Entscheidungsstichwort (Thema)

Ortszuschlag zivildienstleistender Sohn

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Angestellte hat keinen Anspruch auf den höheren Ortszuschlag der Stufe 2 nach § 29 Abschn B Abs 2 Nr 4 BAT, wenn er dem Sohn während der Zivildienstzeit Unterhalt in Form von Unterkunft gewährt und dieser auf die Geltendmachung eines Anspruchs auf Unterkunft gemäß § 6 Abs 1 Zivildienstgesetz gegenüber der Zivildienststelle verzichtet hat.

 

Normenkette

ZDG §§ 35, 6 Abs. 1; BGB § 612 Abs. 2 S. 1, § 1612 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2; BAT § 29 Abschn. B Abs. 2 Nr. 4

 

Verfahrensgang

LAG München (Entscheidung vom 21.10.1992; Aktenzeichen 2 (1) Sa 767/91)

ArbG München (Entscheidung vom 02.10.1991; Aktenzeichen 13 b 5176/91)

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung des Differenzbetrages zwischen dem Ortszuschlag Stufe 1 und 2 (§ 29 Abschn. B Abs. 1 und Abs. 2 Bundes-Angestelltentarifvertrag - BAT) für den Zeitraum, in dem ihr Sohn Zivildienst geleistet hat.

Die Klägerin ist bei der Beklagten im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Bezugnahme der BAT Anwendung.

Der Sohn der Klägerin leistete in der Zeit vom 1. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1991 Zivildienst bei der Blindeninstitutsstiftung Würzburg, Außenstelle München, ab. Von dieser Stelle erhielt er monatliche Bezüge in Höhe von 688,70 DM. In diesem Betrag waren Sold (356,50 DM), Verpflegungszuschuß (200,00 DM), sowie weitere Zuschüsse für Kleidung (68,20 DM) und für Fahrtkosten (64,00 DM) enthalten. Da die Blindeninstitutsstiftung ihm keine Unterkunft zur Verfügung stellte, wohnte er während des Zivildienstes bei der Klägerin.

Am 6. Dezember 1990 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß während des Zivildienstes ihres Sohnes die Voraussetzungen für den erhöhten Ortszuschlag Stufe 2 nach § 29 Abschn. B Abs. 2 Nr. 4 BAT in Verbindung mit Nr. 40.2.9 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesbesoldungsgesetz (BBesGVwV) vom 23. November 1979 (GMBl. 1980 S. 3) weggefallen seien und ihr nur Ortszuschlag Stufe 1 zustehe. Nr. 40.2.9 BBesGVwV (fortan: Verwaltungsvorschrift) lautet:

"In bezug auf ein Kind, das Grundwehrdienst oder

Zivildienst leistet, sind die Voraussetzungen des

§ 40 Abs. 2 Nr. 4 (Gewährung von Unterhalt und

Aufnahme in die Wohnung) nicht gegeben."

Die Klägerin meint, ihr stehe der erhöhte Ortszuschlag der Stufe 2 zu, da sie ihrem Sohn während dessen Zivildienstes Unterhalt in Form kostenfreier Unterkunft gewährt habe. Die Verwaltungsvorschrift könne den Anspruch nicht beseitigen.

Die Klägerin hat die Leistung des Differenzbetrags zwischen dem Ortszuschlag Stufe 1 und Stufe 2 in Höhe von 142,14 DM monatlich für den Zeitraum vom 1. Oktober 1990 bis 31. Dezember 1991, insgesamt 2.132,10 DM brutto verlangt und einen entsprechenden Klageantrag gestellt.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Ortszuschlag der Stufe 2 stehe der Klägerin deshalb nicht zu, weil ihr Sohn während seines Zivildienstes gegen die Blindeninstitutsstiftung Anspruch auf Unterkunft und Verpflegung gehabt habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des Urteils der Vorinstanz zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe einen Anspruch gegen die Beklagte auf Ortszuschlag der Stufe 2 nach § 29 Abschn. B Abs. 2 Nr. 4 BAT, da sie ihrem Sohn während dessen Zivildienst durch Aufnahme in ihre Wohnung Unterhalt gewährt habe. Die Verwaltungsvorschrift finde wegen des eindeutigen Wortlauts der Tarifbestimmung keine Anwendung. Von der Klägerin könne nicht verlangt werden, ihren Sohn auf die Leistungen der Zivildienststelle zu verweisen oder sich Ansprüche ihres Sohnes gegen die Zivildienststelle abtreten zu lassen.

Diesen Ausführungen vermag der Senat nicht zu folgen.

II. Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gemäß § 29 Abschn. B Abs. 2 Nr. 4 BAT keinen Anspruch auf den höheren Ortszuschlag der Stufe 2. Danach erhalten Ortszuschlag der Stufe 2 andere Angestellte, die eine andere Person nicht nur vorübergehend in ihrer Wohnung aufgenommen haben und ihr Unterhalt gewähren, weil sie u. a. dazu gesetzlich oder sittlich verpflichtet sind.

1. Die Klägerin ist "andere Angestellte" im Sinne von Abs. 2 Nr. 4 (vgl. BAGE 57, 218 = AP Nr. 6 zu § 29 BAT; BAG Urteil vom 8. Juni 1983 - 3 AZR 948/79 - AP Nr. 2 zu § 29 BAT). Sie hat ihren Sohn während dessen Zivildienstzeit unstreitig auch nicht nur vorübergehend in ihrer Wohnung aufgenommen.

