Beide Instanzen haben von einer Aussetzung des Verfahrens wegen des schwebenden Widerspruchverfahrens abgesehen. Der Kläger hat gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts kein Rechtsmittel eingelegt.

Mit Bescheid vom 2. November 1976 hat die Hauptfürsorgestelle den Widerspruch des Restitutionsklägers zurückgewiesen. Auf dessen Anfechtungsklage hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 20. Februar 1979 den Bescheid der Hauptfürsorgestelle aufgehoben. Dieses dem Restitutionskläger am 8. März 1979 zugestellte Urteil ist rechtskräftig.

Am 30. März 1979 hat der Restitutionskläger beim Landesarbeitsgericht Restitutionsklage mit dem Antrag erhoben, die vorangegangenen arbeitsgerichtlichen Urteile aufzuheben und festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden sei.

Die Restitutionsbeklagte hält die Restitutionsklage für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.

Das Landesarbeitsgericht hat der Restitutionsklage stattgegeben.

Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Restitutionsbeklagte ihren Antrag auf Abweisung der Restitutionsklage weiter. Der Restitutionskläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist kraft Zulassung statthaft (§§ 79, 72 Abs. 1 ArbGG 1979, 591 ZPO), aber unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Restitutionsklage zu Recht stattgegeber Diese ist zulässig und auch begründet.

I. Gemäß § 79 ArbGG 1979 in Verbindung mit § 589 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist von Amts wegen zu prüfen, ob die Restitutionsklage an sich statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist erhoben worden ist. Diese Prüfung ist auch noch in der Revisionsinstanz vorzunehmen (BAG, ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 6, 96 = AP Nr. 4 zu § 580 ZPO).

1. Die Restitutionsklage ist an sich statthaft, da sie sich gegen ein rechtskräftiges Endurteil richtet (§ 578 Abs. 1 ZPO) Das ist im vorliegenden Fall das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 30. Januar 1976.

2. Die Restitutionsklage ist rechtzeitig erhoben. Sie muß gemäß § 586 Abs. 1 und 2 ZPO binnen einer Notfrist von einem Monat nach Kenntnis der Partei von dem Restitutionsgrund erhoben werden, jedoch nicht später als fünf Jahre nach der Rechtskraft des Urteils. Der geltend gemachte Restitutionsgrund ist die Aufhebung des Zustimmungsbescheids der Hauptfürsorgestelle durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts. Der Restitutionskläger hat binnen einem Monat nach Zustellung dieses Urteils beim dafür zuständigen Landesarbeitsgericht (§ 584 ZPO Restitutionsklage erhoben, die auch den weiteren Voraussetzungen des § 587 ZPO entspricht.

3. Schließlich gehört zur Zulässigkeit der Restitutionsklage der Vortrag einer der gesetzlichen Restitutionsgründe des § 586 ZPO. Auch diese Voraussetzung ist hier gegeben. Der Restitutionskläger beruft sich auf das rechtskräftige Urteil des Oberverwaltungsgerichts, das den Zustimmungsbescheid der Hauptfürsorgestelle aufgehoben hat.

II. § 79 ArbGG in Verbindung mit § 580 Nr. 6 ZPO eröffnet auch dann die Möglichkeit der Restitutionsklage, wenn ein Verwaltungsakt, der Wirksamkeitsvoraussetzung für eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung ist, durch ein verwaltungsgerichtliches Urteil aufgehoben wird und hierdurch die Grundlage für die frühere arbeitsgerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit dieser Willenserklärung entfällt (vgl. schon BAG, Urteil vom 25. November 1971, AP Nr. 41 zu § 3 KSchG unter Ziff. 6 der Gründe und BGH, Urteil vom 19. September 1963, AP Nr. 27 zu § 14 SchwBeschG Ziff. I 3b der Gründe).

1. Der Restitutionskläger konnte den Restitutionsgrund in dem früheren arbeitsgerichtlichen Verfahren noch nicht geltend machen. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Voraussetzung des § 582 ZPO für gegeben angesehen. Der Restitutionskläger war ohne Verschulden außerstande, den Restitutionsgrund in dem Kündigungsschutzprozeß geltend zu machen. Zwar war den Parteien des Arbeitsgerichtsververfahrens bekannt, daß gegen die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle Widerspruch eingelegt worden war, über den bis zur Entscheidung des Landesarbeitsgerichts noch nicht entschieden war. Das Berufungsgericht hat eine Aussetzung des Kündigungsschutzprozesses nach § 148 ZPO zwar erwogen, aber im Ergebnis wegen der “eindeutigen Rechtslage” abgelehnt. Auf diese Verfahrensweise hatte der Restitutionskläger keinen Einfluß.

