Entscheidungsstichwort (Thema)

Masseschuld und Forderungsübergang

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ansprüche der Arbeitnehmer gegen ihren Arbeitgeber auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung sind im Konkurs des Arbeitgebers wegen der Rückstände für die letzten sechs Monate vor der Eröffnung des Verfahrens Masseforderungen.

2. Das Recht der Arbeitnehmer, vorweg aus der Masse Berichtigung dieser Forderungen verlangen zu können, geht mit den Forderungen auf den Pensions-Sicherungs-Verein über.

3. Den Einwand, die Konkursmasse reiche zur vollständigen Befriedigung aller Massegläubiger nicht aus (§ 60 KO), muß der Konkursverwalter in den Tatsacheninstanzen erheben. Der erstmals in der Revisionsinstanz vorgebrachte Einwand ist ein neues Verteidigungsmittel, mit dem der Konkursverwalter nicht mehr gehört werden kann (im Anschluß an BAG 31.1.1979 - 5 AZR 749/77 = BAGE 31, 288 = AP Nr 1 zu § 60 KO).

 

Normenkette

KO §§ 57, 60 Abs. 1, § 59 Abs. 2, § 61 Abs. 1 Nr. 6, § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. d; ZPO § 561 Abs. 1 S. 1; BetrAVG § 9 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 03.02.1987; Aktenzeichen 13 Sa 1721/86)

ArbG Hannover (Entscheidung vom 26.08.1986; Aktenzeichen 3 Ca 263/86)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die konkursrechtliche Behandlung der auf den Pensions-Sicherungs-Verein (Kläger) übergegangenen Ansprüche der Versorgungsempfänger (Arbeitnehmer) gegen den Gemeinschuldner (Arbeitgeber).

Der Kläger ist Träger der Insolvenzsicherung (§ 14 Abs. 1 BetrAVG). Der Beklagte ist der Konkursverwalter über das Vermögen der H GmbH & Co. KG, S. Das Konkursverfahren wurde am 19. Oktober 1983 eröffnet.

Die Gemeinschuldnerin blieb ihren Arbeitnehmern in den letzten sechs Monaten vor Konkurseröffnung die vereinbarten Versorgungsleistungen schuldig. Der Kläger zahlte an die Versorgungsempfänger der früheren Gemeinschuldnerin insgesamt 3.328,80 DM als rückständige Versorgungsansprüche für die letzten sechs Monate vor Eröffnung des Konkursverfahrens. Er hat die Auffassung vertreten, die Versorgungsansprüche der Arbeitnehmer für diese Zeit seien Masseforderungen gewesen. Sie seien auch nach dem Forderungsübergang (§ 9 Abs. 2 BetrAVG) Masseforderungen geblieben und daher vom Beklagten als Masseschulden zu berichtigen.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn

3.328,80 DM nebst 4 % Zinsen seit dem

3. Juli 1986 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, durch den Forderungsübergang hätten die Ansprüche der Arbeitnehmer ihren konkursrechtlichen Rang als Masseforderungen verloren; sie seien jetzt lediglich als Konkursforderungen mit dem Rang nach § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO zu befriedigen. § 59 Abs. 2 KO sei auf den Forderungsübergang nach § 9 Abs. 2 BetrAVG entsprechend anzuwenden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter. Er hat im Revisionsverfahren außerdem den Einwand erhoben, die Masse sei unzulänglich. Er könne und dürfe nach § 60 Abs. 1 KO nicht in voller Höhe leisten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die vom Pensions-Sicherungs-Verein geltend gemachten Forderungen sind Masseforderungen. Der Konkursverwalter muß diese Forderungen aus der Konkursmasse als Masseschulden vorweg berichtigen (§ 57 KO). Mit der erstmals im Revisionsverfahren erhobenen Einwendung, die Masse reiche zur vollständigen Befriedigung der Massegläubiger nicht aus, kann er nicht mehr gehört werden.

1. Die Forderungen der Arbeitnehmer gegen den Konkursverwalter waren Masseforderungen im Sinne von § 59 Abs. 1 Nr. 3 d KO. Es waren Ansprüche von Arbeitnehmern auf Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung für die letzten sechs Monate vor der Eröffnung des Verfahrens.