2. Die Klägerin war jedoch weder gesetzlich noch sittlich verpflichtet, ihrem Sohn während dessen Zivildienstzeit Unterhalt in Form der Unterkunft zu gewähren. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt.

a) Bei der Auslegung des Begriffs Unterhalt im Sinne dieser Tarifnorm ist vom Unterhaltsbegriff des BGB auszugehen (BAGE 45, 36, 41 = AP Nr. 3 zu § 29 BAT, zu I 1 a der Gründe; BAGE 57, 218, 222 = AP, aaO, zu B I 2 a der Gründe). Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren (§ 1601 BGB). Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen; der Unterhalt umfaßt den gesamten Lebensbedarf. Dabei enthält im Unterschied zur Regelung für unverheiratete minderjährige Kinder das Zivilrecht keine Vorschrift, die es dem Elternteil gestattet, die Unterhaltspflicht gegenüber volljährigen Kindern allein durch Pflege und Erziehung zu erfüllen (BAGE 45, 48 = AP Nr. 4 zu § 29 BAT). Nach § 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB ist grundsätzlich eine Geldrente zu entrichten. § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB schränkt diesen Grundsatz bei unverheirateten Kindern dahin ein, daß die Eltern eine andere Art des Unterhalts bestimmen können. Liegen keine besonderen Gründe vor (§ 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB), so können die Eltern den Unterhalt auch in Natur leisten. Das Bestimmungsrecht der Eltern ändert jedoch nichts daran, daß der Anspruch eines volljährigen Kindes nicht allein durch die persönliche Betreuung erfüllt werden kann. Diese gesetzliche Regelung trägt dem Umstand Rechnung, daß der Unterhaltsbedarf im zunehmenden Alter von einem Betreuungsbedarf zu einem Barbedarf führt. Auch für das Vergütungs- und Besoldungsrecht ist beim volljährigen Kind grundsätzlich nur noch der Barbedarf zu berücksichtigen (BAGE 45, 48, 54 = AP, aaO, zu II 1 b der Gründe).

b) Ein Barbedarf des Zivildienstleistenden besteht jedoch grundsätzlich nicht.

Der Bundesgerichtshof (vgl. BGH Urteil vom 29. November 1989 - IV b ZR 16/89 - NJW 1990, 713, 714) hat für den wehrpflichtigen Soldaten angenommen, daß diesem ein Unterhaltsanspruch nicht zusteht, weil er gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Soldatengesetz einen Anspruch auf Geld- und Sachbezüge sowie Heilfürsorge habe. Dadurch sei sein Unterhalt sichergestellt, so daß ein Barbedarf entfalle. Die gleiche rechtliche Ausgangslage besteht für Zivildienstleistende. Gemäß § 35 Zivildienstgesetz (ZDG) finden auf den Zivildienstleistenden in Fragen der Fürsorge, der Heilfürsorge, der Geld- und Sachbezüge, der Reisekosten, sowie des Urlaubs die Bestimmungen des Soldatengesetzes entsprechende Anwendung. Auch der Zivildienstleistende hat damit einen Anspruch auf Geld und Sachbezüge sowie Heilfürsorge, die die Sicherstellung seines Unterhalts gewährleisten. Die Zivildienststellen haben dabei auf ihre Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Arbeitskleidung des Zivildienstleistenden zu sorgen (§ 6 Abs. 1 ZDG).

c) Zwar gewährte die Zivildienststelle dem Sohn der Klägerin weder Unterkunft noch eine entsprechende Geldleistung, gleichwohl folgt daraus kein ergänzender Unterhaltsanspruch auf Unterkunft gegenüber der Klägerin. Der Sohn hat nämlich gemäß § 6 Abs. 1 ZDG insoweit einen Anspruch auf Sicherstellung seines Unterhalts durch Gewährung einer kostenlosen Unterkunft gegenüber seiner Zivildienststelle, auf dessen Geltendmachung er jedoch verzichtet hat. Allein die tatsächliche Gewährung von Unterhalt durch die Aufnahme in die Wohnung der Klägerin während der Zivildienstzeit vermag den tariflichen Anspruch auf den höheren Ortszuschlag mangels eines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs nicht zu begründen.

3. Auch besteht keine sittliche Verpflichtung der Klägerin, ihrem Sohn ergänzenden Unterhalt in Form der Unterkunft zu gewähren.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 40 BBesG (BVerfG Urteil vom 13. September 1990 - 2 C 4.88 - Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 21) setzt eine sittliche Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung voraus, daß der Entzug der Unterhaltsleistungen nach dem Urteil aller billig und gerecht Denkenden gegen ein Gebot des Anstandes verstoßen wurde. Dies gilt auch bei der Anwendung der gleichlautenden Tarifnorm des § 29 BAT (vgl. dazu BAGE 45, 36, 47 = AP, aaO, zu I 2 b der Gründe).

b) Da dem Sohn der Klägerin durch die Zivildienststelle in ausreichendem Maße Leistungen in Form von Sold, Verpflegungszuschuß, Kleidergeld und Fahrtkosten gewährt wurden und ein weiterer Unterhaltsbedarf des Sohnes von der Klägerin nicht vorgetragen wurde, ist nicht ersichtlich, daß der Entzug der Leistung Unterkunft durch die Klägerin gegen das Gebot des Anstandes verstoßen würde.

4. Damit kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr darauf an, ob die Verwaltungsvorschrift bei der Gewährung von Ortszuschlag nach § 29 BAT Anwendung findet.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Dr. Jobs Dr. Armbrüster Dr. Reinecke

Soltau Dr. Steinhäuser

 

Fundstellen

Haufe-Index 440945

BB 1994, 1643

FamRZ 1994, 1453 (L)

NZA 1995, 1222

ZTR 1994, 426-427 (LT1)

AP § 29 BAT (LT1), Nr 10

EzBAT § 29 BAT, Nr 20 (LT1)

PersV 1995, 524 (L)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge