Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang bei Vergabe der Warenauslieferung im Einzelhandel

 

Normenkette

BGB § 613a

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 14.08.1996; Aktenzeichen 2 Sa 562/96)

ArbG Köln (Urteil vom 16.01.1996; Aktenzeichen 4 Ca 9044/95)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 14. August 1996 – 2 Sa 562/96 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung.

Die Beklagte betreibt einen Elektroeinzelhandel. Der im Jahre 1962 geborene Kläger war seit dem 11. Februar 1982 bei der Beklagten zunächst als Beifahrer und seit dem 1. Januar 1987 als Auslieferungsfahrer beschäftigt. Er hatte die sogenannte „Braune Ware” (Hifi-, Fernseh- und Videogeräte) auszufahren und bei den Kunden aufzustellen. Sein Bruttoverdienst betrug zuletzt 4.096,00 DM monatlich.

Die Beklagte beauftragte mit Wirkung ab Oktober 1995 die Firma T. mit der Auslieferung der „Braunen Ware”. Mit Schreiben vom 23. Oktober 1995 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31. Januar 1996 und stellte den Kläger mit sofortiger Wirkung von der Arbeit frei.

Mit der am 30. Oktober 1995 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger u.a. geltend gemacht, die Kündigung sei nach § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam. Die Beklagte habe einen Betriebsteil auf die Firma T. übertragen. Die Firma T. handele als Funktionsnachfolgerin.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das zwischen den Parteien seit dem 11. Februar 1982 bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 23. Oktober 1995 beendet worden ist und über den 31. Januar 1996 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Arbeitsplatz des Klägers sei ersatzlos weggefallen. Ein anderer freier Arbeitsplatz habe für den Kläger nicht zur Verfügung gestanden. Auch sei im Zeitpunkt der Kündigung das Freiwerden eines entsprechenden Arbeitsplatzes nicht absehbar gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Oktober 1995 nicht beendet worden sei. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Zurückweisung der Berufung der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die von der Beklagten mit Schreiben vom 23. Oktober 1995 ausgesprochene Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien fristgemäß zum 31. Januar 1996 aufgelöst.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, die Kündigung verstoße nicht gegen § 613 a Abs. 4 Satz 1 BGB. Die Kündigung ist nicht wegen eines Betriebsübergangs ausgesprochen worden. Durch die Vergabe der Auslieferungsfahrten an die Firma T. ist kein Betrieb oder Betriebsteil, in dem der Kläger beschäftigt war, von der Beklagten auf die Firma T. im Sinne von § 613 a Abs. 1 BGB übergegangen.

1. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 11. März 1997 – Rs C-13/95 – EuGHE I 1997, 1259 = AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187), der sich der Senat mit Urteil vom 22. Mai 1997 (– 8 AZR 101/96 – AP Nr. 154 zu § 613 a BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt) angeschlossen hat, setzt ein Betriebsübergang die Bewahrung der Identität der betreffenden Einheit voraus. Der Begriff „Einheit” bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Er darf nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit ergibt sich auch aus anderen Merkmalen, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln. Den für das Vorliegen eines Überganges maßgeblichen Kriterien kommt notwendigerweise je nach der ausgeübten Tätigkeit und selbst nach den Produktions- oder Betriebsmethoden, die in dem betreffenden Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil angewendet werden, unterschiedliches Gewicht zu (vgl. Urteil des Senats vom 26. Juni 1997 – 8 AZR 426/95 – AP Nr. 165 zu § 613 a BGB = ZIP 1997, 1975, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

2. Nach den revisionsrechtlich nicht erheblich angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Firma T. weder materielle noch immaterielle Betriebsmittel der Beklagten übernommen. Die Firma T. hatte bereits vor Oktober 1995 die Auslieferung der sogenannten „Weißen Ware” für die Beklagte durchgeführt. Dieser Auftrag wurde ab Oktober 1995 um die Auslieferung der sogenannten „Braunen Ware” erweitert. Irgendwelche materiellen oder immateriellen Betriebsmittel wurden der Firma T. anläßlich dieser Auftragsvergabe nicht übertragen. Insbesondere übernahm die Firma T. keine abgrenzbare Organisation der Beklagten.

Daß die Firma T. die Funktion der Auslieferung von „Brauner Ware” übernahm, begründet keinen Betriebsübergang im Sinne von § 613 a BGB. Entgegen der Auffassung der Revision erfüllt allein eine Funktionsnachfolge nicht die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs im Sinne von § 613 a BGB (vgl. dazu nur den Vorlagebeschluß des erkennenden Senats vom 21. März 1996 – 8 AZR 156/95 – BAGE 82, 308 = AP Nr. 10 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187 mit der Zusammenfassung der früheren Rechtsprechung des BAG). Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist mit den europa-rechtlichen Vorgaben der Richtlinie 77/187 vereinbar. Dies hat der EuGH mit Urteil vom 11. März 1997 (– Rs C-13/95 – EuGHE I 1997, 1259 = AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187) bestätigt. Wie der EuGH unter Nr. 15 der Entscheidungsgründe ausführt, darf eine Einheit im Sinne der Richtlinie nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Für den Fall des Wechsels eines Reinigungsauftrages hat der EuGH unter Nr. 16 der Entscheidungsgründe ausdrücklich hinzugefügt, daß der bloße Verlust eines Auftrags an einen Mitbewerber für sich genommen keinen Übergang im Sinne der Richtlinie darstellt. Damit entspricht die Entscheidung des EuGH der im Vorlagebeschluß des Senats wiedergegebenen früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

Soweit der EuGH abweichend von der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, in einer organisierten Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine übernahmefähige wirtschaftliche Einheit gesehen hat (vgl. Nr. 21 der Entscheidungsgründe), die im Falle ihrer Übernahme einen Betriebsübergang darstellen kann, hat sich der erkennende Senat dieser Rechtsprechung des EuGH bereits mit Urteil vom 22. Mai 1997 (– 8 AZR 101/96 – AP Nr. 154 zu § 613 a BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt) angeschlossen. Hieran ist festzuhalten.

Der Kläger hat jedoch nicht aufgezeigt, daß die Firma T. eine organisierte Gesamtheit von Arbeitnehmern anläßlich der Auftragsvergabe übernommen habe.

II. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Harnack, Ma. Schallmeyer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1127023

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