Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulage nach § 33 Abs. 1 Buchst. c BAT

 

Leitsatz (redaktionell)

Zulage für Arbeitstherapeuten bei Zusammenarbeit mit und Beaufsichtigung von geisteskranken Patienten

 

Normenkette

BAT § 33

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 12.04.1995; Aktenzeichen 10 Sa 136/94)

ArbG Berlin (Urteil vom 31.08.1994; Aktenzeichen 94 Ca 10266/94)

 

Tenor

1. Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 12. April 1995 – 10 Sa 136/94 – wird zurückgewiesen.

2. Das beklagte Land trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Zulage nach § 33 Abs. 1 Buchst. c BAT.

Der Kläger steht seit 1983 als Angestellter in den Diensten des beklagten Landes. Er ist gelernter Buchdrucker und wird als Arbeitstherapeut unter Vergütung nach VergGr. V c BAT in der Nervenklinik S. beschäftigt. Zusätzlich zur Vergütung zahlte das Land Berlin bis zum 31. Dezember 1990 eine Zulage in Höhe von 30,00 DM brutto monatlich.

Auf das Arbeitsverhältnis findet der BAT und die diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträge Anwendung.

Die tariflichen Bestimmungen haben, soweit vorliegend von Interesse, folgenden Wortlaut:

„…

§ 33

Zulagen

(1) Der Angestellte erhält für die Zeit, für die ihm Vergütung (§ 26) zusteht, eine Zulage,

c) wenn er regelmäßig und nicht nur in unerheblichem Umfange besonders gefährliche oder gesundheitsschädliche Arbeiten auszuführen hat und hierfür kein anderweitiger Ausgleich zu gewähren ist.

(6) Unter welchen Voraussetzungen im Falle des Abs. 1 Buchst. c eine Arbeit als besonders gefährlich oder gesundheitsschädlich anzusehen ist, und in welcher Höhe die Zulage nach Abs. 1 Buchst. c zu gewähren ist, wird zwischen dem Bund, der Tarifgemeinschaft Deutscher Länder, der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände und den vertragschließenden Gewerkschaften jeweils gesondert vereinbart. In den Vereinbarungen können auch Bestimmungen über eine Pauschalierung getroffen werden.

…”

Die hier in Betracht kommende Nr. 5 des § 1 Abs. 1 des Tarifvertrages über die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 6 BAT vom 11. Januar 1962 lautet:

„(1) Zulagen in Monatsbeträgen erhalten:

(5) Pflegepersonen in psychiatrischen Krankenhäusern (Heil- und Pflegeanstalten) oder psychiatrischen Kliniken, Abteilungen oder Stationen,

Pflegepersonen in neurologischen Kliniken, Abteilungen oder Stationen, die ständig geisteskranke Patienten pflegen,

Angestellte in psychiatrischen oder neurologischen Krankenhäusern, Kliniken oder Abteilungen, die im EEG-Dienst oder in der Röntgendiagnostik ständig mit geisteskranken Patienten Umgang haben,

Angestellte der Krankengymnastik, die überwiegend mit geisteskranken Patienten Umgang haben,

sonstige Angestellte, die ständig mit geisteskranken Patienten zu arbeitstherapeutischen Zwecken zusammenarbeiten oder sie hierbei beaufsichtigen,

Monatsbetrag 30,00 DM.”

Der Kläger betreut in der Werkstatt Buchbinderei/Druckerei gemeinsam mit einem weiteren Mitarbeiter eine Gruppe von durchschnittlich 15 Patienten, von denen mindestens 2/3 geisteskrank sind. Die restlichen Patienten gelten nicht (mehr) als geisteskrank, weil sie nicht aus den verschiedenen psychiatrischen Krankenhausstationen, sondern aus dem angegliederten Patientenübergangswohnheim kommen und sich auf dem Wege der Besserung befinden bzw. ambulant behandelt werden.

Die tägliche Arbeitszeit des Klägers beginnt um 7.30 Uhr und endet einschließlich einer Pause um 16.00 Uhr. Die Zusammenarbeit mit den Patienten erfolgt in der Zeit von 8.00 Uhr bis 15.30 Uhr mit einer 90 minütigen Unterbrechung von 11.00 Uhr bis 12.30 Uhr. Nach der Psychiatriepersonalbemessungsverordnung müssen 74 % der Arbeitszeit direkt mit den Patienten und 26 % für Vor- und Nachbereitung verbracht werden.

Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe auch ab dem 1. Januar 1991 die Gefahrenzulage von 30,00 DM monatlich zu, da er auch weiterhin ständig mit geisteskranken Patienten zusammenarbeite oder sie beaufsichtige.

