Entscheidungsstichwort (Thema)

Staatenimmunität. Deutsche Gerichtsbarkeit. Angestellte der Konsulatsabteilung der belgischen Botschaft mit Unterschriftsbefugnis für Visen. Entlassung wegen Mißbrauchs des Dienstsiegels

 

Orientierungssatz

Ein ausländischer Staat ist hinsichtlich arbeitsrechtlicher Bestandsstreitigkeiten mit Konsulatsangestellten, die nach dem Inhalt ihres Arbeitsverhältnisses originär konsularische (hoheitliche) Aufgaben wahrzunehmen haben, grundsätzlich nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen.

Dies gilt auch für ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Vertragsstaat des Europäischen Übereinkommens vom 16. Mai 1972 mit einer deutschen Botschafts- bzw. Konsulatsangestellten, die nach dem Inhalt ihres Arbeitsverhältnisses originär konsularische (hoheitliche) Aufgaben wahrzunehmen hat.

 

Normenkette

GVG § 20 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 05.04.2000; Aktenzeichen 7 Sa 663/99)

ArbG Köln (Urteil vom 16.12.1998; Aktenzeichen 9 Ca 10955/97)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 5. April 2000 – 7 Sa 663/99 – wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz darüber, ob für eine Klage der Klägerin gegen eine Kündigung des beklagten Königreichs die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben ist.

Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie war seit dem 2. März 1973 Angestellte des beklagten Königreichs Belgien. Ab 5. Juli 1991 war sie im Kölner Büro der belgischen Botschaft in Bonn, zuletzt im Schalterdienst tätig. Sie war dort befugt, in der Visumabteilung des Büros Visa zu unterzeichnen. Diese Befugnis war auch nach Inkrafttreten des Schengener Abkommens nicht aufgehoben worden. Die Klägerin war weiterhin in der Liste der Unterschriftsbefugten aufgeführt und ihr blieb der Dienststempel der Botschaft überlassen.

Am 10. September 1997 benutzte die Klägerin den Dienststempel der Botschaft in einer privaten Bußgeldangelegenheit zur Täuschung. Daraufhin kündigte ihr der Botschafter mit Schreiben vom 17. November 1997 fristlos mit der Maßgabe, daß der Klägerin entsprechend der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist eine Abfindung von sieben Monatsgehältern gezahlt werden sollte.

Die Klägerin hält die Kündigung für sozialwidrig und macht insbesondere geltend, die deutsche Gerichtsbarkeit sei gegeben. Sie habe keine hoheitlichen Aufgaben wahrgenommen. Nach dem Inkrafttreten des Schengener Abkommens habe sie ihre Stellung als Ausstellerin und Unterzeichnerin von Visa verloren und andere Aufgaben innerhalb des Konsulats wahrgenommen. Obwohl ihr Name auf der Liste der Zeichnungsberechtigten nicht gestrichen worden sei, sei sie faktisch nicht mehr berechtigt gewesen, Visa zu unterzeichnen. Sei es im Ausnahmefall zur Ausstellung von Visa gekommen, so sei deren Unterzeichnung ihren Vorgesetzten vorbehalten gewesen, von denen einer immer anwesend gewesen sei. Sie habe auch tatsächlich kein einziges Visum mehr unterzeichnet. Die gegenteilige Bescheinigung des Botschafters vom 10. Dezember 1998 beruhe auf einer Falschinformation.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 17. November 1997 nicht aufgelöst worden ist.

