Entscheidungsstichwort (Thema)

Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte

 

Orientierungssatz

Rügt ein Arbeitgeber ausdrücklich nur eine Verletzung der individualrechtlichen Verpflichtung eines Arbeitnehmers, so kann sich die rechtliche Beurteilung über das Verlangen auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte demnach nur nach diesem Inhalt richten, auch wenn der Arbeitgeber im Prozeß auf das Verbot der parteipolitischen Betätigung gemäß § 74 Abs 2 BetrVG hingewiesen hat.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 611, 1004; BetrVG § 83 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Entscheidung vom 20.09.1984; Aktenzeichen 8 Sa 442/84)

ArbG Köln (Entscheidung vom 21.02.1984; Aktenzeichen 15 Ca 10086/83)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, eine dem Kläger unter dem 2. November 1983 erteilte Abmahnung wegen Verteilens von Flugblättern im Betrieb und in der Betriebskantine aus den Personalakten zu entfernen.

Der Kläger ist seit 1963 bei der Beklagten als Offsetmontierer beschäftigt. Er ist Vertrauensmann der Gewerkschaft Druck und Papier und war bis zum 22. April 1984 Mitglied des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrats. Am 20. Oktober 1983 verteilte er während der Mittagspause im Betrieb der Beklagten Flugblätter, die er auf die Sitzplätze der nicht an ihrem Arbeitsplatz anwesenden Kollegen bzw. auf die in der Kantine befindlichen leeren Sitzplätze legte. Diese Flugblätter, die von dem DGB-Kreisverband Köln herausgegeben worden waren, haben u. a. folgenden Inhalt:

"Kommt zur Volksversammlung für den Frieden ]

--------------------------------------------

DGB B o n n Friedenstaube

DGB- 22.10.83 Kölner Friedensforum

Kreis Köln

Es ist an der Zeit: Sagt NEIN ]

Keine neuen Atomraketen in unserem Land ]

In diesem Herbst wol- systeme auch für den

len die USA, unter- Erstschlag eingesetzt

stützt von der Bundes- werden können, ist

regierung, mit der Sta- die Bundesrepublik

tionierung von Pers- als Schlacht und be-

hing II und Cruise Mis- vorzugtes Angriffs-

siles beginnen, da die feld besonders ge-

se neuen Raketen- fährdet.

Das muß unbedingt

verhindert werden ]

Das Wettrüsten in Ost dungsabbau und mit

und West ist für die wachsendem Elend in der

Menschheit Hochrüstung Dritten Welt bezahlt.

und die neuen Atomrake- Der Rüstungswettlauf

ten werden mit unserem sichert weder den Frie-

Sozial- und Bil- den noch schafft er

sichere Arbeitsplätze.

Gewerkschaft + Friedensbewegung fordern:

. Die Bundesregierung Regionale atomwaffen-

soll ihre Zustimmung freie Zone in Europa

zur Stationierung der bei gleichzeitiger

neuen Mittelstrecken- Verringerung der kon-

raketen Pershing II ventionellen Rüstung

und Cruise Missiles in Ost und West. Den

zurückziehen. Damit Rat der Stadt Köln

soll der Weg für die fordern wir auf, Köln

Verringerung der Atom- zur atomwaffenfreien

und aller anderen Mas- Zone zu erklären.

senvernichtungsmittel

in Ost und West eröff- . Den Stop und die

net werden. schrittweise Senkung

des Rüstungshaushaltes,

. Alle Atomwaffen in damit die freiwerdenden

und für Europa ein- Mittel für soziale

schließlich der sow- Zwecke und zur Siche-

jetischen SS 20, der rung und Schaffung von

französischen, briti- Arbeitsplätzen einge-

schen und amerikani- setzt werden können.

schen Raketen müssen

abgeschafft werden. . Statt Rüstungsexporten:

Eine sogenannte "Zwi- Bekämpfung von Hunger

schenlösung", die als und Elend in der

bloßer Vorwand für Dritten Welt.

den Beginn der Sta-

tionierung aufgefaßt

werden könnte, lehnen

wir ab.

