Entscheidungsstichwort (Thema)

Masseunzulänglichkeit - Darlegungs- und Beweislast des Konkursverwalters

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Konkursverwalter kann sich nach § 60 KO nicht bereits dann auf die Unzulänglichkeit der von ihm verwalteten Konkursmasse berufen, wenn die vollständige Berichtigung der Masseansprüche aller Massegläubiger nicht sichergestellt ist. Dieser Einwand ist nur zulässig, wenn die gleichmäßige Erfüllung der Masseansprüche ernsthaft gefährdet ist (Bestätigung und Fortführung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Urteil vom 31. Januar 1979 - 5 AZR 749/77 - BAGE 31, 288 = AP Nr. 1 zu § 60 KO; Urteil vom 6. September 1988 - 3 AZR 141/87 - AP Nr. 9 zu § 9 BetrAVG).

2. Die Unzulänglichkeit der Masse im Sinne von § 60 KO ist nicht nur nach den vorhandenen liquiden Mitteln zu beurteilen, sondern nach der gesamten Konkursmasse im Sinne von § 1 Abs. 1 KO.

3. Der Konkursverwalter hat in dem Prozeß eines Massegläubigers keine prozessuale Sonderstellung. Er muß die von ihm behauptete Masseunzulänglichkeit jedenfalls dann durch einen zeitnahen Konkursstatus darlegen und ggf. beweisen, wenn er die Masseunzulänglichkeit nicht öffentlich bekannt gemacht hat (Bestätigung BAG Urteil vom 16. Oktober 1985 - 4 AZR 431/84 - AP Nr. 5 zu § 767 ZPO; Urteil vom 30. Oktober 1985 - 5 AZR 484/84 - KTS 1986, 484).

 

Normenkette

KO §§ 57, 59-60

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 19.09.1996; Aktenzeichen 12 Sa 285/96)

ArbG Gelsenkirchen (Urteil vom 20.12.1995; Aktenzeichen 4 (2) Ca 3012/95)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 19. September 1996 - 12 Sa 285/96 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Der Kläger war bei der S mbH in G - , einem Unternehmen mit zuletzt 337 Arbeitnehmern als Personalleiter beschäftigt. Mit Beschluß vom 31. März 1995 wurde über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt. Über die Wirksamkeit einer von ihm gegenüber dem Kläger zum 30. November 1995 ausgesprochenen Kündigung ist noch nicht entschieden.

In dem Bericht zur Gläubigerversammlung vom 13. Juni 1995 hat der Beklagte einer freien Masse von 18.091.288,98 DM Masseschulden und Massekosten von 5.104.568,96 DM gegenübergestellt. Die Masseschulden nach § 59 Nr. 2 KO sind mit 3.994.568,96 DM angegeben. Die Vorrechtsforderungen nach § 61 Abs. 1 Ziff. 1 KO und nach § 61 Abs. 1 Ziff. 2 und 3 könnten zu 100 % befriedigt werden; auf die Forderungen nach § 61 Abs. 1 Ziff. 6 KO entfalle eine Quote von ca. 11,20 %. Eine drohende Masseunzulänglichkeit hat der Beklagte nicht öffentlich bekannt gemacht.

Mit seiner am 16. November 1995 erhobenen Klage hat der Kläger, soweit in der Berufung und in der Revision anhängig, einen tariflichen Zuschuß zum Krankengeld, ein anteiliges 13. Monatsgehalt und Ansprüche aus Annahmeverzug geltend gemacht. Diese hat der Beklagte durch Teilvergleich anerkannt.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.440,44 DM und weitere 10.536,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen ab 16. November 1995 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und seine Verpflichtung festzustellen, die Beträge von 6.440,44 DM und weiteren 10.536,00 DM brutto als Masseschulden gem. § 59 KO zu berücksichtigen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage unter Beschränkung des Zinsanspruchs auf den sich ergebenden Nettobetrag stattgegeben. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision. Der Kläger bittet um deren Zurückweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet.

