Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang bei Neuvergabe eines Reinigungsauftrags

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird gemäß Art 177 EG-Vertrag um Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:

1. Liegt auf seiten des Auftraggebers oder des Auftragnehmers ein Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil im Sinne von Art 1 Abs 1 der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen vor, wenn ein Arbeitgeber bestimmte Tätigkeiten, die nur in seinem Betrieb ausgeführt werden können, nicht selbst erledigt, sondern aufgrund eines Dienstvertrages oder eines Werkvertrages von einem Dritten, der auch die dazu benötigten Arbeitnehmer einstellt und deren Arbeitgeber ist, vornehmen läßt?

2. Kommt es für die Beantwortung der Frage zu 1. darauf an, ob das beauftragte Unternehmen außer dem Tätigsein in den Räumlichkeiten des Auftraggebers noch Betriebsmittel nutzt, die ihm vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden?

3. Kommt es gegebenenfalls darauf an, welcher Art die vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Betriebsmittel sind? Kann es danach entscheidend sein, ob komplett eingerichtete Einheiten (zB eine funktionsfähige Küche) oder Betriebsmittel untergeordneter Art (zB Verbrauchsmittel) zur Verfügung gestellt werden?

4. Ist es für die Annahme eines Betriebsteiles notwendig, daß der Auftragnehmer zur Erfüllung des Auftrages eine eigene betriebliche Organisation bildet?

5. Ist es gegebenenfalls erheblich, ob der Auftraggeber Einfluß auf die Organisation des Auftragnehmers und insbesondere auf die Anzahl und die Auswahl der zur Erfüllung des Auftrages beschäftigten Arbeitnehmer genommen hat?

6. Endet gegebenenfalls mit dem Dienstleistungsauftrag die Existenz des Betriebsteiles, weil der bisherige Auftragnehmer nichts mehr betrieblich zu erledigen hat?

7. Wird ein Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil im Sinne der Richtlinie vertraglich übertragen, wenn der Träger eines Krankenhauses den von ihm mit einem Reinigungsunternehmen geschlossenen Dienstleistungsvertrag kündigt und aufgrund einer Neuausschreibung mit einem anderen Reinigungsunternehmen einen neuen Dienstleistungsvertrag über die Erledigung der Reinigungsaufgabe im Krankenhaus abschließt? Kann in diesem Falle eine vertragliche Übertragung auch gegeben sein, wenn keine materiellen und keine immateriellen Betriebsmittel übertragen werden?

8. Kommt es darauf an, ob die Neuausschreibung erfolgt ist, weil der bisherige Auftragnehmer mit seinen Arbeitnehmern die Arbeiten nicht ordnungsgemäß erledigte (Schlechterfüllung) oder durch die Neuausschreibung eine Kostensenkung erreicht werden soll?

 

Orientierungssatz

Die Sache ist beim EuGH unter dem Aktenzeichen C-204/96 anhängig.

 

Normenkette

EWGVtr Art. 177; BGB § 613a; EWGRL 187/77 Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 11.10.1994; Aktenzeichen 11 (19) Sa 1900/93)

ArbG Paderborn (Entscheidung vom 29.09.1993; Aktenzeichen 2 Ca 610/93)

 

Gründe

A. Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen durch Betriebsübergang ein Arbeitsverhältnis begründet worden ist und die Beklagte die Klägerin zu beschäftigen hat.

Die im Jahre 1945 geborene Klägerin war von 1973 bis 30. April 1993 bei der Firma A , O , als Reinigungskraft beschäftigt. Während der gesamten Dauer der Beschäftigung wurde sie im S -Krankenhaus P eingesetzt, in den letzten 15 Jahren als Vorarbeiterin. Ihre wöchentliche Arbeitszeit betrug 3 x 3 Stunden bei einem Monatsverdienst von zuletzt 530,-- DM netto.

Das S -Krankenhaus kündigte den Dienstleistungsvertrag mit der Firma A zum 30. April 1993. Aufgrund einer Neuausschreibung erhielt die Beklagte den Zuschlag für die Reinigungsarbeiten.