75,5 % der Bevölkerung der Bundesrepublik

lehnen die Stationierung ab]

(repräsentative Bevölkerungsumfrage des ZDF)

Kommt zur Volksversammlung für den Frieden ]"

Die Beklagte erteilte ihm deshalb unter dem 2. November 1983 eine schriftliche Abmahnung, die sie auch zu den Personalakten des Klägers nahm. Die Abmahnung hat folgenden Wortlaut:

"Sehr geehrter Herr Wingen,

Sie haben im Betrieb am 20. Oktober 1983 während

Ihrer Mittagspause Flugblätter zur Volksversamm-

lung für den Frieden verteilt ("Es ist an der

Zeit: Sagt NEIN] Keine neuen Atomraketen in un-

serem Land]").

Sie sind zur politischen Tätigkeit im Betrieb

- auch während Ihrer Mittagspause - nicht berech-

tigt. Sie haben durch dieses Verhalten gegen Ihre

arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen.

Wir mahnen Sie deshalb ab und fordern Sie auf,

sich in Zukunft einer politischen Tätigkeit im

Betrieb zu enthalten.

Wir weisen Sie vorsorglich darauf hin, daß Sie

im Wiederholungsfalle mit der Kündigung Ihres

Arbeitsverhältnisses rechnen müssen.

Mit freundlichen Grüßen

DEUTSCHER ÄRZTE-VERLAG GMBH

Personalleitung

gez. Unterschrift

Möller"

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, sein Verhalten verstoße nicht gegen die betriebliche Friedenspflicht oder arbeitsvertragliche Pflichten; es sei im übrigen durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG und durch die koalitionsmäßige Betätigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt gewesen. Er habe keinen Mitarbeiter an seinem Arbeitsplatz gestört oder dazu gezwungen, das Flugblatt abzunehmen. Über den Inhalt der Flugblätter habe er mit anderen Arbeitnehmern weder während des Verteilens noch danach diskutiert. Die im Anschluß an die Verteilung der Flugblätter in der Kantine geführte Diskussion sei ausschließlich durch den zuständigen Abteilungsleiter entfacht worden.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die dem

Kläger erteilte Abmahnung vom 2. No-

vember 1983 ersatzlos aus der Perso-

nalakte zu entfernen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger könne sich nicht auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen, da das Thema der Flugblätter politischer Natur sei und mit den in dieser Vorschrift angesprochenen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nichts zu tun habe. Das Verhalten des Klägers sei auch nicht durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit gerechtfertigt, da dieses wiederum durch die Grundregeln des Arbeitsverhältnisses begrenzt sei. Durch das Verteilen der Flugblätter sei der Betriebsfrieden gestört worden. Ein solches Verhalten sei dem Kläger als Betriebsratsmitglied nach § 74 Abs. 2 BetrVG aber verboten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger hat beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, daß die ihm von der Beklagten erteilte schriftliche Abmahnung vom 2. November 1983 aus seinen Personalakten entfernt wird.

I. Grundsätzlich kann der Arbeitnehmer verlangen, daß der Arbeitgeber eine mißbilligende Äußerung aus den Personalakten entfernt, wenn diese unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält und geeignet ist, den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung und seinem beruflichen Fortkommen zu beeinträchtigen.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 27. November 1985 - 5 AZR 101/84 -, NZA 1986, 227, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) hat der Arbeitgeber im Rahmen seiner allgemeinen Fürsorgepflicht, auch soweit er Rechte ausübt, auf das Wohl und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers Bedacht zu nehmen. Soweit erforderlich, muß er auch darauf hinwirken, daß dem Arbeitnehmer kein Schaden entsteht und sein Fortkommen nicht beeinträchtigt wird (vgl. BAG Urteil vom 9. Februar 1977 - 5 AZR 2/76 - AP Nr. 83 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu II 1 der Gründe m. w. N.). Der Umfang dieser Verpflichtung bestimmt sich im Einzelfall anhand einer eingehenden Abwägung der beiderseitigen Interessen (BAG 7, 267, 271, 272 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; BAG Urteil vom 17. März 1970 - 5 AZR 263/69 - AP Nr. 78 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu 2 der Gründe). Zu den dem Arbeitgeber obliegenden Fürsorgepflichten gehört demnach auch die ordnungsgemäße Führung der Personalakten, die ein richtiges und vollständiges Bild des Arbeitnehmers in dienstlicher und persönlicher Beziehung vermitteln müssen (BAG 7, 267, 273 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht). Rechtsgrundlage für die so verstandene Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist der in § 242 BGB niedergelegte, das gesamte Rechtssystem beherrschende Gedanke von Treu und Glauben, der auch den Inhalt der Schuldverhältnisse bestimmt. Aus dieser Vorschrift sind für das Arbeitsverhältnis verschiedene Nebenrechte und -pflichten abzuleiten. Dabei ist, wie z. B. auch der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluß vom 27. Februar 1985 (- GS 1/84 -, ZIP 1985, 1214 ff., auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) ausgeführt hat, auch auf die in den Grundrechten des Grundgesetzes zum Ausdruck gekommene Wertentscheidung der Verfassung Bedacht zu nehmen. Die in den Grundrechtsnormen enthaltene objektive Wertordnung gilt als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts und wirkt deshalb auch auf das Privatrecht ein (BVerfGE 34, 269, 280). Damit gewinnt der verfassungsrechtliche Persönlichkeitsschutz für das Arbeitsverhältnis und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten Bedeutung.

