Entscheidungsstichwort (Thema)

Baugewerbliche Tätigkeiten. Betrieb des Glaser- oder Schreinerhandwerks

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Betrieb, der baugewerbliche Tätigkeiten verrichtet, ist nur dann aufgrund der Ausnahmebestimmungen des § 1 Abs. 2 Abschnitt VII VTV vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen, wenn er zu über 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit Tätigkeiten ausübt, die einem der Ausnahmetatbestände des § 1 Abs. 2 Abschnitt VII VTV zuzuordnen sind.

Eine Zusammenrechnung einzelner, verschiedenen Ausnahmetatbeständen des § 1 Abs. 2 Abschnitt VII VTV zuzuordnender Tätigkeiten erfolgt nicht.

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Bau; Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 12. November 1986 (VTV) § 1 Abs. 2 Abschn. II, Abschn. V Nr. 1, Abschn. VII Nrn. 3, 8; BGB §§ 197, 201, 209; TVG § 4 Abs. 4 S. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 26.02.1993; Aktenzeichen 15 Sa 898/91)

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 17.04.1991; Aktenzeichen 6 Ca 4328/90)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte im Klagezeitraum einen Baubetrieb im Sinne der Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes unterhalten hat und deshalb zur Beitragszahlung an die Klägerin verpflichtet ist.

Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (ZVK). Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Sie nimmt die Beklagte auf Beitragszahlung für bei ihr beschäftigte Arbeiter und Angestellte für den Zeitraum Dezember 1985 bis April 1989 in Anspruch.

Nach dem Eintrag im Handelsregister sind Gegenstand des Unternehmens der Beklagten die Durchführung von Bauabdichtungen und Verfugungen aller Art auf Kunststoffbasis sowie Handelsgeschäfte aller Art mit Ausnahme von Bankgeschäften.

Die ZVK trägt vor, die Beklagte habe im Klagezeitraum arbeitszeitlich überwiegend, d. h. zu mehr als 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit, folgende Tätigkeiten ausgeführt:

Herstellen von Dehnungs- und Anschlußverfugungen zwischen Badewannen, Duschzellen, Waschbekken zur Wand, von Fensterverfugungen zwischen Fensterrahmen und Wand, von Türverfugungen zwischen Türzargen und Wand sowie Verfugungen zwischen Decken-, Wand- und Bodenfliesen und Plattenbelägen.

Soweit die Beklagte die Glasversiegelung und die Anbringung von Kunststoff-Fugen an Fenstern in den Werkstätten von Glasereibetrieben anführe, machten diese Tätigkeiten weniger als 10 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit aus.

Die ZVK ist der Meinung, die Beklagte unterfalle mit diesen Tätigkeiten dem betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), da es sich bei den Tätigkeiten der Beklagten um baugewerbliche handele.

Der VTV vom 19. Dezember 1983 und vom 12. November 1986 hatte – soweit vorliegend von Interesse – im Klagezeitraum folgenden Wortlaut:

“§ 1

Geltungsbereich

  • Betrieblicher Geltungsbereich:

    Betriebe des Baugewerbes. Das sind alle Betriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen.

Abschnitt I

Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerbliche Bauten aller Art erstellen.

Abschnitt II

Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfaßt, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.

Abschnitt III

Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I oder II erfaßt, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – gewerblich sonstige bauliche Leistungen erbringen.

Abschnitt V

Zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören z. B. diejenigen, in denen Arbeiten der nachstehend aufgeführten Art ausgeführt werden:

1. Abdichtungsarbeiten gegen Feuchtigkeit;

Abschnitt VII

Nicht erfaßt werden Betriebe

  • (VTV vom 19. Dezember 1983: Nr. 4):

    des Glaserhandwerks,

  • (VTV vom 19. Dezember 1983: Nr. 9)

    des Schreinerhandwerks sowie der holzbe- und -verarbeitenden Industrie, soweit nicht Fertigbau-, Dämm- (Isolier-) oder Trockenbau- und Montagebauarbeiten ausgeführt werden.”

