Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankheit und Wiederholungskrankheit

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Vorerkrankung kann dann nicht als Teil einer Fortsetzungserkrankung angesehen werden, wenn sie lediglich zu einer bereits bestehenden, ihrerseits zur Arbeitsunfähigkeit führenden Krankheit hinzugetreten ist, ohne einen eigenen Anspruch auf Lohnfortzahlung auszulösen (Ergänzung zu BAGE 46, 253 = AP Nr. 60 zu § 1 LohnFG).

 

Normenkette

SGB X § 115; LohnFG § 1 Abs. 1 Sätze 1-2

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 18.10.1989; Aktenzeichen 1 Sa 621/89)

ArbG Herne (Urteil vom 09.03.1989; Aktenzeichen 1 Ca 51/89)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 18. Oktober 1989 – 1 Sa 621/89 – aufgehoben.
  • Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 9. März 1989 – 1 Ca 51/89 – abgeändert:

    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 843,70 DM zu zahlen.

  • Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht (§ 115 SGB X) auf Lohnfortzahlung in Anspruch.

Der bei der Klägerin gegen Krankheit versicherte Arbeiter M… ist bei der Beklagten beschäftigt. Er war vom 25. Mai bis zum 30. Juni 1988 wegen eines Zwölffingerdarmgeschwürs arbeitsunfähig krank. Ab 20. bis zum 30. Juni trat eine Erkrankung wegen Lumbalgie, HWS/LWS-Syndroms hinzu. Die Beklagte gewährte dem Versicherten für die Zeit vom 25. Mai bis zum 30. Juni (d. h. für 37 Tage) Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle.

Ab 1. Juli 1988 war der Versicherte arbeitsfähig. Er erkrankte am 7. September erneut an Lumbalgie, HWS/LWS-Syndrom und wurde deswegen bis zum 18. Oktober krankgeschrieben. Die Beklagte zahlte ihm den Lohn jedoch nur für die Zeit vom 7. September bis zum 7. Oktober (d. h. für 31 Tage) fort. Dabei rechnete sie zur Erreichung des sechswöchigen Lohnfortzahlungszeitraums (42 Tage) die 11 Tage der Vorerkrankung vom 20. bis zum 30. Juni an. Die Klägerin gewährte dem Versicherten daraufhin für die Dauer vom 8. bis zum 18. Oktober 1988 (d. h. für 11 Tage) Krankengeld in Höhe von insgesamt 843,70 DM. In Höhe dieses Betrages verfolgt sie mit ihrer Klage den auf sie übergegangenen, nach ihrer Ansicht bestehenden Lohnanspruch des Versicherten. Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte hätte im zweiten Krankheitszeitraum des Versicherten (7. September bis 18. Oktober) Lohnfortzahlung für volle sechs Wochen leisten müssen, ohne Zeiten aus dem ersten Krankheitszeitraum anrechnen zu dürfen.

Die Klägerin hat daher beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 843,70 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, der Lohnfortzahlungszeitraum für die Wirbelsäulenerkrankung des Versicherten habe schon am 20. Juni 1988 begonnen, so daß sie, die Beklagte, lediglich verpflichtet sei, den Lohn für die weitere Arbeitsunfähigkeit für weitere 31 Tage, nämlich bis zum 7. Oktober 1988, fortzuzahlen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin ihr Klageziel weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht der verlangte Betrag aus übergegangenem Recht (§ 115 SGB X) als Lohnfortzahlung ihres Versicherten für die Zeit vom 8. bis zum 18. Oktober 1988 (11 Tage) gegen die Beklagte zu.

1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG behält der Arbeiter bei Arbeitsunfähigkeit infolge unverschuldeter Krankheit den Anspruch auf Arbeitsentgelt jeweils bis zur Verhinderungsdauer von sechs Wochen. Anders ist die Rechtslage dagegen zu beurteilen bei einer auf einem nicht ausgeheilten Grundleiden beruhenden Fortsetzungskrankheit des Arbeiters. Bei Arbeitsunfähigkeit “infolge derselben Krankheit” behält der Arbeiter den Lohnanspruch innerhalb eines Zeitraumes von 12 Monaten nur für die Dauer von insgesamt sechs Wochen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 LFZG). Wird der Arbeiter innerhalb Jahresfrist wegen derselben Krankheit verschiedentlich arbeitsunfähig, braucht der Arbeitgeber ihm nur für insgesamt sechs Wochen das Arbeitsentgelt weiterzugewähren. Diese Regelung beruht auf einer besonderen Zumutbarkeitserwägung des Gesetzgebers und soll den Arbeitgeber entlasten (BAG Urteil vom 27. Juli 1977 – 5 AZR 318/76 – AP Nr. 43 zu § 1 LohnFG, zu 2b und c der Gründe). Der Ausnahmefall, daß der Arbeiter vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 LFZG) liegt hier nicht vor und braucht daher nicht weiter erörtert zu werden.

Der Anspruch eines Arbeiters auf Lohnfortzahlung ist aber auch dann auf sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit begrenzt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit hinzutritt, die ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führt. In diesem Fall kann der Arbeiter bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles: BAGE 37, 172 = AP Nr. 48 zu § 1 LohnFG).