2. Auf dieser Grundlage ist anerkannt, daß der Arbeitgeber das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers in bezug auf Ansehen, soziale Geltung und berufliches Fortkommen zu beachten hat (BAG 45, 111, 114 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht, zu I 1 der Gründe, mit zust. Anm. von Echterhölter; Wiese, ZfA 1971, 273, 297 m. w. N.). Dessen Persönlichkeitsrecht wird durch unrichtige, sein berufliches Fortkommen berührende Tatsachenbehauptungen behindert. Der Arbeitnehmer kann daher in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB bei einem objektiv rechtswidrigen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht in Form von unzutreffenden oder abwertenden Äußerungen deren Widerruf und Beseitigung verlangen (BAG Urteil vom 21. Februar 1979 - 5 AZR 568/77 - AP Nr. 13 zu § 847 BGB, zu B I 1 der Gründe; BAG 45, 111, 117 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht, zu I 5 der Gründe; Wiese, ZfA 1971, 273, 311; vgl. auch BGHZ 14, 163, 173). Denn das verfassungsrechtlich abgesicherte Recht des Arbeitgebers zur freien Meinungsäußerung über seinen Arbeitnehmer (Art. 5 Abs. 1 GG) findet seine Schranken an der geschützten Rechtssphäre des Arbeitnehmers (BAG Urteil vom 27. November 1985 - 5 AZR 101/84 -, NZA 1986, 227, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).

3. Aus alledem folgt, daß der Arbeitnehmer die Rücknahme einer mißbilligenden Äußerung des Arbeitgebers verlangen kann, wenn und soweit diese nach Form oder Inhalt geeignet ist, ihn in seiner Rechtsstellung zu beeinträchtigen. Hierzu gehören in erster Linie auch schriftliche Rügen und Verwarnungen, die zu den Personalakten genommen werden. Es liegt auf der Hand, daß unberechtigte Rügen und Verwarnungen oder Abmahnungen Grundlage für eine falsche Beurteilung des Arbeitnehmers abgeben und dadurch sein berufliches Fortkommen behindern oder andere arbeitsrechtliche Nachteile mit sich bringen können. Insbesondere in Großbetrieben und größeren Verwaltungen kann eine zu den Personalakten genommene Abmahnung zu einer dauerhaften und nachhaltigen Gefährdung der Rechtsstellung des Arbeitnehmers beitragen, da dort Entscheidungen über das berufliche Fortkommen in der Regel nicht aufgrund persönlicher Kenntnisse des dazu Berufenen, sondern anhand der Personalakten getroffen werden. Gerade bei Beförderungen und Beurteilungen des Arbeitnehmers, bei denen dem Arbeitgeber ein nur begrenzt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zusteht, kann demnach eine zu den Personalakten genommene schriftliche unberechtigte Abmahnung zu fortdauernden Rechtsnachteilen führen.

4. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung einer unbegründeten Rüge aus seinen Personalakten wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß er gemäß § 83 Abs. 2 BetrVG berechtigt ist, eine Gegendarstellung zu den Personalakten zu reichen. Durch das dem Arbeitnehmer eingeräumte Gegendarstellungsrecht werden nämlich unrichtige oder abwertende Angaben über seine Person in den Personalakten nicht beseitigt. Denn die Gegenerklärung besagt insoweit nicht mehr, als daß die Angaben vom Arbeitnehmer bestritten werden. Eine abschließende, weitergehende Ansprüche des Arbeitnehmers ausschließende Regelung ist dieser Vorschrift nicht zu entnehmen. Daneben steht das im Klagewege durchsetzbare Recht des Arbeitnehmers, die Entfernung unrichtiger Angaben aus den Personalakten zu verlangen (so bereits BAG 7, 267 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; ferner BAG 24, 247 = AP Nr. 9 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst; diese Auffassung wird auch in der Kommentarliteratur einhellig vertreten, vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 83 Rz 5 a; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 83 Rz 33; Wiese, GK-BetrVG, 2. Bearb., Dezember 1980, § 83 Rz 17 a; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, § 83 Rz 8).

