Entscheidungsstichwort (Thema)

Sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen

 

Leitsatz (amtlich)

Für einen Rechtsstreit eines Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis gegen den Kommanditisten des Arbeitgebers über seine Einstandspflicht nach § 171 HGB sind die Gerichte für Arbeitssachen sachlich nicht zuständig. Der Kommanditist ist weder Arbeitgeber nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG noch dessen Rechtsnachfolger i.S. von § 3 ArbGG (Abgrenzung zu BAGE 53, 317 = AP Nr. 2 zu § 3 ArbGG 1979).

 

Normenkette

ArbGG §§ 2-3; HGB §§ 171, 172a; GmbHG §§ 30, 32a a.F., § 32b; BetrAVG § 9 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 17.04.1991; Aktenzeichen 12 Sa 143/90)

ArbG Karlsruhe (Urteil vom 05.07.1990; Aktenzeichen 6 Ca 219/88)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 17. April 1991 – 12 Sa 143/90 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger ist der gesetzliche Träger der Insolvenzsicherung auf Versorgungsleistungen (PSV). Er hatte für die Arbeitnehmer der D… GmbH & Co. KG die laufenden Betriebsrenten und die unverfallbaren Betriebsrenten und die unverfallbaren Betriebsrentenawartschaften zu übernehmen, nachdem die Gesellschaft in Konkurs gefallen war. Anträge auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH und der KG wurden mangels Masse abgewiesen. Der Kläger, auf den Forderungen der Arbeitnehmer in Höhe von etwa 10 Millionen DM übergegangen sind, nimmt nunmehr die Beklagte, eine französische Aktiengesellschaft, als Kommanditistin der insolventen Kommanditgesellschaft in Anspruch.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe ihre Kommanditeinlage in Höhe von 3.304.000,00 DM noch nicht erbracht. Mit der am 17. Dezember 1988 zugestellten Klage hat er einen Teilbetrag von der Beklagten gefordert, der sich aus folgenden Ansprüchen zusammensetzt:

Name

Geb.Datum 

 Monatsrente

 Für PSV errechneter Teilwert

A…, Ewald

20.07.22

422,53

56460

A…, Katharina

15.02.22

171,98

22399

A…, Anna

06.04.12

153,71

14298

B…, Andreas

23.12.20

294,60

37720

B…, Maria

18.11.14

103,12

10790

B…, Alfred

17.10.11

168,67

16482

B…, Emma

15.02.29

232,03

34229

B…, Hermann

13.12.14

191,04

20673

B…, Johanna

09.04.12

174,80

16260

B…, Anna

26.12.28

318,94

47050

B…, Hans

06.05.22

999,31

130862

B…, Heinz

02.10.29

91,90

13452

B…, Hilde

03.02.09

94,50

7712

B…, Albert

15.04.12

311,41

30429

B…, Maria

01.10.13

291,82

29406

B…, Frieda

20.10.11

30,30

2818

Für den Arbeitnehmer

B…, Erich…  05.02.17

wird nur ein Teilbetrag über DM 8.960,-- von einem Teilwert von insgesamt DM 58.912,-- geltend gemacht.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 500.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat durch Zwischenurteil seine sachliche und internationale Zuständigkeit bejaht. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß im vorliegenden Rechtsstreit die sachliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Arbeitssachen fehlt. Der nach § 171 HGB für die Gläubiger der insolventen GmbH & Co. KG bis zur Höhe seiner Einlage haftende Kommanditist ist weder Arbeitgeber nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG noch dessen Rechtsnachfolger im Sinne von § 3 ArbGG. Auf die Frage der internationalen Zuständigkeit kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits gegen die Beklagte nicht an.

1. Die Revision ist zulässig.

a) Zwar ist in § 73 Abs. 2, § 65 ArbGG n.F. bestimmt, daß weder das Berufungsgericht noch das Revisionsgericht zu prüfen haben, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist und das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Diese ab 1. Januar 1991 in Kraft getretenen Vorschriften (4. Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung – 4. VwGOÄndG – vom 17. Dezember 1990, BGBl. I S. 2809) sind jedoch nur anzuwenden, wenn das Verfahren erster Instanz nach dem 1. Januar 1991 abgeschlossen worden ist (Art. 21 Satz 2 des 4. VwGOÄndG; BAG Urteil vom 20. August 1991 – 1 ABR 85/90 – zu B I 1 der Gründe = DB 1992, 275; BAG Urteil vom 15. Januar 1992 – 5 AZR 15/91 – zur Veröffentlichung vorgesehen; BGH Urteil vom 28. Februar 1991 – III ZR 53/90 – NJW 1991, 1686).