Das beklagte Königreich hat zur Stützung seines Klageabweisungsantrags vorgetragen, die Klägerin habe – auch – hoheitliche Aufgaben zu erfüllen gehabt. Nach Inkrafttreten des Schengener Abkommens mit der daraus folgenden Einschränkung der Ausstellung von Visa habe die Klägerin die Berechtigung behalten, weiterhin Visa zu unterzeichnen, was sie im Verhinderungsfalle der in erster Linie für die Unterzeichnung von Visa zuständigen Person auch getan habe. Die Tätigkeit der Klägerin im Schalterdienst des Konsulats sei hoheitliche Tätigkeit. Am Konsulatsschalter würden vorgelegte Anträge und Formulare vor Annahme und Weiterleitung auf Zuständigkeit und Plausibilität überprüft. Bei Formularzwang werde die Verwendung der jeweils vorgeschriebenen Vordrucke kontrolliert. Unvollständige oder ergänzungsbedürftige Anträge würden von vornherein zur Ergänzung oder Vervollständigung, zur Beifügung notwendiger Nachweise oder weiterer Unterlagen zurückgegeben. Amtliche Auskünfte würden erteilt und Hinweise gegeben. Bei gebührenpflichtigen Tätigkeiten werde auf Gebührentarife für Amtshandlungen hingewiesen und das Erforderliche veranlaßt. Ein Schalterbeamter des Konsulats übe damit hoheitliche Befugnisse aus. Schon der Kündigungssachverhalt, daß nämlich die Klägerin im Namen der Botschaft unter Verwendung des ihr anvertrauten Dienstsiegels eine Behörde des Gastlandes Deutschland getäuscht habe, zeige, daß der Aufgabenbereich der Klägerin hoheitliche Tätigkeiten umfaßt habe. Über die Sanktion für ein solches Fehlverhalten habe nicht die deutsche Gerichtsbarkeit zu befinden.

Das Arbeitsgericht hat die abgesonderte Verhandlung über die Frage der deutschen Gerichtsbarkeit angeordnet und sodann die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Klägerin.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, für die von der Klägerin erhobene Kündigungsschutzklage sei die deutsche Gerichtsbarkeit ausgeschlossen. Die Klägerin habe auch noch zum Kündigungszeitpunkt hoheitliche Befugnisse des beklagten Königreichs auszuüben gehabt. Sie hätte aufgrund ihrer Unterschriftsbefugnis und des ihr zur Verfügung gestellten Dienststempels wirksam Visa erteilen können. Dies reiche aus.

II. Dem folgt der Senat. Nach § 20 Abs. 2 GVG ist die deutsche Gerichtsbarkeit nicht gegeben.

1. Nach Art. 5 Abs. 1 des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität vom 16. Mai 1972(BGBl 1990 II S 35 ff., in Kraft aufgrund des Gesetzes vom 22. Januar 1990 BGBl II S 34) kann zwar ein Vertragsstaat vor einem Gericht eines anderen Vertragsstaats Immunität von der Gerichtsbarkeit nicht beanspruchen, wenn das Verfahren einen zwischen dem Staat und einer natürlichen Person geschlossenen Arbeitsvertrag betrifft und die Arbeit im Gerichtsstaat zu leisten ist; auch die Ausnahmen des Art. 5 Abs. 2 des Übereinkommens liegen nicht vor. Daraus allein ergibt sich aber, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, noch nicht, daß das beklagte Land, das ebenfalls Vertragsstaat des Europäischen Übereinkommens ist, vor einem deutschen Gericht hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin keine Immunität von der Gerichtsbarkeit beanspruchen kann.