II. Nach § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG haben sich Arbeitgeber und Betriebsrat jeder parteipolitischen Betätigung im Betrieb zu enthalten.

1. Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob das Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb nach § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nur eine Konkretisierung der betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht ist (so BVerfGE 42, 133, 140 = AP Nr. 2 zu § 74 BetrVG 1972; BAG 29, 281 = AP Nr. 1 zu § 42 BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 21. Februar 1978 - 1 ABR 54/76 - AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972, jeweils m. w. N.) oder ob es darüber hinaus in enger Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgebot für Arbeitgeber und Betriebsrat in § 75 BetrVG steht (so Dietz/Richardi, aaO, § 74 Rz 55 ff.; Säcker, AuR 1965, 353, 358 f.; Gamillscheg, Arbeitsrecht II, 5. Aufl., Nr. 438 a; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. II/2, S. 1347 f., jeweils m. w. N.). Jedenfalls hat das absolute Verbot parteipolitischer Betätigung nicht nur den Sinn, den Betriebsfrieden zu wahren, sondern es sichert u. a. auch die parteipolitische Neutralität des Betriebsrats, weil die Arbeitnehmer des Betriebes im Kollektiv der Arbeitnehmerschaft, dem sie sich nicht entziehen können, in ihrer Meinungs- und Wahlfreiheit als Staatsbürger nicht beeinflußt werden sollen (BAG 29, 281, 292 = AP Nr. 1 zu § 42 BetrVG 1972 = EzA § 45 BetrVG 1972 Nr. 1 mit zust. Anm. von Hanau; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 74 Rz 19). Erfahrungsgemäß führt nämlich eine Politisierung des Betriebes leicht zu Spaltungen und Gegensätzen innerhalb der Arbeitnehmerschaft mit der Folge, daß Betriebsklima und Arbeitsablauf darunter leiden. Der Betrieb soll aus dem Meinungsstreit einzelner Gruppen herausgehalten werden, da jede einseitige Stellungnahme des Arbeitgebers oder eines Betriebsorgans von anderen Betriebsangehörigen als eine Herausforderung aufgefaßt werden kann, die der notwendigen Zusammenarbeit abträglich ist (Galperin/Löwisch, aaO).

2. Entsprechend diesem Zweck der Vorschrift ist deshalb der Begriff "Parteipolitik" weit auszulegen. Verboten ist dem Betriebsrat danach jede Betätigung für oder gegen eine politische Partei, wobei es sich nicht nur um eine Partei im Sinne von Art. 21 GG und des Parteiengesetzes zu handeln braucht; vielmehr genügt eine politische Gruppierung, für die geworben oder die unterstützt wird. Erfaßt wird von dem Verbot mithin auch das Eintreten für oder gegen eine bestimmte politische Richtung (BAG 29, 281 = AP Nr. 1 zu § 42 BetrVG 1972; Dietz/Richardi, aaO, § 74 Rz 58; Galperin/Löwisch, aaO, § 74 Rz 20). Dabei ist jede politische Betätigung verboten, weil alle politischen Fragen, gleichgültig, ob es sich um solche der Außen- oder Innenpolitik, der äußeren oder inneren Sicherheit, der Kultur, der Arbeit oder der Freizeitgestaltung handelt, in den Bereich parteipolitischer Stellungnahmen fallen (Dietz/Richardi, aaO, § 74 Rz 59 mit weiteren zahlreichen Nachweisen).