Das erstinstanzliche Zwischenurteil ist am 5. Juli 1990, also vor Inkrafttreten des 4. VwGOÄndG, ergangen. Ein Zwischenurteil zur Zulässigkeit der Klage muß nach § 280 Abs. 2 ZPO in betreff der Rechtsmittel als Endurteil angesehen werden.

b) Das Urteil des Berufungsgerichts kann nach § 73 Abs. 2 ArbGG a.F. mit der Revision angefochten werden, wenn es die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen verneint hat. Danach kann die Revision zwar nicht darauf gestützt werden, daß die Zuständigkeit eines ordentlichen Gerichts begründet sei. Die Revision des Klägers hält aber die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für gegeben. Dem Kläger wäre es deshalb nur dann verwehrt, die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts überprüfen zu lassen, wenn das Landesarbeitsgericht seine Zuständigkeit bejaht hätte (BAG Urteil vom 23. Oktober 1990 – 3 AZR 23/90 – AP Nr. 18 zu § 2 ArbGG 1979; BAGE 53, 317, 319 = AP Nr. 2 zu § 3 ArbGG 1979; BAGE 32, 187, 188 f. = AP Nr. 2 zu § 4 TVG Gemeinsame Einrichtungen; a.A.: Grunsky in Anm. zu AP Nr. 2 zu § 4 TVG Gemeinsame Einrichtungen).

2. Das Landesarbeitsgericht hat die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zutreffend verneint.

Hierzu hat es ausgeführt, zwischen der Beklagten als Kommanditistin und den Arbeitnehmern der Kommanditgesellschaft habe kein Arbeitsverhältnis bestanden. Sie sei deshalb nicht Arbeitgeber i. S. von § 2 Abs. 1 Nr. 3a und 3c ArbGG. Die Beklagte könne auch nicht als Rechtsnachfolger des Arbeitgebers (§§ 2, 3 ArbGG) angesehen werden. Als Kommanditist hafte sie nicht anstelle der Kommanditgesellschaft, sondern neben derselben.

a) Dem folgt der Senat. Die Beklagte ist als Kommanditistin nicht Arbeitgeber i. S. von § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG.

Der Streit über Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung ist eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG). Der vorliegende Rechtsstreit wird indessen nicht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bzw. deren jeweiligen Rechtsnachfolgern geführt. Zwar ist auf der Arbeitnehmerseite eine Rechtsnachfolge im Sinne von § 3 ArbGG eingetreten, denn an die Stelle der zunächst anspruchsberechtigten Arbeitnehmer ist der Kläger als Träger der Insolvenzsicherung (§ 9 Abs. 2 BetrAVG) getreten, der nach § 7 Abs. 1 BetrAVG anstelle des insolventen Arbeitgebers die betrieblichen Altersversorgungsansprüche der Arbeitnehmer zu befriedigen hat. Die Beklagte als Kommanditistin ist aber weder Arbeitgeber gewesen, noch in dessen Rechtsstellung im Wege der Rechtsnachfolge (§ 3 ArbGG) eingerückt. Arbeitgeber ist, wer Arbeitnehmer beschäftigt. Dies war hier die insolvente GmbH & Co. KG, allenfalls noch deren Komplementär GmbH. Zum Kommanditisten hatten die Arbeitnehmer keine arbeitsvertraglichen Beziehungen. Anders als der persönlich unbeschränkt haftende Komplementär der Kommanditgesellschaft vertritt der Kommanditist die Gesellschaft nicht nach außen (§§ 170, 161 Abs. 2, § 125 Abs. 1 HGB) und ist von der Führung der Geschäfte ausgeschlossen (§ 164 Satz 1 HGB). Nach dem Gesetz kann der Kommanditist weder für die Kommanditgesellschaft noch für die Komplementär-GmbH einen Arbeitsvertrag schließen, noch deren Arbeitnehmern gegenüber Weisungen erteilen. Er hat daher keine Arbeitgeberbefugnisse; diese sind allein dem persönlich haftenden Gesellschafter vorbehalten. Dessen (haftungsrechtliche) Arbeitgeberstellung wird auch daran deutlich, daß er von den Arbeitnehmern allein oder gleichzeitig mit der Gesellschaft auf die Erfüllung arbeitsrechtlicher Ansprüche persönlich verklagt werden kann. Der Kommanditist kann demgegenüber sogar Arbeitnehmer der Kommanditgesellschaft sein (BAG Urteil vom 11. Mai 1978 – 3 AZR 21/77 – AP Nr. 2 zu § 161 HGB).

b) Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ergibt sich auch nicht nach § 3 ArbGG. Der Kommanditist ist nicht Rechtsnachfolger des Arbeitgebers.

Das Bundesarbeitsgericht hat zu einem solchen Sachverhalt bisher keine Entscheidung getroffen. Zu Unrecht meint die Revision, wenn der bisher zuständige Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts den Begriff des Rechtsnachfolgers in § 3 ArbGG sehr weit ausgelegt habe, müsse auch der Kommanditist der insolventen Kommanditgesellschaft als Rechtsnachfolger angesehen werden.