Die Beklagte kaufte von der Firma A drei Waschvollautomaten, in denen regelmäßig die Wischlappen gewaschen werden. Die von der Firma A beschäftigten Arbeitnehmerinnen wurden überwiegend von der Beklagten neu eingestellt, nicht jedoch die Klägerin. Diese ist der Ansicht, daß ein Betriebsübergang im Sinne von § 613 a BGB vorliege, weshalb die Beklagte verpflichtet sei, sie zu beschäftigen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, sie ab dem 1. Mai

1993 als Vorarbeiterin für die Reinigungskräfte

im S -Krankenhaus P weiterzube-

schäftigen.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.

Sie hat geltend gemacht, keinen Betrieb oder Betriebsteil von der Firma A übernommen zu haben. Die Wahrnehmung der Reinigungstätigkeit im S -Krankenhaus P stelle keinen Betriebsübergang im Rechtssinne dar.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin die Beklagte ohne Angabe eines Anfangstermins zur Weiterbeschäftigung verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage.

B. Der Erlaß eines Urteils hängt von der Auslegung der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen ab. Hierzu wird gemäß Art. 177 EG-Vertrag eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften eingeholt und das Verfahren ausgesetzt.

I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Die Beklagte sei verpflichtet, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen wie in ihrem Beschäftigungsverhältnis zur Firma A als Vorarbeiterin der Reinigungskräfte im S -Krankenhaus P zu beschäftigen. Diese Verpflichtung folge aus § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften. Das nationale Recht sei europarechtskonform dahin auszulegen, daß bei einem Betriebsübergang die Übertragung materieller oder immaterieller Betriebsmittel nicht erforderlich sei, sondern ein Betriebsübergang auch in einer bloßen Nachfolge in der Funktion liege. Der als Dienstleistung von der Firma A im S -Krankenhaus P erbrachte Reinigungsdienst sei als Betriebsteil im Sinne von § 613 a BGB auf die Beklagte übergegangen. Es handele sich beim Reinigungsdienst um eine klar abgegrenzte wirtschaftliche Einheit, deren unstreitige Aufgabe unverändert bestehen geblieben sei und auch in Zukunft weiter wahrgenommen werde. Die Beklagte handele als Funktionsnachfolgerin und führe dieselbe Geschäftstätigkeit weiter, die bislang von der Firma A wahrgenommen wurde. Die unternehmerische Aufgabe und die Arbeitsaufgabe der Reinigungskräfte hätten sich insoweit nicht verändert. Dies habe insgesamt zur Folge, daß das Arbeitsverhältnis der Klägerin als Vorarbeiterin der Reinigungskräfte im S -Krankenhaus P auf die Beklagte übergegangen sei.

II. Nach Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (77/187/EWG - vom 14. Februar 1977 - ABl.EG Nr. L 61/26 -) gehen die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem bestehenden Arbeitsvertrag durch "vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung" des Unternehmens, Betriebs oder Betriebsteiles auf den Erwerber über. Der Umsetzung dieser Richtlinie in nationales Recht dient § 613 a BGB, der folgenden Wortlaut hat:

"§ 613 a

Rechte und Pflichten bei Betriebsübergang

(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch

Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber

über, so tritt dieser in die Rechte und

Pflichten aus den im Zeitpunkt des Über-

gangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein.

Sind diese Rechte und Pflichten durch

Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch

eine Betriebsvereinbarung geregelt, so wer-

den sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses

zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeit-

nehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines

Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum

Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden.

Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und

Pflichten bei dem neuen Inhaber durch

Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags

oder durch eine andere Betriebsvereinbarung

geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach

Satz 2 können die Rechte und Pflichten ge-

ändert werden, wenn der Tarifvertrag oder

die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt

oder bei fehlender beiderseitiger Tarifge-

bundenheit im Geltungsbereich eines anderen

Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem

neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer verein-

bart wird.