2. In dem ersten Krankheitszeitraum (25. Mai bis 30. Juni 1988) war der Versicherte nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wegen eines Zwölffingerdarmgeschwürs arbeitsunfähig krank. Für die Zeit vom 20. bis zum 30. Juni trat eine weitere Erkrankung hinzu, hinsichtlich derer offenbleiben kann, ob sie für sich ebenfalls Arbeitsunfähigkeit im Gefolge hatte; denn diese Erkrankung bedingte jedenfalls keine Lohnfortzahlungspflicht der Beklagten. Vielmehr war schon allein die Darmerkrankung des Versicherten für den gesamten Zeitraum des Verhinderungsfalles ursächlich für die eingetretene Arbeitsunfähigkeit. Daher hat diese Erkrankung für sich genommen einen Lohnfortzahlungsanspruch des Versicherten ausgelöst, während die während des Zeitraumes der Arbeitsverhinderung des Versicherten hinzugetretene Wirbelsäulenerkrankung keinen eigenen, zusätzlichen Lohnfortzahlungsanspruch begründet hat.

3. Dagegen lagen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG für die am 7. September 1988 beginnende erneute Wirbelsäulenerkrankung des Versicherten vor. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen begründet die Zahlungspflicht der Beklagten bis einschließlich 18. Oktober 1988, also auch für die hier streitige Zeit.

Eine Anknüpfung an den Vorerkrankungszeitraum (20. bis 30. Juni) wäre nur gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG möglich. Die Vorerkrankung des Versicherten kann aber nicht als Beginn einer Fortsetzungserkrankung gewertet werden, weil sie lediglich zu einer bereits bestehenden, ihrerseits zur Arbeitsunfähigkeit führenden Krankheit hinzugetreten ist und für die Beklagte als Arbeitgeberin nicht zu einer Lohnfortzahlungsverpflichtung geführt hat.

Damit wird aber deutlich, daß kein Raum für den Schutz des Arbeitgebers besteht, den der Gesetzgeber ihm aus Zumutbarkeitsüberlegungen durch § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG im Fall der Fortsetzungserkrankung gewähren wollte. Zumutbarkeitsgesichtspunkte müssen daher für die Zeit der Zahlungspflicht der Beklagten vom 20. bis zum 30. Juni 1988 entfallen. Zwischen der Wirbelsäulenerkrankung des Versicherten in der Zeit vom 20. bis zum 30. Juni und vom 7. September bis zum 18. Oktober besteht kein Fortsetzungszusammenhang im Rechtssinne. Vielmehr stellt sich die spätere Arbeitsunfähigkeit ab 7. September als auf einer selbständigen Krankheit beruhend dar, die einen neuen Lohnfortzahlungsanspruch des Versicherten ausgelöst hat.

4. Allerdings hat der Senat in seinem Urteil vom 22. August 1988 (BAGE 46, 253 = AP Nr. 60 zu § 1 LohnFG) entschieden, daß der Fortsetzungszusammenhang im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 LFZG nicht unterbrochen werde, wenn neben eine Fortsetzungserkrankung eine weitere mit Arbeitsunfähigkeit verbundene Krankheit tritt, die einen selbständigen Verhinderungsfall bildet. In diesem Fall sollte ein Arbeiter wegen eines Bronchialleidens, an dem er zuvor schon arbeitsunfähig erkrankt gewesen war, eine Kur antreten, brach sich jedoch einige Zeit vor Kurantritt den Arm und wurde deswegen arbeitsunfähig krank. Nach Beendigung der Kur war er erneut wegen seines nicht ausgeheilten Bronchialleidens arbeitsunfähig krank. Bei dieser Fallgestaltung hat der Senat angenommen, das Auftreten eines neuen, selbständigen Verhinderungsgrundes im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ändere den Charakter der Fortsetzungserkrankung nicht. Demgegenüber unterscheiden sich die maßgeblichen tatsächlichen Umstände des Streitfalles wesentlich.

Zwar überschneiden sich auch im vorliegenden Fall zwei Krankheitsursachen für die Zeit vom 20. bis zum 30. Juni 1988. Die Interessenlage ist jedoch anders als in dem oben erwähnten Fall zu beurteilen. Im Streitfall ist nicht ein selbständiger, zwischen den Krankheitszeiten der Fortsetzungserkrankung liegender neuer Verhinderungsfall eingetreten, sondern zu einem bereits bestehenden Verhinderungstatbestand ein neuer Verhinderungstatbestand hinzugetreten, ohne seinerseits eine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers auszulösen. Hieraus wird deutlich, daß für die Entscheidung des Streitfalles nicht auf Zumutbarkeitserwägungen abgestellt werden kann, sondern daß die Frage der Ursächlichkeit des ersten Verhinderungsfalles entscheidend ist. Ursächlich war damals aber die Darmerkrankung des Versicherten, nicht aber die zusätzlich hinzugetretene Wirbelsäulenerkrankung. Darin liegt der wesentliche Unterschied des Streitfalles gegenüber dem vom Senat am 22. August 1984 entschiedenen Fall.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Dr. Kukies, Arntzen

 

Fundstellen

BAGE, 115

BB 1991, 2159

RdA 1991, 383

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