I. Zwischen den Parteien ist rechtskräftig entschieden, daß dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach zustehen; rechtskräftig entschieden ist auch, daß es sich bei ihnen um Massenansprüche im Sinne von § 59 Abs 1 Nr. 2 KO handelt. Mit der Revision will der Beklagte ausschließlich erreichen, daß das vom Landesarbeitsgericht bestätigte Leistungsurteil des Arbeitsgerichts dahin abgeändert wird, lediglich die Verpflichtung des Beklagten festzustellen, die Ansprüche des Klägers im Rahmen der Abwicklung des Konkursverfahrens zu berücksichtigen.

II. Das Landesarbeitsgericht hat den Beklagten zu Recht verurteilt, die Ansprüche des Klägers zu befriedigen.

Der Leistungsanspruch des Klägers ergibt sich aus § 57 KO. Danach hat der Konkursverwalter Masseansprüche vorweg aus der Konkursmasse zu erfüllen.

1. Nach § 60 KO kann der Konkursverwalter die Erfüllung der Masseansprüche verweigern, sobald sich herausstellt, daß die Konkursmasse nicht zur gleichmäßigen Befriedigung der Ansprüche aller Massegläubiger ausreicht. Die Forderungen sind dann nach der in § 60 KO vorgesehenen Rangordnung und im Verhältnis der Beträge zu berichtigen. Dem ist im Erkenntnisverfahren Rechnung zu tragen. Der Konkursverwalter kann nicht mehr uneingeschränkt zur Leistung verurteilt werden; die Forderung des Massegläubigers ist durch Feststellungsurteil zu bestätigen (BAG Urteil vom 31. Januar 1979 - 5 AZR 749/77 - BAGE 31, 288 = AP Nr. 1 zu § 60 KO; Urteil vom 6. September 1988 - 3 AZR 141/87 - AP Nr. 9 zu § 9 BetrAVG ) . § 60 KO ist anzuwenden, sobald die Erschöpfung der Masse droht, die gleichmäßige und vollständige Berichtigung aller Ansprüche von Massegläubigern also ernsthaft gefährdet ist (BAG, aaO; BGH Urteil vom 5. Juli 1988 - IX ZR 7/88 - AP Nr. 5 zu § 60 KO; BSG Urteil vom 5. Juni 1981 - 10/8 b RAr 15/80 - BSGE 52, 42).

2. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann der Konkursverwalter die Leistung nicht bereits dann verweigern, wenn eine gleichmäßige Berichtigung der Masseansprüche nicht sicher ist.

a) Gegen diese Vorverlagerung des für die Feststellung der Masseunzulänglichkeit maßgebenden Zeitpunkts spricht schon der Wortlaut in § 60 KO. Eine nur mögliche Masseunzulänglichkeit ist mit dem vorausgesetzten "Sich-Herausstellen" nicht vergleichbar. Auch kann in keinem Konkurs ausgeschlossen werden, daß eine zunächst als hinreichend werthaltig eingeschätzte und deshalb die Eröffnung des Konkursverfahrens rechtfertigende Masse (§ 107 KO) sich wider Erwarten als unzulänglich erweist. Diese mögliche Entwicklung des Konkurses wird deshalb von § 60 KO nicht erfaßt und berechtigt den Konkursverwalter nicht , die Masseunzulänglichkeit gleichsam "vorsorglich" geltend zu machen.

b) Die Auffassung des Beklagten widerspricht zudem der gesetzlichen Konzeption. Wie § 57 KO verdeutlicht, nehmen Massegläubiger grundsätzlich nicht am Konkursverfahren teil. Für sie gilt deshalb das vollstreckungsrechtliche Prioritätsprinzip und nicht, wie der Beklagte meint, der konkursrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger. Dieser greift für die Massegläubiger erst mit der Masseunzulänglichkeit ein. Der durch § 60 KO bezweckte Schutz der Massegläubiger erfordert es lediglich, den maßgeblichen Zeitpunkt so zu bestimmen, daß für die nach Rang und Quote vorgesehene anteilmäßige Befriedigung überhaupt Raum bleibt. Das ist gewährleistet, wenn die Vorschrift angewendet wird, sobald die ungleichmäßige Berichtigung der Masseansprüche ernsthaft zu befürchten ist.