(2) Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem

neuen Inhaber für Verpflichtungen nach Ab-

satz 1, soweit sie vor dem Zeitpunkt des

Übergangs entstanden sind und vor Ablauf

von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig

werden, als Gesamtschuldner. Werden solche

Verpflichtungen nach dem Zeitpunkt des

Übergangs fällig, so haftet der bisherige

Arbeitgeber für sie jedoch nur in dem Um-

fang, der dem im Zeitpunkt des Übergangs

abgelaufenen Teil ihres Bemessungszeitraums

entspricht.

(3) Absatz 2 gilt nicht, wenn eine juristische

Person oder eine Personenhandelsgesell-

schaft durch Umwandlung erlischt.

(4) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses

eines Arbeitnehmers durch den bisherigen

Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber

wegen des Übergangs eines Betriebs oder

eines Betriebsteils ist unwirksam. Das

Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnis-

ses aus anderen Gründen bleibt unberührt."

III. Das angefochtene Urteil hat die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 14. April 1994 (- Rs.C 392/92 - AP Nr. 106 zu § 613 a BGB m. Anm. Loritz = ZIP 1994, 1036 m. Anm. Hanau = EAS RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 9 ) so verstanden, daß ein Betriebsübergang auch vorliege, wenn keine materiellen oder immateriellen Betriebsmittel übertragen werden, aber eine bloße Nachfolge in der Funktion eintrete. Eine vertragliche Übertragung der Funktion sei nicht erforderlich.

IV. Demgegenüber ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 613 a BGB bislang stets ein rechtsgeschäftlicher Übergang materieller und/oder immaterieller Betriebsmittel als unverzichtbare Voraussetzung eines Betriebsübergangs angesehen worden. So hat das Bundesarbeitsgericht in den vergleichbaren Fällen der Kündigung eines ein militärisches Objekt betreffenden Bewachungsauftrages und anschließender Neuvergabe an ein anderes Bewachungsunternehmen, der Kündigung eines Reinigungsauftrages betreffend die Spülküche eines Zentralkrankenhauses mit anschließender Neuvergabe an ein anderes Reinigungsunternehmen sowie in der Neuvergabe der Reinigung eines Flughafens an ein anderes Reinigungsunternehmen das Vorliegen eines Betriebsübergangs im Sinne von § 613 a BGB verneint.

Mit Urteil vom 29. September 1988 (- 2 AZR 107/88 - AP Nr. 76 zu § 613 a BGB) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden:

"1. Endet ein Vertrag über die Bewachung eines

Objektes durch Fristablauf und schließt der

Objektträger im Rahmen einer Ausschreibung

mit einem anderen Unternehmer einen neuen

Bewachungsvertrag, so liegt kein rechtsge-

schäftlicher Übergang eines Betriebes oder

Betriebsteils des früheren Bewachungsunter-

nehmers auf den neuen nach § 613 a Abs. 1

BGB vor. Es kommt nicht darauf an, ob der

beendete Bewachungsvertrag für den früheren

Unternehmer das "wesentliche Substrat" sei-

nes Betriebes oder Betriebsteils gewesen

ist, weil dieser Vertrag ebensowenig wie

sonstige Kundenbeziehungen durch den An-

schlußvertrag mit dem Objektträger auf das

neu beauftragte Bewachungsunternehmen über-

tragen wird und es deswegen an der für den

Betriebsübergang nach § 613 a Abs. 1 BGB

erforderlichen Überleitung der immateriel-

len Betriebsmittel fehlt (im Anschluß an

das Urteil des Fünften Senats des Bundesar-

beitsgerichts vom 8. September 1982 - 5 AZR

10/80 - nicht veröffentlicht).

2. In den Fällen dieser Art reicht es für ei-

nen Betriebsübergang nicht aus, wenn der

neue Unternehmer nur von dem früheren Un-

ternehmer für die Bewachung des Objekts

verwendete sächliche Betriebsmittel über-

nimmt sowie die Mehrheit des bisher dort

eingesetzten Wachpersonals einstellt."