Diese Forderungen haben ihre Eigenschaft als Masseforderungen nicht dadurch verloren, daß sie nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG im Zeitpunkt der Konkurseröffnung auf den Pensions-Sicherungs-Verein übergegangen sind. Das Recht, wegen dieser Forderungen vorweg Berichtigung aus der Konkursmasse verlangen zu können (§ 57 KO), kann auch der neue Gläubiger geltend machen.

a) Das Recht des Gläubigers, vom Konkursverwalter Berichtigung der Forderung aus der Konkursmasse verlangen zu können (§ 57 KO), ist ein Vorzugsrecht im Sinne von § 401 Abs. 2 BGB. Nach dieser Bestimmung kann der neue Gläubiger, der eine Forderung durch Abtretung erworben hat, das mit der Forderung für den Fall des Konkurses verbundene Vorzugsrecht geltend machen. Die Vorschrift ist auf den gesetzlichen Forderungsübergang entsprechend anzuwenden (§ 412 BGB).

Unter Vorzugsrecht ist nicht nur der konkursrechtliche Rang einer Forderung im Sinne von § 61 KO zu verstehen. Auch das Recht, Berichtigung der Forderung aus der Masse verlangen zu können, ist ein Vorzugsrecht im Konkurs. Jeder Gläubiger, der gegen den Gemeinschuldner im Wege der Abtretung oder aufgrund eines gesetzlichen Forderungsübergangs eine Forderung erwirbt, die der Altgläubiger im Konkurs des Gemeinschuldners als Masseforderung hätte geltend machen können, behält diesen Rang. Das Recht, aus der Masse vorweg Berichtigung einer Forderung verlangen zu können, folgt aus der konkursrechtlichen Zuordnung der Forderung selbst. § 401 und § 412 BGB zeigen, daß die Eigenschaft der Forderung durch Übertragung oder gesetzlichen Forderungsübergang nicht berührt wird.

Davon geht auch § 59 KO aus. Zwar sind nach § 59 Abs. 2 KO die dort im einzelnen genannten Forderungen, die die Eigenschaft einer Masseforderung haben, nach einem Forderungsübergang als Konkursforderungen zu berichtigen. Die Vorschrift regelt aber Ausnahmen. Sie schränkt den allgemeinen Grundsatz, nach dem eine Forderung durch den Übergang auf einen anderen Gläubiger ihren Charakter als Masseforderung nicht einbüßt, mithin insoweit ein. Werden aber ausdrücklich Ausnahmen zugelassen, so wird deutlich, daß im übrigen der Grundsatz fortgelten soll.

Danach ist das Recht der Arbeitnehmer, wegen der Rückstände für die letzten sechs Monate vor der Eröffnung des Konkursverfahrens die Ansprüche auf Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung als Masseforderungen geltend machen zu können, auf den Pensions-Sicherungs-Verein übergegangen. Das entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 26. August 1986 - 3 AZR 98/85 - AP Nr. 20 zu § 59 KO) und der überwiegenden Meinung in der Literatur (vgl. Uhlenbruck in Kuhn/Uhlenbruck, KO, 10. Aufl., § 59 Rz 15 r und 15 y; Blomeyer/Otto, BetrAVG, § 9 Rz 48; Heubeck/Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert, BetrAVG, 2. Aufl., § 9 Rz 10).

b) § 59 Abs. 2 KO, der für die dort erwähnten Forderungen bestimmt, daß der neue Inhaber der Forderung den Vorzug, Berichtigung aus der Konkursmasse verlangen zu können, nach Forderungsübergang verliert, ist auf die nach § 9 Abs. 2 BetrAVG auf den Pensions-Sicherungs-Verein übergegangenen Forderungen nicht entsprechend anzuwenden. Die Forderungen, die das Vorzugsrecht einer Vorwegbefriedigung aus der Masse verlieren, sind abschließend aufgezählt. § 59 Abs. 2 KO wurde eingefügt durch Art. 2 § 1 Nr. 1 des Gesetzes über Konkursausfallgeld vom 17. Juli 1974 (BGBl. I, 1481). Er wurde in der Zwischenzeit mehrfach geändert. Der Pensionssicherungsverein wurde in diese Regelung nicht einbezogen.