Verboten ist dem Betriebsrat demnach in erster Linie die unmittelbare Betätigung für eine Vereinigung durch Verbreiten von politischen Zeitungen, Druckschriften, Anschlägen oder Flugblättern. Darüber hinaus werden vom Verbot auch das Abhalten von politischen Abstimmungen oder Umfragen im Betrieb, politische Stellungnahmen zu außerbetrieblichen Maßnahmen und Ereignissen erfaßt. Eine Trennung in eine zulässige allgemeinpolitische Betätigung von der verbotenen parteipolitischen Betätigung ist, bei Berücksichtigung des Verbotszwecks einerseits und der fließenden Grenzen zwischen allgemeiner und Parteipolitik andererseits, nicht möglich (BAG Beschluß vom 21. Februar 1978 - 1 ABR 54/76 - AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972, zu II 2 a, cc der Gründe; Galperin/Löwisch, aaO, § 74 Rz 21).

3. Das Verteilen der hier strittigen Flugblätter durch ein Betriebsratsmitglied stellt als solches eine verbotene parteipolitische Betätigung im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG dar (vgl. BAG Beschluß vom 21. Februar 1978 - 1 ABR 54/76 - AP Nr. 1 zu § 74 BetrVG 1972). Die dort in einer bestimmten Richtung diskutierten Fragen der Verteidigungs-, Rüstungs- und Friedenspolitik weisen keine den Betrieb oder seine Arbeitnehmer "unmittelbar" betreffenden tarifpolitischen, sozialpolitischen oder wirtschaftlichen Bezüge auf. Insoweit liegt keine "erlaubte" politische Betätigung vor (§ 74 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 BetrVG). Inhaltlich befassen sich die Flugblätter eindeutig mit Fragen aus dem Kernbereich der Parteipolitik. Die Programme und Stellungnahmen der verschiedenen politischen Parteien befassen sich in weiten Teilen mit diesem Bereich. Alle politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen sind sich zwar einig im Ziel der Friedenssicherung, jedoch besteht über die Wege dorthin und die mit dem jeweiligen Weg verbundenen Erfolgsaussichten und Risiken lebhafter Streit. Schon daraus wird für jedermann offenkundig und erkennbar, daß es sich vorliegend um eine parteipolitische Angelegenheit handelt.

III. Die dem Kläger erteilte Abmahnung vom 2. November 1983 ist jedoch gleichwohl ungerechtfertigt; sie ist deshalb aus den Personalakten zu entfernen.

1. Die Beklagte hat mit der Abmahnung vom 2. November 1983 keine Verletzung der kollektivrechtlichen Verpflichtungen des Klägers als Mitglied des Betriebsrates gerügt. Sie hat lediglich auf die nach ihrer Ansicht erfolgte Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten abgestellt, also ausdrücklich nur eine Verletzung der individualrechtlichen Verpflichtungen des Klägers gerügt. Die rechtliche Beurteilung über das Verlangen auf Entfernung der Abmahnung aus den Personalakten kann sich demnach, auch wenn die Beklagte im Prozeß auf das Verbot der parteipolitischen Betätigung gemäß § 74 Abs. 2 BetrVG hingewiesen hat, nur nach diesem Inhalt richten. Es kann zudem nicht übersehen werden, daß der Kläger tatsächlich nur als Arbeitnehmer und als Vertrauensmann seiner Gewerkschaft Druck und Papier, nicht aber in seiner Eigenschaft als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist. Das Verteilen der Flugblätter ist vom Betriebsrat nicht veranlaßt worden. Der Betriebsrat hat sich das Verhalten des Klägers auch nicht zu eigen gemacht oder nachträglich gebilligt.