Solange die “Zweigleisigkeit” des Rechtsweges bei der Kündigung von Schwerbehinderten besteht, muß immer mit divergierenden Entscheidungen der Arbeitsgerichte und der Verwaltungsgerichte gerechnet werden. Das bedingt nach Auffassung des Senats die Notwendigkeit der Aussetzung eines Kündigungsschutzprozesses, wenn die erteilte Zustimmung der Hauptfürsorgestelle angefochten wird (vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 148 ZPO und AP Nr. 41 zu § 3 KSchG [unter 5 der Gründe]); unterbleibt eine Aussetzung des Verfahrens, so könnte nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO selbst mit einer Restitutionsklage nicht mehr geholfen werden, wenn der Zustimmungsbescheid aufgehoben wird (Jung-Cramer, SchwbG, 2. Aufl., § 13 RdNr. 20; Wilrodt-Neumann, SchwbG, 5. Aufl., § 12 RdNr. 24; Rewolle, DB 1975, 1123; Otto, DB 1975, 1554; Schnorr von Carolsfeld, Anm. II 3 zu AP Nr. 41 zu § 3 KSchG; a.M. Gröninger, SchwbG, § 12 Anm. 7a; LAG Rheinland-Pfalz, NJW 1978, 2263 mit zust. Anm. von Rotter, NJW 1979, 1319). Die Aussetzung eines Verfahrens nach § 148 ZPO liegt aber im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, auf das die Parteien nur einen begrenzten Einfluß haben. Insbesondere wird überwiegend die Auffassung abgelehnt, mit der Revision könne eine Verletzung des § 148 ZPO gerügt werden (vgl. BAG aaO und AP Nr. zu § 394 BGB; BGH LM Nr. 1 zu § 252 ZPO und AP Nr. 27 zu § 14 SchwBeschG, Ziff. III 1 der Gründe). Den Restitutionskläger trifft also kein Verschulden hinsichtlich der unterbliebenen Aussetzungen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens.

2. Der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 6 ZPO ist bei der hier zu entscheidenden Fallgestaltung gegeben. Nach dieser Vorschrift findet zwar die Restitutionsklage nur statt, wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist. Die Bestimmung ist aber auch auf den Fall anzuwenden, daß ein Urteil auf einem Verwaltungsakt beruht, der später durch ein rechtskräftiges verwaltungsgerichtliches Urteil aufgehoben wird.

a) Nach § 12 SchwbG bedarf die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle. Liegt sie nicht vor, so ist die Kündigung von vornherein unwirksam. Die spätere Aufhebung des Zustimmungsbescheids hat rückwirkende Kraft (BVerwG, AP Nr. 16 zu § 14 SchwBeschG; Jung-Cramer, aaO, § 12 RdNr. 14; Rewolle, DB 1975, 1120), das heißt, die früher erteilte Zustimmung ist als nicht vorhanden anzusehen.

b) Damit ist die Grundlage für die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts infolge der rechtskräftigen Aufhebung des zustimmenden Verwaltungsaktes der Hauptfürsorgestelle entfallen. Erst die nicht sozialwidrige Kündigung eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber und die wirksame Zustimmung zu dieser Kündigung durch die Hauptfürsorgestelle zusammen können zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen. Wird die der Entscheidung im Kündigungsschutzprozeß zugrundeliegende Zustimmung zur Kündigung im verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsverfahren aufgehoben, so ist dies dem des Urteils eines Verwaltungsgerichts gleichzusetzen, auf welchen das mit der Restitutionsklage anzufechtende Urteil “gegründet” ist. Das erfordert der dem § 580 Nr. 6 ZPO zugrundeliegende Gedanke der Einheit der rechtsprechenden Gewalt. Divergierende Entscheidungen der verschiedenen Zweige der Gerichtsbarkeit sollen vermieden werden. § 580 Nr. 6 ZPO hat jedenfalls seit der Novellierung der Zivilprozeßordnung im Jahre 1933 (RGBl. I S. 783) mit seiner Erstreckung des Restitutionsgrundes der Nr. 6 außer auf strafgerichtliche Urteile auch auf die nunmehr dort weiter genannten Entscheidungen den Grundsatz zum Inhalt, daß Urteile trotz ihrer Rechtskraft mit der Restitutionsklage angegriffen werden können, wenn deren Richtigkeit so sehr in Frage gestellt ist, daß es nicht angeht, dies auf sich beruhen zu lassen (Stein-Jonas-Grunsky, ZPO, 20. Aufl., § 580 Anm. I 1, III). Die Restitutionsklage soll verhindern, daß die Autorität der Gerichte und das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung dadurch beeinträchtigt wird, daß rechtskräftige Urteile nicht überprüft werden können, obwohl ihre Grundlagen für jedermann erkennbar in einer für das allgemeine Rechtsgefühl unerträglichen Weise erschüttert sind (vgl. BGHZ 57, 211 [215]). Dieser übergeordnete Gesichtspunkt gilt auch für einen Verwaltungsakt, von dem die Wirksamkeit einer privaten Willenserklärung abhängt.