2. Nach Art. 32 berührt das Europäische Übereinkommen vom 16. Mai 1972 nicht die Vorrechte und Immunitäten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Aufgaben der diplomatischen Missionen und der konsularischen Vertretungen sowie der diesen angehörenden Personen. Dies stellt klar, daß das Europäische Übereinkommen vom 16. Mai 1972 die diplomatische und konsularische Immunität weder mittelbar noch unmittelbar beeinträchtigen soll. Im Falle eines Widerspruchs zwischen dem Europäischen Übereinkommen und den Bestimmungen der Wiener Übereinkommen vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen(BGBl 1964 II S 957, 1005 und 1018) und vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen(BGBl 1969 II S 1585, 1674, 1688) sollen letztere den Vorrang haben(Denkschrift zu dem Übereinkommen BT-Drucks. 11/4307 S 38). Auch ein Vertragsstaat des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität kann deshalb bei einem Rechtsstreit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einer Angestellten seiner Botschaft bzw. seines Konsulats nach den Wiener Übereinkommen und den allgemeinen Regeln des Völkerrechts in weiterem Umfang Immunität beanspruchen als bei einem sonstigen Arbeitnehmer, für den nur Art. 5 des Europäischen Übereinkommens gilt(Seidl-Hohenveldern IPRax 1993, 190 unter Bezugnahme auf die Erläuternden Bemerkungen des Europarates). Insbesondere gilt der allgemeine völkerrechtliche Grundsatz „ne impediatur legatio”, der auch im Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen verankert ist; nach dessen Art. 71 Abs. 2 darf der Empfangsstaat über andere Mitglieder der konsularischen Vertretung, etwa wenn sie Angehörige seines Staates sind, seine Hoheitsgewalt nur so ausüben, daß er die Wahrnehmung der Aufgaben der konsularischen Vertretung nicht ungebührlich behindert. Aus Art. 32 des Europäischen Übereinkommens ergibt sich, daß dieses, was Botschafts- und Konsulatsangestellte anbelangt, die Hoheitsgewalt des jeweiligen Vertragsstaates nicht weiter einschränken will, als dies nach den allgemeinen völkerrechtlichen Regeln und dem Wiener Übereinkommen bei Inkrafttreten des Europäischen Übereinkommens der Fall war. Dafür spricht ebenfalls, daß bei dem sog. Fakultativregime des Art. 24 Abs. 1 ausdrücklich geregelt ist, die Immunität von der Gerichtsbarkeit, die fremde Staaten hinsichtlich der in Ausübung der Hoheitsgewalt vorgenommenen Handlungen (acta iure imperii) hätten, blieben unberührt(vgl. auch Art. 27 Abs. 2 Halbs. 2).

3. Nach § 20 Abs. 2 GVG ist ein ausländischer Staat hinsichtlich arbeitsrechtlicher Bestandsstreitigkeiten mit Konsulatsangestellten, die nach dem Inhalt ihres Arbeitsverhältnisses originär konsularische (hoheitliche) Aufgaben wahrzunehmen haben, grundsätzlich nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen(BAG 3. Juli 1996 – 2 AZR 513/95 – BAGE 83, 262; 23. November 2000 – 2 AZR 490/99 – AP GVG § 20 Nr. 2 = EzA GVG § 20 Nr. 3). Nichts anderes gilt für Botschaftsangestellte, die in einer Nebenstelle der Botschaft konsularische Aufgaben verrichten. Die gerichtliche Überprüfung einer Entlassung eines solchen Angestellten würde angesichts des Prinzips der Nichteinmischung in die Ausübung hoheitlicher Befugnisse des anderen Staates mit dem Grundsatz in Konflikt kommen, daß die diplomatischen und konsularischen Beziehungen nicht behindert werden dürfen („ne impediatur legatio”). Die dann erforderliche Beurteilung hoheitlichen Handelns könnte die ungehinderte Erfüllung hoheitlicher Aufgaben beeinträchtigen. Allein die Überprüfung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines ausländischen Staates mit einem von ihm zur Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten beschäftigten Funktionsträger durch die Gerichte des Aufnahmestaates würde in die Souveränität des Entsendestaates eingreifen und eine zumindest abstrakte Gefährdung der Funktionsfähigkeit der ausländischen Behörde verursachen(Senat 23. November 2000 – 2 AZR 490/99 – aaO).

An dieser Rechtsprechung ist auch für ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Vertragsstaat des Europäischen Übereinkommens vom 16. Mai 1972 mit einer deutschen Botschafts- bzw. Konsulatsangestellten, die nach dem Inhalt ihres Arbeitsverhältnisses originär konsularische (hoheitliche) Aufgaben wahrzunehmen hat, festzuhalten (Art. 32 des Übereinkommens). Davon geht letztlich auch die Revision aus, wenn sie im wesentlichen nur geltend macht, die Klägerin habe im Zeitpunkt der Kündigung keine Befugnis mehr gehabt, originär konsularische Aufgaben von einigem Gewicht zu erledigen.

4. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, gegen die die Revision keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben hat und an die der Senat deshalb nach § 561 Abs. 2 ZPO gebunden ist, hatte die Klägerin nach dem Arbeitsvertrag auch noch im Zeitpunkt der Kündigung für den beklagten Staat konsularische Aufgaben von nicht lediglich untergeordneter Bedeutung zu erledigen. Schon dies führt dazu, daß für die gegen die außerordentliche Kündigung vom 17. November 1997 gerichtete Feststellungsklage der Klägerin die deutsche Gerichtsbarkeit nicht gegeben ist.

a) Unstreitig war die Klägerin ursprünglich befugt, Visa zu unterzeichnen, was nach Art. 5 d des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen zu den wesentlichen konsularischen Aufgaben gehört. Diese Befugnis, die durch die Überlassung des Dienstsiegels und durch die Aufnahme der Klägerin in die Liste der Zeichnungsberechtigten dokumentiert war, ist der Klägerin bis zur Kündigung nicht entzogen worden. Wenn nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin auch nach Inkrafttreten des Schengener Abkommens in Einzelfällen – etwa für Nicht-EU-Angehörige – Visa zu unterzeichnen waren, so steht dieser Unterschriftsbefugnis der Klägerin nicht entgegen, daß nach ihrem Vorbringen regelmäßig ein ebenfalls zur Unterzeichnung von Visa berechtigter Vorgesetzter anwesend war. Dabei ist nicht einmal berücksichtigt, daß der von der Klägerin unstreitig zu versehende Schalterdienst in der Konsularabteilung ebenfalls konsularische Aufgaben iSv. Art. 5 des Wiener Übereinkommens umfaßte, etwa die Aufgabe, den Angehörigen des Entsendestaates, und zwar sowohl natürlichen als auch juristischen Personen, Hilfe und Beistand zu leisten(Art. 5 e des Übereinkommens).

b) Gegenüber dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt erhebt die Revision keine zulässigen Verfahrensrügen. Die Klägerin räumt ein, daß sie mit der im Kündigungszeitpunkt bestehenden Unterschriftsbefugnis für Visa noch die Möglichkeit hatte, hoheitliche Handlungen für das beklagte Königreich auszuüben. Es reicht nicht aus, wenn die Klägerin die ihr obliegende arbeitsvertragliche Verpflichtung mit der Begründung herunterzuspielen versucht, die ihr eingeräumte Möglichkeit zu hoheitlichem Handeln sei nur theoretischer Natur gewesen. Schon der Vorfall, der zur Kündigung geführt hat, läßt erkennen, daß die Klägerin durch die Überlassung des Dienstsiegels und die Aufnahme in die Liste der Unterschriftsberechtigten die jederzeit von ihr zu verwirklichende Möglichkeit hatte, im Namen und mit Wirkung für das beklagte Königreich Erklärungen – etwa gegenüber Behörden innerhalb der Bundesrepublik Deutschland – abzugeben. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen angenommen hat, die deutsche Gerichtsbarkeit sei nach § 20 Abs. 2 GVG ausgeschlossen.

c) Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, ob auch der Kündigungsgrund, der unstreitige Mißbrauch des der Klägerin zu hoheitlichen Zwecken überlassenen Dienstsiegels und der ihr verliehenen Unterschriftsbefugnis durch die Klägerin, so stark hoheitliche Belange des beklagten Königreiches tangiert, daß es im Zweifel einen Eingriff in die Hoheitsbefugnisse des beklagten Königreiches darstellen würde, wollte die deutsche Gerichtsbarkeit ihm vorschreiben, wie auf ein solches Fehlverhalten zu reagieren ist.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

 

Unterschriften

Rost, Bröhl, Eylert, Rosendahl, Bartel

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 25.10.2001 durch Anderl, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 706942

BB 2002, 787

ARST 2002, 188

FA 2002, 150

NZA 2002, 640

ZTR 2002, 294

RIW 2002, 643

NJOZ 2002, 1366

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