Die ZVK hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 82.490,50 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie behauptet, sie habe im Klagezeitraum folgende Arbeiten – jeweils zu einem Drittel der betrieblichen Gesamtarbeitszeit – ausgeführt:

  • Anbringen von Kunststoff-Fugen in den Werkstätten von Glaserei-Betrieben an Fenstern, welche von diesen hergestellt worden seien; hierbei handele es sich um “Befestigen” der Glasscheiben bzw. Wärmedämmung und nicht um “Abdichtungen gegen Feuchtigkeit”;
  • dergleichen Arbeiten für Schreinerei-Betriebe beim Befestigen von Türrahmen;
  • dergleichen Arbeiten für Boden-Verlegebetriebe zum Bündigmachen mit den jeweiligen Wänden im Zusammenhang mit Fliesenlegearbeiten.

Die Beklagte ist der Meinung, damit habe sie überwiegend Tätigkeiten des Glaserhandwerks und des Schreinerhandwerks durchgeführt, so daß ihr Betrieb nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 3 und 8 nicht vom VTV erfaßt werde.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 82.490,50 DM verurteilt und die Revision zugelassen. Mit dieser begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts. Die ZVK beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Betrieb der Beklagten fällt unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV, so daß der ZVK die geltend gemachten Beitragsansprüche zustehen.

I. Das Landesarbeitsgericht führt im wesentlichen aus, daß sowohl nach dem Sachvortrag der Klägerin als auch nach dem Vorbringen der Beklagten der Betrieb als Betrieb des Baugewerbes im Sinne des VTV anzusehen sei.

Sowohl die von der Beklagten genannten Verfugungsarbeiten beim Befestigen von Türrahmen als auch die Verfugungen im Zusammenhang mit dem Verlegen von Bodenfliesen stellten “Abdichtungsarbeiten gegen Feuchtigkeit” im Sinne des § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 1 VTV dar.

Da die Beklagte vorgetragen habe, daß sie die von ihr geschilderten Tätigkeiten zu je einem Drittel ausübe, ergebe sich aufgrund ihres Vortrages, daß zwei Drittel ihrer betrieblichen Gesamtarbeitszeit dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV zuzuordnen seien.

Selbst wenn die Verfugungsarbeiten im Glaserbereich als Tätigkeit des Glaserhandwerks einzustufen seien, würden diese Arbeiten nur ein Drittel der betrieblichen Gesamtarbeitszeit ausmachen, mit der Folge, daß die Beklagte keinen Betrieb des Glaserhandwerks betreibe und somit nicht von der Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 3 VTV erfaßt werde.

Ebensowenig reichten die zu einem Drittel der Arbeitszeit durchgeführten Verfugungen im Schreinerbereich aus, um die Beklagte als Betrieb des Schreinerhandwerks im Sinne der Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 8 VTV zu betrachten.

II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis und zum Teil in der Begründung beizutreten.

1. Die Beklagte hat vorgetragen, daß in ihrem Betrieb im Klagezeitraum folgende Arbeiten durchgeführt worden sind:

  • Verfugungen zwischen Fensterrahmen und Wand beim Einbau von Fenstern, bei denen sie zuvor die Glasscheiben im Rahmen versiegelt habe,
  • Verfugungen von Türen, d. h. Verbindung der Türrahmen mit den Wänden und
  • Verfugungsarbeiten im Zusammenhang mit Fliesenlegearbeiten zum Bündigmachen der Fliesen mit den Wänden.

Des weiteren hat die Beklagte eingeräumt, daß sie für diese drei Tätigkeitsbereiche je ein Drittel ihrer betrieblichen Gesamtarbeitszeit aufwende.

2. Unzutreffend hat das Landesarbeitsgericht die unter b) und c) aufgeführten Tätigkeiten als “Abdichtungsarbeiten gegen Feuchtigkeit” im Sinne des § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 1 VTV betrachtet.