Der Revision des Klägers ist zwar zuzugeben, daß der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts nicht nur den Wechsel des Schuldners oder des Gläubigers als Rechtsnachfolge angesehen hat, sondern ebenso den Fall der gesellschaftsrechtlichen Durchgriffshaftung dazu zählt (BAGE 53, 317 ff. = AP Nr. 2 zu § 3 ArbGG 1979, bei einem Alleingesellschafter einer GmbH; BAG Urteil vom 11. November 1986 – 3 AZR 228/86 – AP Nr. 6 zu § 2 ArbGG 1979, zu dem Durchgriff bei Gruppenunterstützungskassen). Der nunmehr zuständige Senat braucht nicht zu entscheiden, ob an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festzuhalten ist, weil vorliegend eine gesellschaftsrechtliche Durchgriffshaftung nicht Gegenstand des Verfahrens ist. Das von der Revision angezogene Urteil des Dritten Senats vom 28. September 1982 (– 3 AZR 304/80 – AP Nr. 1 zu § 172 HGB) stützt nicht die Rechtsauffassung des Klägers. Insoweit wird übersehen, daß die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen vom Revisionsgericht nicht mehr überprüft werden konnte (§ 73 Abs. 2 ArbGG a.F.), nachdem zuvor das Landesarbeitsgericht eine Einstandspflicht des Kommanditisten bejaht hatte.

Der Begriff “Rechtsnachfolger” in § 3 ArbGG kann nicht über den Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung hinaus ausgelegt werden. Nach § 3 ArbGG soll die über § 2 ArbGG begründete Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen auch in den Fällen bestehen, in denen der Rechtsstreit durch einen Rechtsnachfolger oder durch eine Person geführt wird, die kraft Gesetzes an die Stelle des sachlich Berechtigten oder Verpflichteten hierzu befugt ist. Die beschränkte “gesetzliche Einstandspflicht” des Kommanditisten ist indessen der primären Einstandspflicht (“Vertragserfüllungshaftung”) des Komplementärs nicht gleichzusetzen (vgl. BAG Urteil vom 6. Mai 1986 – 1 AZR 553/84 – AP Nr. 8 zu § 128 HGB). Der Kommanditist tritt nur neben, nicht an die Stelle des sachlich verpflichteten Arbeitgebers (Grunsky, Anm. BAG AP Nr. 2 zu § 3 ArbGG 1979) und haftet nur in Höhe seiner (noch nicht erbrachten) Einlage (§ 171 Abs. 1 HGB). Rechtsnachfolge i. S. von § 3 ArbGG 1979 setzt jedoch voraus, daß der Rechtsnachfolger im Hinblick auf den streitigen Anspruch in die Rechtsstellung des Rechtsvorgängers eingerückt ist (BAGE 36, 274, 282 = AP Nr. 1 zu § 48 ArbGG 1979). So verhält es sich im Streitfall nicht. Die Beklagte ist deshalb haftungsrechtlich nicht an die Stelle des Arbeitgebers getreten. Da sich Rechte und Pflichten des Rechtsnachfolgers von denen des Vorgängers ableiten, setzt die Rechtsnachfolge einen Wechsel in der Rechtsstellung notwendig voraus. Ein solcher Sachverhalt liegt nicht vor, wenn ein zusätzlicher Schuldner neben einen anderen tritt, der weiterhin verpflichtet bleibt.

c) Eine durch Analogie zu schließende Regelungslücke in § 3 ArbGG besteht nicht (a.A. BAG Urteil vom 11. November 1986, aaO, für das Verhältnis des gesetzlichen Trägers der Insolvenzsicherung und einer Gruppenunterstützungskasse). § 3 ArbGG erweitert bereits die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen im Verhältnis zu den ordentlichen Zivilgerichten. Eine darüber hinausgehende Anwendung dieser Bestimmung ist mit der Aufzählung der zuständigkeitsbegründenden Tatbestände in § 2 ArbGG, an die § 3 ArbGG anknüpft, nicht zu vereinbaren. Schließlich wird über die gesetzliche Zuständigkeitsfestlegung auch der zur Entscheidung berufene Richter näher bestimmt. Eine über die statthafte Auslegung von Zuständigkeitsvorschriften (vgl. BVerfGE 48, 246, 262 f.) hinausreichende Analogie muß daher ausscheiden. Sie würde in die verfassungsrechtliche Gewährleistung des gesetzlichen Richters eingreifen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; vgl. dazu von Münch, GG, Band 3, 2. Aufl., Art. 101 Rz 16).

3. Der unterlegene Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

 

Unterschriften

Dr. Leinemann, Dörner, Dr. Lipke, Binzek, Holst

 

Fundstellen

Haufe-Index 838638

BAGE, 350

NJW 1993, 2891

NZA 1993, 862

RdA 1992, 403

ZIP 1992, 1656

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