Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialzulage und Betriebsübung. Widerruf. Schriftform

 

Orientierungssatz

1. Für das Entstehen einer betrieblichen Übung ist entscheidend, wie das stetige Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben objektiv aus der Sicht der begünstigten Arbeitnehmer zu bewerten ist. Hat der Arbeitgeber das Vertrauen erweckt, muß er sich daran festhalten lassen. Dabei genügt es, daß er den objektiven Tatbestand der betrieblichen Übung herbeigeführt hat.

2. Nach § 7 Abs 2 der Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbände (AVR) bedürfen Nebenabreden zu ihrer Gültigkeit zwar der Schriftform. Im Gegensatz zu dem Schriftformerfordernis des § 4 Abs 2 BAT wird hier keine konstitutive Schriftform im Sinne der §§ 126, 125 BGB vorausgesetzt. Diese ist nur auf tarifliche Vorschriften anzuwenden. Die AVR sind jedoch kein Tarifvertrag.

3. Da die Sozialleistungen somit als betriebliche Übung Bestandteil des Arbeitsvertrages geworden sind, kann sich der Arbeitgeber von der Verpflichtung zur Zahlung nur durch eine Änderungskündigung befreien.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 242

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 10.01.1984; Aktenzeichen 7 (11) Sa 1126/83)

ArbG Dortmund (Entscheidung vom 16.05.1983; Aktenzeichen 7 Ca 700/83)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, die an die Klägerin gewährten Sozialzulagen (Essenszuschuß und Zuschuß zu den Dienstanfahrtkosten) über den 31. März 1983 hinaus weiter zu zahlen.

Die Klägerin ist seit Februar 1974 in der Verwaltung und Buchhaltung bei dem Beklagten tätig. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritas-Verbandes (AVR) Anwendung. Die Klägerin verdient zur Zeit 2.111,42 DM brutto. Sie ist inzwischen Vorsitzende der beim Beklagten gewählten Mitarbeitervertretung.

Der Beklagte hat bisher, und zwar schon vor dem Jahre 1974, allen Mitarbeitern soziale Leistungen gewährt. Die Zahlung dieser Leistungen ist weder in den Arbeitsverträgen noch in den AVR-Richtlinien vorgesehen. Es handelt sich dabei um einen Essenszuschuß in Höhe von 1,50 DM pro Tag, an dem mehr als sieben Stunden gearbeitet wird, und um einen Zuschuß in Höhe von 50 % der Anfahrtskosten zum Dienstort, die bei Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel entstehen würden, höchstens jedoch 25,-- DM monatlich. Für die Klägerin betrug der Zuschuß für die Anfahrt von Lünen nach Dortmund monatlich 22,92 DM. Ab 1. April 1983 würden ihr, bedingt durch einen Umzug, beim Fortbestand der Regelung monatlich 6,50 DM zustehen.

Mit Schreiben vom 24. Januar 1983 hat der Beklagte die Zuschußzahlungen "anläßlich der allgemeinen schlechten wirtschaftlichen und finanziellen Situation" widerrufen und die Zahlungen mit dem 31. März 1983 eingestellt.

Hiergegen wendet die Klägerin sich mit ihrer Klage. Sie hat die Auffassung vertreten, der Widerruf sei unzulässig. Die Zulagen würden aufgrund einer betrieblichen Übung gezahlt. Diese sei durch die ständige nicht unter Vorbehalt erfolgte Zahlung des Beklagten und die widerspruchslose Entgegennahme der Klägerin stillschweigend Inhalt des Arbeitsvertrages geworden. Ein einseitiger Widerruf der Zulagen sei daher nicht möglich, vielmehr bedürfe es einer Änderungskündigung. Das Schreiben des Beklagten vom 24. Januar 1983 enthalte keine Änderungskündigung; diese sei ihr gegenüber auch nicht durchsetzbar, da sie Mitglied der Mitarbeitervertretung sei.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet

ist, ihr über den 31. März 1983 hinaus die

Hälfte ihrer bei Benutzung öffentlicher

Verkehrsmittel entstandenen Fahrtkosten,

höchstens 25,-- DM, zu zahlen;

2. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet

ist, ihr über den 31. März 1983 hinaus einen

Essenszuschuß in Höhe von 1,50 DM für jeden

Tag, an dem sie mehr als sieben Stunden ar-

beitet, zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, durch die jahrelange vorbehaltlose Gewährung der Sozialzulagen habe er sich nicht auf Dauer gebunden; ein entsprechender Verpflichtungswille sei nicht vorhanden gewesen. Diesem stehe auch § 7 Abs. 2 AVR entgegen, wonach zusätzliche Vereinbarungen zu den Dienstverträgen zu ihrer Gültigkeit der Schriftform bedürften.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat über den 31. März 1983 hinaus Anspruch auf den von dem Beklagten gewährten Essens- und Fahrtkostenzuschuß.

I. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß die Klägerin den geltend gemachten Anspruch nicht auf eine individuelle Vereinbarung mit dem Beklagten stützen kann. Der im Februar 1974 zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag enthält keine Regelung über Sonderzahlungen. Auch in den auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) ist nichts über soziale Zuschläge gesagt.

II. Der Anspruch der Klägerin ergibt sich jedoch aus betrieblicher Übung, die Inhalt des Arbeitsvertrages geworden ist.

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, eine stillschweigende Vereinbarung der Parteien über die Zahlung von Sozialzuschlägen sei nicht Inhalt des Arbeitsvertrags geworden, weil es an einem entsprechenden Verpflichtungswillen des Beklagten gefehlt habe. In der laufenden vorbehaltlosen Gewährung der Zuschußzahlungen liege noch nicht das schlüssige Angebot des Beklagten, die Klägerin auf Dauer entsprechend der betrieblichen Übung zu behandeln. Es müßten andere zusätzliche Momente hinzukommen, die diesen Bindungswillen des Beklagten deutlich machten.

2. Diesen Rechtsausführungen des Berufungsgerichts kann nicht gefolgt werden. Sie stehen in Widerspruch zu den Grundsätzen, die das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung zur betrieblichen Übung entwickelt hat.

a) Unter einer betrieblichen Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen, die bei den Betriebsangehörigen den Eindruck einer Gesetzmäßigkeit oder eines betrieblichen Brauchs erwecken und ein Vertrauen darauf begründen, daß ihnen eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer gewährt wird. Aufgrund dieser Übung erwachsen den Arbeitnehmern vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Vergünstigungen (BAG 23, 213, 217 ff. = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu I der Gründe, seither ständige Rechtsprechung).

b) Für das Entstehen einer betrieblichen Übung ist entscheidend, wie das stetige Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben objektiv aus der Sicht der begünstigten Arbeitnehmer zu bewerten ist (§§ 133, 157 BGB). Hat der Arbeitgeber das Vertrauen erweckt, muß er sich daran festhalten lassen. Dabei genügt es, daß er den objektiven Tatbestand der betrieblichen Übung wissentlich herbeigeführt hat (BAG 23, 213, 220 = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu I 2 b der Gründe; zuletzt BAG 40, 126, 133 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost, zu III 1 a der Gründe).

c) Will der Arbeitgeber verhindern, daß aus der Gleichförmigkeit seines Verhaltens eine in die Zukunft wirkende Bindung entsteht, so muß er einen entsprechenden Vorbehalt erklären, der das Entstehen eines Vertrauenstatbestandes verhindert. Dieser Vorbehalt muß klar und für alle in Betracht kommenden Arbeitnehmer unmißverständlich kundgetan werden (BAG 23, 213, 221 = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu I 2 c der Gründe). In welcher Form der Vorbehalt erklärt wird, etwa durch Aushang oder Rundschreiben oder durch Erklärung gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer bei der Einstellung, bleibt dem Arbeitgeber überlassen. Die Erklärung muß jedoch so gestaltet sein, daß bei den Arbeitnehmern ein Vertrauenstatbestand auf die ständige Gewährung der Vergünstigung nicht entstehen kann (so auch zuletzt Urteil des erkennenden Senats vom 20. März 1985 - 5 AZR 49/84 - unveröffentlicht).

3. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht im Streitfall nicht richtig angewandt. Wenn Zuschußzahlungen über Jahre vorbehaltlos gewährt werden, müssen nicht noch zusätzliche Momente hinzukommen, die den Bindungswillen des Arbeitgebers deutlich machen. Vielmehr muß der Arbeitgeber, wenn er eine Bindung in die Zukunft verhindern will, einen entsprechenden Vorbehalt deutlich machen. Aus dem Vortrag der Parteien ergibt sich ein solcher Vorbehalt nicht. Er ist auch nicht aus den sonstigen Umständen ersichtlich.

a) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Zuschußzahlungen seien als Teil der Gesamtvergütung anzusehen, und die Nettozahlung sei lediglich aus besonderen steuerrechtlichen Gründen erfolgt. Für die Arbeitnehmer sei deutlich gewesen, daß die Zahlungen jeweils an die vorgegebenen Steuerfreibeträge angepaßt werden sollten. Hieraus ergebe sich, daß der Beklagte sich einen jederzeitigen Widerruf vorbehalten habe.

Für eine solche Wertung durch das Berufungsgericht sind jedoch keine tatsächlichen Umstände vorgetragen und festgestellt. Zutreffend weist die Revision darauf hin, es komme nicht darauf an, ob der Arbeitgeber mit dem entsprechenden Verpflichtungswillen gehandelt habe. Entscheidend ist vielmehr, wie der Erklärungsempfänger, hier also der Arbeitnehmer, die Erklärung oder das Verhalten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Begleitumstände verstehen mußte (BAG 39, 271 = AP Nr. 12 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG 40, 126 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost).

b) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Beklagte seinen Mitarbeitern die Dienstanfahrtskosten in Höhe von 50 % der Fahrtkosten, die durch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstehen würden, höchstens jedoch 25,-- DM monatlich gezahlt; er hat ferner einen Essenszuschuß in Höhe von 1,50 DM pro Tag, soweit mehr als sieben Stunden täglich gearbeitet wurden, gewährt. Von welchem Zeitpunkt an der Beklagte diese Zahlungen geleistet hat, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls geschah dies schon vor dem Jahre 1974, als das Arbeitsverhältnis zu der Klägerin begründet wurde. Der Klägerin hat der Beklagte diese Zahlungen neun Jahre lang vorbehaltslos geleistet. Aus der Sicht der Klägerin konnte diese daher nach Treu und Glauben annehmen, daß der Beklagte die Zuschüsse auf die Dauer bezahlen wollte, sofern die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen hierfür gegeben waren. Anhaltspunkte dafür, daß der Beklagte die Zahlungen nur so lange gewähren wollte, wie dies für ihn wirtschaftlich zu vertreten sei, sind nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Die betriebliche Übung, die konkludent Inhalt des Arbeitsvertrags geworden ist, stand mithin nicht unter dem Vorbehalt eines späteren Widerrufs.

4. Die Vereinbarung über die Zahlung des Fahrtkosten- und Essenszuschusses scheitert auch nicht an einer mangelnden Schriftform. Das hat das Berufungsgericht richtig gesehen. Nach § 7 Abs. 2 AVR, der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft einzelvertraglicher Vereinbarung anzuwenden ist, bedürfen Nebenabreden zu ihrer Gültigkeit zwar der Schriftform. Zu Recht hat das Berufungsgericht jedoch darauf hingewiesen, daß im Gegensatz zu dem Schriftformerfordernis des § 4 Abs. 2 BAT hier keine konstitutive Schriftform im Sinne der §§ 126, 125 BGB vorausgesetzt ist. Diese ist nur auf tarifliche Vorschriften anzuwenden. Die AVR sind jedoch kein Tarifvertrag (BAG 34, 182 = AP Nr. 9 zu § 72 a ArbGG 1979 Grundsatz).

III. Da die Sozialleistungen somit als betriebliche Übung Bestandteil des Arbeitsvertrages geworden sind, können sie von dem Beklagten nicht einseitig widerrufen werden. Der Beklagte könnte sich von der Verpflichtung zur Zahlung der Zuschüsse nur durch eine Änderungskündigung befreien. Eine Änderungskündigung hat der Beklagte jedoch nicht ausgesprochen. Das Schreiben vom 24. Januar 1983 ist nicht als Änderungskündigung anzusehen. Der Beklagte ist somit auch über den 31. März 1983 hinaus verpflichtet, die Zuschüsse zu zahlen.

Dr. Gehring Michels-Holl Schneider

Prof. Dr. Krems Wengeler

 

Fundstellen

Dokument-Index HI439797

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