Der Kläger hat in der Berufungsinstanz zuletzt beantragt,

  1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 1.380,00 DM brutto (Zeitraum: 01.01.1991 bis 31.10.1994 = 46 Monate × 30,00 DM) nebst 4 % Zinsen auf den sich aus dem Bruttobetrag von 810,00 DM ergebenden Nettobetrag seit dem 18.04.1994 sowie auf den sich aus einem Bruttobetrag von 570,00 DM ergebenden Nettobetrag seit dem 01.12.1994 zu zahlen;
  2. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, an ihn über den 31.10.1994 hinaus eine Zulage in Höhe von 30,00 DM monatlich zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es meint, dem Kläger stehe die begehrte Zulage nicht zu. Er arbeite nicht ausschließlich mit Geisteskranken zusammen, sondern auch mit nichtgeisteskranken Patienten des Übergangswohnheims oder mit ambulanten Patienten, von denen keine Gefährdung ausgehe. Von einer „ständigen” Zusammenarbeit oder Beaufsichtigung von geisteskranken Patienten könne nicht gesprochen werden, wenn nur 2/3 der Patienten geisteskrank seien. Das Merkmal „ständig” könne außerdem nicht ohne Rücksicht auf die Arbeitszeit des Klägers und die Anwesenheitszeit der geisteskranken Patienten bejaht werden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen; das Landesarbeitsgericht hat ihr (mit erweitertem Zahlungsantrag) stattgegeben. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land die Wiederherstellung des klageabweisenden arbeitsgerichtlichen Urteils. Der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des beklagten Landes ist nicht begründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht dem Kläger einen Anspruch auf Zahlung der Zulage nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 der 5. Alternative des Tarifvertrages über die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 6 BAT vom 11. Januar 1962 zuerkannt.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch nach dem Tarifvertrag über die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1 Buchst. c BAT zu. Er erfülle die Anspruchsvoraussetzungen, weil er ständig mit geisteskranken Patienten zu arbeitstherapeutischen Zwecken zusammenarbeite oder diese beaufsichtige. Unschädlich sei, daß sich die Patientengruppe zu einem Drittel aus nicht (mehr) geisteskranken Patienten zusammensetze, da eine Aufsplittung der Tätigkeit des Klägers entsprechend der Zusammensetzung der Patientengruppe nicht zulässig sei. Nach der Tarifvorschrift müsse der Kläger entweder mit den Geisteskranken unmittelbar arbeiten oder diese zumindest beaufsichtigen, während er sich mit den anderen Patienten beschäftige, die nicht mehr als geisteskrank anzusehen seien. Dem Anspruch des Klägers stehe auch nicht entgegen, daß die Patienten nicht während der gesamten Arbeitszeit des Klägers anwesend seien, sondern die notwendigen Vor- und Nacharbeiten in Abwesenheit der Patienten erfolgten. Die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „ständig” im Sinne von „fast ausschließlich” setze keine hundertprozentige Befassung mit den Patienten voraus.

Dem Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis und in der Begründung zuzustimmen.

II. Der Kläger kann die Zahlung der Zulage nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 der 5. Alternative des Tarifvertrages über die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1 Buchst. c BAT auch für die Zeit ab 1. Januar 1991 verlangen.

1. Die Klage ist auch im Umfang der vom Kläger im Berufungsrechtszug vorgenommenen Klageerweiterung nach § 64 Abs. 6 ArbGG in Verb. mit §§ 523, 264 Nr. 2 ZPO zulässig. Bleibt der Klagegrund gleich, ist der Übergang von der Feststellungs- zur Leistungsklage und umgekehrt sowie die Geltendmachung weitergehender Rechtsfolgen zulässig, ohne daß der Beklagte zustimmen oder das Gericht sie für sachdienlich erachten müßte (BGH Urteil vom 4. Oktober 1984 – VII ZR 162/83 – BGH Warn 1984 Nr. 273). Da der Kläger bei gleichbleibendem Klagegrund lediglich seinen Leistungsantrag nach Eintritt der Fälligkeit weiterer Monatsbeträge im Laufe des Rechtsstreits erweitert hat, ist diese Klageänderung zulässig.

2. Auch soweit der Kläger Feststellungsklage erhoben hat, bestehen dagegen keine verfahrensrechtlichen Bedenken. Die Feststellungsklage ist zum einen geeignet, den streitigen Gesamtkomplex zwischen den Parteien zu klären, zum anderen ist davon auszugehen, daß das beklagte Land als Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts auch einem nicht zur Zwangsvollstreckung geeigneten Feststellungsurteil Folge leisten wird (BAG Urteil vom 6. Dezember 1978 – 4 AZR 321/77 – AP Nr. 11 zu §§ 22, 23 BAT 1975).

3. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 5 der 5. Alternative des Tarifvertrages über die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1 Buchst. c BAT, denn er arbeitet ständig mit geisteskranken Patienten zu arbeitstherapeutischen Zwecken zusammen oder beaufsichtigt diese. Der Kläger kann daher auch ab dem 1. Januar 1991 die monatliche Zulage in Höhe von 30,00 DM beanspruchen.

a) Das ergibt die Auslegung der Tarifbestimmung. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Ist der Tarifwortlaut nicht eindeutig, so ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamt Zusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Bei Zweifeln können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags oder die praktische Tarifübung hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG Urteil vom 21. Juli 1993 – 4 AZR 468/92 – AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung, m.w.N.).