Im Leitsatz 2 des Urteils vom 18. Oktober 1990 (- 2 AZR 172/90 - AP Nr. 88 zu § 613 a BGB) heißt es:

"Ein Betriebsübergang i.S. des § 613 a BGB liegt

nicht vor, wenn der Arbeitgeber (hier: Dienstlei-

stungsunternehmen u.a. für Reinigungsarbeiten) im

Rahmen einer Neuausschreibung des Auftraggebers

den Auftrag an ein Konkurrenzunternehmen ver-

liert, ohne daß dabei sächliche oder immaterielle

Mittel von dem Arbeitgeber auf den Konkurrenten

übergehen."

Dabei ist entscheidend darauf abgestellt worden, daß keine oder keine erheblichen materiellen und/oder immateriellen Betriebsmittel auf den neuen Auftragnehmer übergingen und zwischen dem bisherigen Dienstleistungsunternehmen und dem neu beauftragten Dienstleistungsunternehmen keine Übertragung vertraglich vereinbart wurde. Die Vertragsbeziehung des alten Auftragnehmers zum Auftraggeber sei kein Vertragsgegenstand des neuen Auftrags geworden. Damit sei jedenfalls das wesentliche Substrat eines Betriebsteiles nicht übertragen worden. Eine Nachfolge in der Funktion allein stelle keinen Betriebsübergang dar.

Das Bundesarbeitsgericht hat stets angenommen, Betrieb im Sinne von § 613 a BGB sei eine organisatorische Einheit, in der Personen mit Hilfe persönlicher, sächlicher oder immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgen. Maßgebend sei, daß der Inhaber durch eine entsprechend organisierte Einheit von sächlichen und immateriellen Betriebsmitteln arbeitstechnische Zwecke eigensubstratnutzend verfolgen könne (vgl. zuletzt Urteil vom 7. September 1995 - 8 AZR 928/93 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt, zu III 1 der Gründe).

Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf das Merkmal der vertraglichen Übertragung oder in der Rechtssprache des BGB "Rechtsgeschäft" nicht verzichtet worden. Vielmehr hat der Senat noch mit Urteil vom 27. April 1995 (- 8 AZR 197/94 - auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) ausdrücklich den Rückfall der Pachtsache gemäß §§ 556, 581 BGB als rechtsgeschäftlichen Übergang im Sinne von § 613 a BGB gewertet. Mit Urteil vom 7. September 1995 (- 8 AZR 928/93 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt) hat der Senat erkannt, daß als Rechtsgeschäft im Sinne von § 613 a BGB nicht nur privatrechtliche Willensäußerungen, sondern auch öffentlich-rechtliche Verwaltungsvereinbarungen anzusehen seien.

V. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat mit Urteil vom 14. April 1994 (aaO) angenommen, daß in der vertraglichen Übertragung der Verantwortung für die Erledigung einer Reinigungsaufgabe ein Betriebsübergang im Sinne der Richtlinie liegen könne. Dabei hatte der Gerichtshof einen Fall der erstmaligen Fremdvergabe einer zuvor vom Auftraggeber selbst erledigten Reinigungsaufgabe zu beurteilen.