2. Auch wenn das Verbot der parteipolitischen Betätigung gemäß § 74 Abs. 2 BetrVG nicht unmittelbar eingreift, so bedeutet dies allerdings noch nicht, daß sich der Kläger unter Berufung auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG uneingeschränkt parteipolitisch im Betrieb betätigen konnte. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, daß die Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers durch die Grundregeln über das Arbeitsverhältnis begrenzt wird. Zur ordnungsgemäßen Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten gehört, daß der Arbeitnehmer durch sein Verhalten den Arbeitsablauf und den Betriebsfrieden weder gefährdet noch beeinträchtigt oder gar stört. Auch die dem Arbeitnehmer nicht schlechthin untersagte politische oder parteipolitische Betätigung hat sich danach zu orientieren (BAG 1, 185, 194 ff. = AP Nr. 2 zu § 13 KSchG; BAG 7, 256, 261 = AP Nr. 1 zu Art. 5 Abs. 1 GG Meinungsfreiheit; BAG 24, 438, 444 = AP Nr. 2 zu § 134 BGB; BAG 29, 195, 200 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; BAG 41, 150 = AP Nr. 73 zu § 616 BGB; Gnade, Zur politischen und gewerkschaftlichen Betätigung - insbesondere von Betriebsratsmitgliedern - im Betrieb, Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 14, 1976, S. 59, 68 f.; Blomeyer, Die rechtliche Bewertung des Betriebsfriedens im Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, ZfA 1972, 85 ff., 117; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 53 II 5; Fitting/Auffarth/Kaiser, aaO, § 74 Rz 7; Thiele, GK-BetrVG, 3. Bearb., November 1982, § 74 Rz 47; Galperin/Löwisch, aaO, § 74 Rz 7 a und 23 a, jeweils m. w. N.). Die politische oder parteipolitische Betätigung des Arbeitnehmers darf, um in den erlaubten Grenzen zu bleiben, zu keiner konkreten Störung oder Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter (Betriebsfrieden), im personalen Vertrauensbereich oder im Unternehmensbereich führen (BAG 23, 371, 372 = AP Nr. 83 zu § 1 KSchG; BAG 24, 438, 444 = AP Nr. 2 zu § 134 BGB; BAG 41, 150, 159 = AP Nr. 73 zu § 626 BGB, jeweils m. w. N.).

3. Diese aufgezeigten Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 561 Abs. 2 ZPO) ist es durch das Verteilen der Flugblätter während der Mittagspause auf unbesetzten Plätzen in der Kantine und den unbesetzten Arbeitsplätzen zu keiner Störung oder auch nur zu einer Gefährdung des Betriebsfriedens gekommen, worunter die Summe aller derjenigen Faktoren verstanden wird, die das Zusammenleben und Zusammenwirken der in einem Betrieb tätigen Betriebsangehörigen ermöglichen (vgl. BAG 41, 150, 161 = AP Nr. 73 zu § 626 BGB; Beer, Über den Betriebsfrieden, AuR 1958, 236; Blomeyer, Die rechtliche Bewertung des Betriebsfriedens im Individualarbeits- und Betriebsverfassungsrecht, ZfA 1972, 85). Der Kläger hat sich unstreitig auf das bloße Verteilen der Flugblätter beschränkt und Arbeitskollegen weder angesprochen noch in eine Diskussion verwickelt, um sie auf diese Weise zur Teilnahme an der Versammlung zu bewegen oder sie von der im Flugblatt vertretenen politischen Auffassung zu überzeugen. Das "störende Ereignis", nämlich das Verteilen der Flugblätter, weist zwar einen kollektiven Bezug auf (vgl. dazu BAG Beschluß vom 18. November 1980 - 1 ABR 87/78 - AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit) und es mag auch sein, daß sich einige Betriebsangehörige durch die vorgefundenen Flugblätter irritiert gefühlt haben, jedoch ist dadurch gleichwohl der Arbeitsablauf und das Zusammenwirken der Betriebsangehörigen nicht gestört oder fühlbar beeinträchtigt worden. Es ist weder - jedenfalls ist hierfür nichts vorgetragen - zu spontanen Unmutsäußerungen und zu sonstigen Reaktionen gekommen, noch sind Betriebsangehörige dadurch von der Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten abgehalten worden. Soweit das Landesarbeitsgericht darin, daß der zuständige Abteilungsleiter nachträglich einzelne Arbeitnehmer auf das Flugblatt angesprochen hat, keine Störung oder Beeinträchtigung des Betriebsfriedens gesehen hat, ist diese Würdigung bei Berücksichtigung der gesamten Umstände ebenfalls nicht zu beanstanden.

Eine konkrete Störung oder Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses, die es rechtfertigen würde, die schriftliche Abmahnung vom 2. November 1983 zu den Personalakten des Klägers zu nehmen bzw. dort zu belassen, ist nach alledem nicht ersichtlich. Die möglichen Nachteile, die der Kläger durch ein Belassen der Abmahnung in den Personalakten bezüglich seines beruflichen Fortkommens erleiden kann, stehen bei Abwägung der beiderseitigen Interessen zudem auch in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem die Abmahnung auslösenden Anlaß. IV. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Röhsler Dr. Jobs Schneider

Ramdohr Carl

 

Fundstellen

NZA 1987, 153-154 (ST1-2)

RzK, I 1 Nr 11 (ST1)

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