Nach diesen Auslegungsgrundsätzen folgt aus der Tarifnorm in § 1 Abs. 1 Nr. 5 der 5. Alternative des Tarifvertrages für die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 6 BAT, daß die für den Zulagenanspruch maßgebliche Tätigkeit dauernd oder fast ausschließlich während der Arbeit verrichtet werden muß (BAG Urteil vom 16. Januar 1985 – 7 AZR 226/82 – AP Nr. 10 zu § 33 BAT; BAG Urteil vom 1. Februar 1983 – 3 AZR 408/80 – AP Nr. 5 zu § 33 BAT). Der Kläger muß gerade im Rahmen der für seine Eingruppierung nach § 22 BAT maßgeblichen Tätigkeit als Arbeitstherapeut die zulagenbegründende Tätigkeit „ständig” ausführen, also ständig mit geisteskranken Patienten zusammenarbeiten oder diese beaufsichtigen. Das Tarifmerkmal „ständig” bezieht sich auf den zeitlichen Umfang der Tätigkeit gemessen an der tariflichen Arbeit des Angestellten.

b) Diese Voraussetzung ist erfüllt. In der Gruppe von 15 Patienten, die der Kläger arbeitstherapeutisch betreut, sind ständig mindestens 2/3 geisteskranke Patienten anwesend. Das genügt, um das tarifliche Merkmal der ständigen Zusammenarbeit mit geisteskranken Patienten im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 5 der 5. Alternative des Tarifvertrages über die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 6 BAT zu erfüllen. Voraussetzung ist danach, daß arbeitszeitlich gesehen ständig die Gefährdungssituation durch geisteskranke Patienten, die Grundlage für die Zahlung der Zulage ist (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Bd. III, Teil V, Gefahrenzulagen, Anm. 10), gegeben ist. Auf die Anzahl der zu betreuenden geisteskranken Patienten, von denen die Gefährdung ausgeht, kommt es nicht an. Umfaßt die Gruppe, mit der der Angestellte zu arbeitstherapeutischen Zwecken zusammenarbeitet oder sie hierbei beaufsichtigt, auch geisteskranke Patienten, so ist das Tarifmerkmal „ständig” erfüllt, da die Gefahrensituation durchgehend besteht. Eine Aufsplittung der Tätigkeit danach, wie sich die Patientengruppe zusammensetzt, entspricht nicht dem tarifvertraglichen Ausgangspunkt. Das wird dadurch bestätigt, daß der Angestellte, soweit er mit den nicht geisteskranken Patienten der Gruppe zu arbeitstherapeutischen Zwecken zusammenarbeitet, zumindest die übrigen – geisteskranken – Patienten beaufsichtigt.

Dem Anspruch steht nicht entgegen, daß die geisteskranken Patienten nicht während der gesamten individuellen täglichen Arbeitszeit des Klägers anwesend sind.

Verlangt die Tarifvorschrift in § 1 Abs. 1 Nr. 5 der 5. Alternative des Tarifvertrages über die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 6 BAT, daß der Angestellte ständig mit geisteskranken Patienten zu arbeitstherapeutischen Zwecken zusammenarbeitet oder sie hierbei beaufsichtigt, so bedeutet das, daß der Angestellte während seiner tarifgerechten Tätigkeit mit geisteskranken Patienten zu arbeitstherapeutischen Zwecken zusammenarbeitet oder sie hierbei beaufsichtigt. Das ist beim Kläger der Fall. Maßgeblich für seine Eingruppierung ist die Tätigkeit als Arbeitstherapeut; während dieser Tätigkeit arbeitet er nach dem oben ausgeführten ständig mit geisteskranken Patienten zusammen oder beaufsichtigt sie hierbei. Daß das nicht während der gesamten individuellen Arbeitszeit des Klägers der Fall ist, weil er zu Beginn und am Ende seiner täglichen Arbeitszeit Vor- und Nacharbeiten ausführt und in der Mittagszeit eine Pause stattfindet, führt zu keiner anderen Beurteilung. Maßgeblich ist, daß immer dann, wenn der Kläger mit Patienten arbeitet, geisteskranke Patienten miterfaßt sind, und diese Tätigkeit nach § 22 BAT insgesamt mindestens die Hälfte der Arbeitszeit des Klägers ausmacht. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Psychiatriepersonalbemessungsverordnung, die vorsieht, daß 74 % der Arbeitszeit direkt mit den Patienten gearbeitet wird und 26 % für Vor- und Nachbereitung verbracht werden.

Steht dem Kläger damit eine Zulage nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 der 5. Alternative des Tarifvertrages über die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 6 BAT vom 11. Januar 1962 zu, ist die Revision des beklagten Landes gegen das klagestattgebende Berufungsurteil zurückzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Hauck, Böck, Hermann, Wolf

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1089221

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