Die hier vertretene Auffassung wird im Schrifttum zum Schwerbehindertenrecht hinsichtlich des Zustimmungsbescheids einhellig vertreten (Wilrodt-Neumann, SchwbG, 5. Aufl. (1980) § 12 RdNr. 24 m.w.N.; Jung-Cramer, SchwbG, 2. Aufl. (1980), § 12 RdNr. 20; Gröninger, SchwbG (Stand 1980), § 12 Anm. 7a; Rewolle, SchwbG (Stand 1980), § 18 Anm. III; ders. DB 1975, 1224), darüber hinaus auch für Verwaltungsakte schlechthin (Baumbach-Lauterbach, ZPO, 38. Aufl., § 580 RdNr. 3; Zöller, ZPO, 12. Aufl., § 580 Anm. II b; Thomas-Putzo, ZPO, 11. Aufl. § 580 RdNr. 2 zu Ziff. 6; Stein-Jonas-Grunsky, aaO, § 580 Rdnrn. 1,20; Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 11. Aufl., § 161 II 3; Haueisen, NJW 1965, 1214).

c) Machen die Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit von der gebotenen Möglichkeit, den Kündigungsschutzprozeß gemäß § 148 ZPO auszusetzen (vgl. oben Ziff. II 1 der Gründe) keinen Gebrauch, so sind sie an den zunächst einmal vorhandenen zustimmenden Verwaltungsakt der Hauptfürsorgestelle gebunden. Die Nachprüfungsmöglichkeit der Arbeitsgerichte erstreckt sich nach allgemeiner Auffassung nicht auf die materielle Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, sondern nur auf dessen Vorhandensein, einschließlich der Prüfung, ob etwa der Ausnahmefall eines nichtigen Verwaltungsaktes gegeben ist. In allen anderen Fällen hat die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses, die auch von der Hauptfürsorgestelle selbst nicht widerrufen, sondern nur im Widerspruchs- und Verwaltungsklageverfahren überprüft und aufgehoben werden kann (Wilrodt-Neumann, aaO, § 12 Rdnr. 80), Tatbestandswirkung und muß von den Gerichten für Arbeitssachen ohne weitere Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes ebenso hingenommen werden, wie unter anderem das Urteil eines Verwaltungsgerichts (Wilrodt-Neumann, aaO, § 37 RdNr. 11 mit weiteren Nachweisen; BAG AP Nr. 4 zu § 2 SchwBeschG). Das Landesarbeitsgericht mußte daher hier von de Wirksamkeit der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur Kündigung ausgehen, wie auch ausdrücklich in den Entscheidungsgründen nach Prüfung der Frage der sozialen Rechtfertigung der Kündigung ausgeführt wurde. Damit ergibt sich zwingend, daß das mit der Restitutionsklage angegriffene Urteil auf die nachträglich aufgehobene Zustimmung zur Kündigung gegründet war. Auch die weitere Voraussetzung des § 580 Nr. 6 ZPO, die Rechtskraft des den Verwaltungsakt aufhebenden Urteils, ist hier gegeben.

III. Schließlich hat das Landesarbeitsgericht auch zu Recht festgestellt, daß die Kündigung der Beklagten vom 28. Februar 1975 das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat. Die Kündigung war, ohne daß es auf weitere Gesichtspunkte noch ankäme, mangels Zustimmung der Hauptfürsorgestelle gemäß § 12 SchwbG von Anfang an unwirksam (vgl. die Ausführungen unter II 2a der Gründe). Das bedingt die ersetzende Entscheidung zugunsten des Restitutionsklägers.

IV. Die Kostenentscheidung des Landesarbeitsgerichts ist mißverständlich. Das Restitutionsverfahren wurde zwar unter einem neuen Aktenzeichen geführt. Die Kostenentscheidung ist jedoch, auch für die gesamten Kosten der Vorprozesse und des Wiederaufnahmeverfahrens, nach dessen Ergebnis einheitlich neu zu treffen, da für die Prozeßkosten das neue Verfahren als Fortsetzung des früheren angesehen wird (Baumbach-Lauterbach, aaO, § 590 Anm. 3; Zöller, aaO, § 590 Anm. II 5; Thomas-Putzo, aaO, § 590 Anm. 3). Die Restitutionsbeklagte hat also nicht nur die Kosten des Restitutionsverfahrens sondern auch die des vorangegangenen Rechtsstreits zu tragen.

 

Unterschriften

Dr. Auffarth, Dr. Leinemann, Döring, Dr. Martin

Richter am BAG Roeper befindet sich in Urlaub und ist verhindert zu unterschreiben.

Dr. Auffarth

 

Fundstellen

Haufe-Index 1766838

BAGE, 275

NJW 1981, 2023

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