Eine entsprechende Anwendung scheitert daran, daß die übergeleitete Rückstufung einer Masseforderung zu einer Konkursforderung nur für einen bestimmten Gläubiger angeordnet wird. Betroffen ist bisher nur die Bundesanstalt für Arbeit. Offenbar soll nur diese Gläubigerin den Nachteil der Rückstufung ihrer Forderungen hinnehmen. Was für die Bundesanstalt für Arbeit gelten soll, kann nicht auf den Träger der Insolvenzsicherung (§ 14 Abs. 1 BetrAVG) übertragen werden. Danach muß es insoweit bei dem Grundsatz bleiben, daß eine Masseforderung diese Eigenschaft nach einem Forderungsübergang auf einen neuen Gläubiger nicht verliert. Etwaige vom Beklagten befürchtete soziale Ungereimtheiten, die dadurch entstehen, daß der Pensions-Sicherungs-Verein mit seinen Ansprüchen aus § 59 Abs. 1 Nr. 3 d KO noch vor den Sozialplanansprüchen und den Forderungen der Bundesanstalt für Arbeit rangiert, muß der Gesetzgeber beseitigen. Er hat darauf verzichtet, obwohl das Problem einschließlich Änderungsvorschlägen in der Literatur diskutiert worden war (vgl. Uhlenbruck, aaO, § 59 Rz 15 y a.E.).

2. Mit dem Einwand, die Konkursmasse reiche zur vollständigen Befriedigung der Massegläubiger nicht aus (§ 60 Abs. 1 KO), kann der Konkursverwalter in der Revisionsinstanz nicht mehr gehört werden. Seine Behauptung, die Masse sei unzulänglich, ist zwar eine Einwendung, die den Anspruch selbst betrifft. Bei Unzulänglichkeit der Masse wird das Forderungsrecht des Gläubigers eingeschränkt. Der Konkursverwalter kann dann nicht uneingeschränkt verurteilt werden (vgl. BAGE 31, 288, 294 = AP Nr. 1 zu § 60 KO, zu II 3 b der Gründe).

Diesen Einwand sowie den Einwand, es bestehe noch keine Klarheit darüber, ob die Masse zur vollständigen Befriedigung der Massegläubiger ausreiche (vgl. hierzu BAGE 31, 288, 295 = AP Nr. 1 zu § 60 KO, zu II 3 a der Gründe), muß der Konkursverwalter jedoch in den Tatsacheninstanzen vorbringen. Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Tatbestand des Berufungsurteils oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist (§ 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit neuen Verteidigungsmitteln, die noch weitere tatsächliche Feststellungen erfordern, kann der Beklagte in der Revisionsinstanz nicht mehr gehört werden. Er hatte im übrigen ausreichend Gelegenheit, diese Einwendungen geltend zu machen. Die letzte mündliche Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht fand 3 1/4 Jahre nach der Eröffnung des Konkursverfahrens statt.

Dr. Heither Schaub Griebeling

Dr. Krems Paul-Reichart

 

Fundstellen

Haufe-Index 438344

DB 1988, 2649-2650 (LT1-3)

NJW 1989, 1627

NJW 1989, 1627 (L1-3)

BR/Meuer KO § 59, 06-09-88, 3 AZR 141/87 (LT1-3)

EWiR 1989, 187-187 (L1-3)

JR 1989, 308

JR 1989, 308 (L1-3)

KTS 1989, 162-164 (LT1-3)

NZA 1989, 143-144 (LT1-3)

RdA 1989, 70

ZIP 1989, 53

ZIP 1989, 53-54 (LT1-3)

AP § 9 BetrAVG (LT1-3), Nr 9

AR-Blattei, ES 970 Nr 79 (LT1-3)

AR-Blattei, Konkurs Entsch 79 (LT1-3)

EzA § 59 KO, Nr 16 (LT1-3)

VersR 1989, 69-70 (LT1-3)

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