Unter solchen Abdichtungsarbeiten sind Maßnahmen zum Schutze des Bauwerks gegen Erdfeuchtigkeit (Grundwasser) und Luftfeuchtigkeit (Regen, Nebel u. ä.) zu verstehen (BAG Urteil vom 22. April 1987 – 4 AZR 344/86 –, n. v., und BAG Urteil vom 27. Januar 1993 – 10 AZR 203/91 –, n. v.).

Daß die von der Beklagten ausgeführten Verfugungsarbeiten beim Einbau von Türen und beim Verfugen im Rahmen von Fliesenlegearbeiten an Fußböden vorliegend diesem Zwecke dienen, läßt sich weder den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch dem Sachvortrag der Parteien entnehmen.

3. Der Betrieb der Beklagten wird aber nach § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfaßt.

Nach dieser Tarifnorm gelten als Betriebe des Baugewerbes diejenigen, die gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.

Mit der Verfugung von Türen bei deren Einbau und den Verfugungen im Zusammenhang mit Fliesenlegearbeiten erbringt die Beklagte “baulichen Leistungen” im Sinne des § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV (vgl. BAG Urteil vom 28. Juli 1993 – 10 AZR 556/92 –, n. v.). Sie wirkt durch diese Tätigkeiten bei der Erstellung bzw. Instandhaltung oder Änderung von Bauten mit. Mit ihrer weiten Formulierung haben die Tarifvertragsparteien nämlich nicht nur das Bauhauptgewerbe, sondern auch das Ausbaugewerbe und das Bauhilfsgewerbe erfassen wollen. Die Regelung in § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV, durch welche Betriebe des Ausbaugewerbes vom Geltungsbereich des VTV ausgenommen werden, wäre nämlich überflüssig, wenn diese Betriebe auch ohne die Ausnahmeregelung dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV gar nicht unterfielen (vgl. BAG Urteil vom 5. September 1990 – 4 AZR 82/90 – AP Nr. 135 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Da ein Bauwerk nach der Verkehrsauffassung nicht schon mit der Fertigstellung des Rohbaus baulich vollendet ist, sondern erst dann, wenn es bestimmungsgemäß genutzt werden kann, gehören auch die Verfugungen von Türrahmen und die Verfugungen im Zusammenhang mit Fliesenlegearbeiten zu den der Erstellung eines Bauwerkes dienenden baulichen Leistungen im Sinne des § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV. Auch wenn die Beklagte diese Tätigkeiten im Rahmen von Umbaumaßnahmen oder Instandsetzungsarbeiten in bereits fertiggestellten Häusern verrichtet, unterfallen diese Arbeiten der Tarifnorm.

Somit stellen die oben unter b) und c) genannten Tätigkeiten der Beklagten bauliche Leistungen im Sinne des § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV dar. Da die Beklagte diese Arbeiten nach eigenen Angaben zu jeweils einem Drittel ihrer betrieblichen Gesamtarbeitszeit durchführt, erbringt sie arbeitszeitlich zu über 50 % der Gesamtarbeitszeit bauliche Leistungen, so daß ihr Betrieb als Ganzes unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV fällt.

4. Zugunsten der Beklagten greift keiner der Ausnahmetatbestände des § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV ein.

Es kann letztlich dahinstehen, ob die Verfugungsarbeiten der Beklagten im Zusammenhang mit dem Einbau von Fenstern dem Glaserhandwerk und diejenigen im Zusammenhang mit dem Einbau von Türen dem Schreinerhandwerk zuzurechnen sind.

Nach dem Sachvortrag der Beklagten verrichtet sie diese Tätigkeiten jeweils zu einem Drittel ihrer betrieblichen Gesamtarbeitszeit. Damit betreibt sie weder einen Betrieb des Glaserhandwerks im Sinne des § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 3 VTV noch einen solchen des Schreinerhandwerks im Sinne des § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 8 VTV.