c) Das Interesse des Beklagten, seine persönliche Haftung nach § 82 KO wegen einer verspäteten Feststellung der Masseunzulänglichkeit zu vermeiden, rechtfertigt die gewünschte Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts nicht. Zwar ist der Konkursverwalter verpflichtet, ab Feststellung der Masseunzulänglichkeit Masseansprüche nur nach Rang und Quote zu berichtigen. Das wäre ihm aber unmöglich, wenn die Masseunzulänglichkeit erst geltend gemacht werden könnte, wenn sie objektiv feststeht. Diesem Interesse trägt die Rechtsprechung aber hinreichend Rechnung.

Eine andere Beurteilung ist auch nicht wegen der vom Beklagten angestrengten Rechtsstreitigkeiten mit einem Gesamtstreitwert von mehr als 25 Millionen DM angezeigt. Die von ihm angestellte Überlegung, er könne den "schlimmsten aller Fälle" unterstellen und vom Unterliegen in allen Prozessen mit den entsprechenden erheblichen Kostenfolgen für die Konkursmasse ausgehen, mag die Masseansprüche dann als gefährdet erscheinen lassen, wenn dieser Fall tatsächlich eintritt. Daß diese Gefahr bereits besteht, ist damit aber nicht dargetan.

3. Besteht Streit über die Berechtigung der von dem Konkursverwalter erhobenen Einrede der Masseunzulänglichkeit, hat der Konkursverwalter die Tatsachen darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen sich die Gefährdung der Gläubigeransprüche ergibt ( st. Rspr. vgl. BAG Urteil vom 16. Oktober 1985 - 4 AZR 431/84 - AP Nr. 5 zu § 767 ZPO). Dabei reicht es regelmäßig aus, wenn er einen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz noch zeitnahen Konkursstatus vorlegt, aus dessen Zahlenwerk sich die Masseunzulänglichkeit ablesen läßt ( BAG Urteil vom 30. Oktober 1985 - 5 AZR 484/84 - KTS 1986, 484).

Daran fehlt es, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht bemängelt hat. Die hiergegen von der Revision erhobenen Beanstandungen sind ohne Erfolg.

a) Entgegen der Auffassung des Beklagten hat der Konkursverwalter im Passivprozeß keine prozessuale Sonderstellung. Seine Behauptung, die Masse sei unzulänglich, ersetzt den erforderlichen Tatsachenvortrag nicht deshalb, weil er als Konkursverwalter die Masseunzulänglichkeit festzustellen hat und seine Entscheidung unvertretbar ist.

Die Feststellungsbefugnis des Konkursverwalters betrifft seine Zuständigkeit im Verhältnis zum Konkursgericht und zur Gläubigerversammlung. Für den Umfang seiner Darlegungslast in dem von einem Massegläubiger gegen ihn geführten Rechtsstreit ist diese Kompetenzverteilung ohne Bedeutung. Das gleiche gilt für die vom Beklagten angenommene "Unvertretbarkeit" seiner Feststellung. Richtig ist, daß es allein dem Konkursverwalter obliegt, die Masse zu bewerten und daraus die nach seinem Ermessen gebotenen Folgerungen für das weitere Konkursverfahren zu ziehen. Das Prozeßgericht ist deshalb an die Wertansätze, die der Konkursverwalter seiner Beurteilung der Konkursmasse zugrunde legt, gebunden. Es ist nicht seine Aufgabe, die Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits des Konkursverwalters gegen einen Dritten zu beurteilen (vgl. BFH Urteil vom 23. Juli 1996 - VII R 88/94 - BFHE 181, 202 ). Das enthebt den Konkursverwalter aber nicht seiner Verpflichtung, die Wertansätze als solche dem Prozeßgericht offenzulegen. Er kann darüber hinaus auch zu einer näheren Erläuterung verpflichtet sein, wenn seine prozessuale Behauptung der Masseunzulänglichkeit seiner eigenen Beurteilung in einem Konkursstatus widerspricht (vgl hierzu BGH Beschluß vom 29. Februar 1996 - IX ZR 117/95 - BGHR KO § 60 Abs. 1 Masseunzulänglichkeit 3).

Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind danach nicht zu beanstanden. Es hat sich keine Prüfungskompetenz "angemaßt", wie die Revision formuliert, sondern unter Berücksichtigung der Angaben des Beklagten im Bericht zur Gläubigerversammlung die nunmehr behauptete Masseunzulänglichkeit zu Recht als nicht nachvollziehbar bezeichnet und näheren Sachvortrag, insbesondere auch zu der Entwicklung der liquiden Mittel, vermißt.

b) Beweiserleichterungen ergeben sich nicht aus den Erwägungen des Beklagten zur öffentlichen Bekanntmachung einer Masseunzulänglichkeit. Hierzu wird allerdings die Auffassung vertreten, der Konkursverwalter habe im Passivprozeß die Masseunzulänglichkeit nachgewiesen, wenn er sie öffentlich angezeigt habe (OLG Düsseldorf Urteil vom 22. November 1995 - 9 U 86/95 - ZIP 1995, 2003 m.zust. Anm. Uhlenbruck, EWiR 1996, 33; abl. Pape, EWiR 1996, 809; Gerhardt, EWiR 1996, 1041; a. A. auch BFHE 181, 202). Ob dem zu folgen ist, ist hier nicht zu entscheiden. Der Beklagte hat zum Stand der Konkursmasse keine öffentlichen Erklärungen abgegeben. Deshalb ist auch nicht darauf einzugehen, ob der zum 1. Januar 1999 in Kraft tretende § 208 InsolvenzO, wonach die öffentliche Bekanntmachung der Masseunzulänglichkeit konstitutiv wirkt, bereits im Vorgriff anzuwenden ist.

Selbst wenn der Ausgangsüberlegung des Beklagten zu folgen wäre, läßt sich daraus nichts herleiten. Wie der Kläger zutreffend anführt, schränkt eine allgemein bekannte Masseunzulänglichkeit die Handlungsfähigkeit des Konkursverwalter bei der weiteren Abwicklung des Konkurses erheblich ein. Daran fehlt es, wenn der Konkursverwalter die Masseunzulänglichkeit zwar dem einzelnen Massegläubiger entgegenhält, sie aber nicht allgemein veröffentlicht. Die Sachverhalte sind nicht vergleichbar; der Konkursverwalter bleibt zur umfassenden Darlegung verpflichtet (vgl. Uhlenbruck, EWiR 1996, 33).

4. Der Beklagte hat seiner Darlegungslast nicht dadurch genügt, daß er vorsorglich den Umfang der Masseansprüche der Massegläubiger im Rang des Klägers und die liquiden Mittel vorgetragen hat. Das genügt nicht.

Nach § 1 Abs 1 KO wird die Konkursmasse aus dem gesamten Vermögen des Gemeinschuldners gebildet, soweit es der Zwangsvollstreckung unterliegt. Für den Begriff der Konkursmasse in § 60 KO gilt kein anderer Inhalt. Sie ist unzulänglich, wenn der Vergleich der vorhandenen Werte mit den noch zu erbringenden Leistungen ergibt, daß der Überschuß nicht ausreicht, um alle Massenansprüche aller Massegläubiger zu befriedigen. Die Masse ist hinreichend werthaltig, wenn Vermögen vorhanden ist, das "liquidierbar" ist, also Zuflüsse zu erwarten sind.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs 1 ZPO.

 

Unterschriften

Leinemann Düwell Reinecke Weiss Benz

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 11.08.1998 durch Brüne, Reg. Obersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 436529

BB 1999, 60

DB 1999, 231

ARST 1999, 43

FA 1998, 388

JR 1999, 439

KTS 1999, 130

NZA 1999, 427

RdA 1999, 229

ZIP 1999, 36

AP, 0

DZWir 1999, 73

ZInsO 1999, 180

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