Mit Urteil vom 19. September 1995 (- Rs.C 48/94 - DB 1995, 2117) hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften einen Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Betriebsteiles im Sinne der Richtlinie in einem Falle verneint, in dem durch vertragliche Absprache zwischen bisherigem Auftragnehmer, Auftraggeber sowie neuem Auftragnehmer die Erfüllung eines Bauauftrages unter Übernahme von drei Beschäftigten sowie der benötigten Materialien vereinbart worden war. In dieser Entscheidung hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften klargestellt, daß eine Übertragung im Sinne der Richtlinie nur vorliegen könne, wenn eine organisierte Gesamtheit von Faktoren übertragen werde, die eine dauerhafte Fortsetzung der Tätigkeit oder bestimmter Tätigkeiten des übertragenen Unternehmens erlaube. Die Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteiles ohne materielle und immaterielle Betriebsmittel wird nicht erwähnt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ist entscheidend, ob diese organisatorische Gesamtheit von Faktoren, die er, ohne die Tatbestandsmerkmale der Richtlinie zu definieren, als "wirtschaftliche Einheit" bezeichnet, nach dem Übergang ihre Identität bewahrt hat (vgl. zuletzt Urteil vom 19. September 1995, aaO). Diese Prüfung der Wahrung der Identität ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften anhand einer globalen Bewertung zu ermitteln. Im Rahmen dieser globalen Bewertung stellt der Gerichtshof auf folgende Teilaspekte ab:

a) Die Art des betreffenden Unternehmens oder Be-

triebs,

b) der Übergang oder Nichtübergang der materiel-

len Aktiva wie Gebäude und bewegliche Güter,

c) der Wert der immateriellen Aktiva zum Zeit-

punkt des Übergangs,

d) die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbe-

legschaft durch den neuen Inhaber,

e) der Übergang oder Nichtübergang der Kund-

schaft,

f) der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und

der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit

sowie

g) die Dauer einer eventuellen Unterbrechung die-

ser Tätigkeit.

Dabei ist offengeblieben, ob eine vertragliche Übertragung im Sinne von Art. 1 Satz 1 der Richtlinie auch anzunehmen ist, wenn zwischen dem alten und dem neuen Auftragnehmer eines Dienstleistungsauftrags keine unmittelbaren auf die Übertragung der mit der Erfüllung dieses Auftrags verbundenen Faktoren gerichteten vertraglichen Beziehungen bestehen.

VI. Da im vorliegenden Falle das Landesarbeitsgericht die Übertragung der einen Reinigungsbetrieb ausmachenden materiellen und immateriellen Betriebsmittel einschließlich einer etwaigen Organisation der Auftragserledigung nicht festgestellt hat, ist es für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, ob eine vertragliche Übertragung im Sinne der Richtlinie auch dann anzunehmen ist, wenn ein Dienstleistungsauftrag gekündigt und aufgrund einer Neuausschreibung an ein anderes Dienstleistungsunternehmen neu vergeben wird. Dementsprechend ist das Verfahren durch Beschluß auszusetzen und der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften um Vorabentscheidung zu ersuchen.

Ascheid Müller-Glöge Mikosch

Plenge E. Schmitzberger

 

Fundstellen

Haufe-Index 441521

BAGE 00, 00

BB 1996, 1444 (L1-8)

BB 1996, 799

NJW 1996, 2752 (L1-8)

BetrR 1996, 61-62 (ST1)

BetrVG, (30) (LT1-8)

EWiR 1996, 1061 (L1-4,7)

NZA 1996, 869-871 (LT1-8)

RdA 1996, 324 (L1-8)

RzK 00, I 5c Nr 41 (L1-8)

ZAP EN-Nr 315/96 (L1-3, 7-8)

ZIP 1996, 1184

ZIP 1996, 1184-1186 (LT1-8)

AP § 613a BGB (L1-8), Nr 144

AP, (LT1-8)

AR-Blattei, ES 500 Nr 117 (LT1-8)

ArbuR 1996, 379-380 (LT1-8)

AuA 1996, 283

AuA 1996, 283-284 (L1-8)

DZWir 1996, 418-421 (LT)

EuZW 1997, 91-93 (LT1-8)

EuroAS 1996, 100-101 (T)

EuroAS 1996, 176-178 (LT1-8)

EzA-SD 1996, Nr 14, 3-4 (L1-8)

EzA § 613a BGB, Nr 141 (LT1-8)

EzBAT § 53 BAT Betriebsübergang, Nr 2 (LT1-8)

MDR 1996, 936-937 (LT1-8)

PERSONAL 1997, 212 (L1-3)

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