Ein Betrieb im Sinne der Ausnahmetatbestände des § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV liegt nur dann vor, wenn in diesem arbeitszeitlich zu mehr als der Hälfte Tätigkeiten verrichtet werden, die als solche dem jeweiligen Handwerks- oder Gewerbezweig zuzuordnen sind.

Ob ein Betrieb zu einem bestimmten Handwerks- oder Gewerbezweig zählt, bestimmt sich im allgemeinen danach, welche Betriebstätigkeit überwiegt, d. h., es kommt darauf an, mit welchen Tätigkeiten die Arbeitnehmer des Betriebes überwiegend beschäftigt werden (vgl. BAGE 56, 357 = AP Nr. 18 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel, m.w.N.).

Auch bei der Prüfung der Frage, ob ein Betrieb Tätigkeiten i. S. der Beispiele des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV verrichtet oder sonst nach § 1 Abs. 2 Abschn. I bis IV VTV als Betrieb des Baugewerbes vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfaßt wird, ist maßgebend, ob von den Arbeitnehmern des Betriebes arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten im Sinne dieser Tarifnormen erbracht werden. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst oder auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dabei nicht an (BAG Urteil vom 19. Januar 1994 – 10 AZR 557/92 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

Somit ist davon auszugehen, daß die Beklagte weder einen Betrieb des Glaser- noch einen solchen des Schreinerhandwerks betreibt, weil sie nach eigenem Sachvortrag lediglich zu einem Drittel Glaser- und einem weiteren Drittel Schreinertätigkeiten verrichtet.

5. Die Schreiner- und Glasertätigkeiten können auch nicht zusammengerechnet werden mit der Folge, daß die Beklagte zusammengenommen zu über 60 % Tätigkeiten des Schreiner- und Glaserhandwerks verrichtet und somit wegen der Ausnahmetatbestände des § 1 Abs. 2 Abschn. VII Nr. 3 und Nr. 8 VTV nicht dem Geltungsbereich des VTV unterfällt.

Gegen die Zusammenrechnung von Tätigkeiten, die unter verschiedene Ausnahmetatbestände fallen, spricht zunächst der Wortlaut des § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV. Nach diesem werden “Betriebe des Glaserhandwerks” und “Betriebe des Schreinerhandwerks” nicht vom Geltungsbereich des VTV erfaßt. Die Tarifnorm läßt nicht erkennen, daß Betriebe, die nicht überwiegend Tätigkeiten verrichten, die unter einen der Ausnahmetatbestände des § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV fallen, dann als Ganzes nicht vom VTV erfaßt werden sollen, wenn die einzelnen, jeweils einem der Beispielsfälle des § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV zuzuordnenden Tätigkeiten im Falle ihrer Zusammenrechnung die überwiegende Betriebstätigkeit darstellen.

Gegen eine solche Auslegung des § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV spricht auch der Sinn und Zweck der tariflichen Regelung.

Wie bereits das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt, ist Zweck des Ausnahmekataloges, Tarifkonkurrenz oder Tarifpluralität zu vermeiden. Die Regelung in § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV soll verhindern, daß ein Arbeitsverhältnis von mehreren konkurrierenden Tarifverträgen erfaßt wird (Tarifkonkurrenz) oder daß in einem Betrieb, je nach Verbandszugehörigkeit der einzelnen Arbeitnehmer oder Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen mehrere Tarifverträge Anwendung finden (Tarifpluralität) (vgl. Karthaus/Müller, BRTV, 4. Aufl., Anm. zu § 1 Abs. 2 Abschn. VI und VII BRTV).

Für die im Ausnahmekatalog aufgeführten Betriebe bestehen regelmäßig gesonderte Tarifverträge. Würde der VTV diese Betriebe nicht von seinem betrieblichen Geltungsbereich ausnehmen, käme es infolge der Allgemeinverbindlichkeit des VTV zur Tarifkonkurrenz bzw. Tarifpluralität, wenn diese anderweitigen Tarifverträge entweder ebenfalls allgemeinverbindlich sind bzw. wenn entsprechende Tarifbindung infolge Verbandszugehörigkeit besteht.

Eine solche Tarifkonkurrenz bzw. Tarifpluralität könnte aber nur dann eintreten, wenn der in § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV genannte Betrieb seinerseits dem betrieblichen Geltungsbereich des anderen Tarifvertrages unterfiele. Dies wiederum würde voraussetzen, daß seine Arbeitnehmer überwiegend Tätigkeiten des Gewerbezweiges verrichten, den dieser Tarifvertrag betrieblich erfaßt.

Erbringen die Arbeitnehmer eines Betriebes aber nur teilweise – also nicht überwiegend – Arbeitsleistungen, die in einem Betrieb der in § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV genannten Art üblicherweise verrichtet werden, so kann es zu einer Tarifkonkurrenz bzw. einer Tarifpluralität nicht kommen. Deshalb kann nicht angenommen werden, die Tarifvertragsparteien hätten entgegen dem Wortlaut dieser Tarifnorm auch solche Betriebe vom Geltungsbereich des VTV ausnehmen wollen, für die eine Tarifkonkurrenz bzw. -pluralität in der oben dargestellten Weise grundsätzlich nicht eintreten kann. Da der Betrieb der Beklagten weder überwiegend Tätigkeiten des Glaserhandwerks noch überwiegend solche des Schreinerhandwerks verrichtet, kann er ebensowenig den Tarifverträgen des Schreinerhandwerks wie denjenigen des Glaserhandwerks unterfallen, so daß insoweit eine Tarifkonkurrenz bzw. -pluralität nicht in Betracht kommt.

6. Demnach ist auf den Betrieb der Beklagten der VTV anzuwenden. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte damit im Ergebnis zu Recht zur Beitragszahlung auf der Grundlage der von der Beklagten nicht mehr bestrittenen Bruttolohnsumme verurteilt.

Daß eine Verjährung der Klageforderung wegen rechtzeitiger gerichtlicher Geltendmachung nach § 201, § 209 BGB innerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist des § 197 BGB (vgl. BAG Urteil vom 20. Oktober 1982 – 4 AZR 1211/79 – AP Nr. 45 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau) und eine Verwirkung des Klageanspruches nicht eingetreten ist, hat das Landesarbeitsgericht zutreffend entschieden.

Es kann dahinstehen, ob – wie das Landesarbeitsgericht meint – § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG auch eine Verwirkung von Beitragsansprüchen nach dem VTV ausschließt. Auf jeden Fall führt der Umstand, daß die ZVK erstmals im Jahre 1990 Beitragsansprüche gegen die Beklagte geltend gemacht hat, nicht zur Verwirkung der Ansprüche. Alleine die Nichtgeltendmachung von Ansprüchen über einen längeren Zeitraum führt nämlich nicht zur Verwirkung. Hinzukommen muß noch, daß aufgrund des gesamten Verhaltens des Berechtigten der Schuldner sich darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, dieser werde sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen (Palandt, BGB, 51. Aufl., § 242 Rz 87, m.w.N.).

Die Beklagte hat nicht dargelegt, welche weiteren Umstände außer der verzögerten Geltendmachung der Beitragsansprüche durch die ZVK vorgelegen haben, aus denen sie darauf schließen konnte, sie werde zur Beitragszahlung nicht mehr herangezogen.

Der Klageanspruch ist infolge der Geltendmachung im Jahre 1990 auch nicht nach § 31 Abs. 1 VTV i.d.F. vom 12. November 1986 verfallen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Freitag, Hauck, Böck, Hermann, Walther

 

Fundstellen

Haufe-Index 856705

BB 1994, 1720

NZA 1995, 484

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