Entscheidungsstichwort (Thema)

Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle

 

Normenkette

HGB § 63; BGB § 616; GewO § 133c; LFZG § 1 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 27.04.1989; Aktenzeichen 6 Sa 1/89)

ArbG Stuttgart (Urteil vom 07.12.1988; Aktenzeichen 21 Ca 4386/88)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 27. April 1989 – 6 Sa 1/89 – aufgehoben, soweit es die Klage in Höhe von 1.532,26 DM brutto nebst zugehörigen Zinsen abgewiesen und über die Kosten entschieden hat.

2. Im Umfange der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle.

Der Kläger war bei der Beklagten als kaufmännischer Angestellter gegen ein monatliches Bruttogehalt von zuletzt 4.750,– DM beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete am 31. März 1988 durch Kündigung der Beklagten. In der Zeit vom 8. Februar (Montag) bis zum 21. März 1988 (Montag) war der Kläger von einem Arzt für arbeitsunfähig krank befunden worden. Die Beklagte gewährte dem Kläger bis zum 20. März einschließlich das Gehalt weiter. Für den 21. März 1988 erhielt der Kläger Krankengeld. Am gleichen Tage wurde er erneut mit Wirkung ab 22. März 1988 (Dienstag) bis zum 31. März 1988 von einem anderen Arzt arbeitsunfähig krank geschrieben.

Mit seiner Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf Fortzahlung des Gehalts für die Zeit der erneuten Krankschreibung, nämlich ab 22. bis zum 31. März 1988 in Anspruch. Er hat vorgetragen, seine erste Krankheit sei am 21. März 1988 zum normalen Dienstende um 16.30 Uhr ausgeheilt gewesen. Gegen 17.00 Uhr an diesem Tage habe er an seinem Fahrzeug die Reifen wechseln wollen. Beim Schraubenlösen habe er plötzlich Rückenschmerzen bekommen. Deretwegen habe der Arzt ihn noch am 21. März gegen 18.00 Uhr erneut mit Wirkung ab 22. März und bis zum 31. März 1988 für arbeitsunfähig krank befunden. Da diese zweite Krankheit erst nach Ausheilung der ersten eingetreten sei, stehe ihm erneut ein Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts zu. Da die Beklagte ihm für März 1988 lediglich 3.057,46 DM brutto gewährt habe, schulde sie ihm noch die Zahlung des am vollen Monatsgehalt fehlenden Betrages von 1.692,54 DM brutto.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.692,54 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Mai 1988 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat bestritten, daß der Kläger am 21. März (Montag) ab etwa 16.30 Uhr (übliche Zeit des Arbeitsendes) wieder gesund gewesen und erst gegen 18.00 Uhr erneut krank geworden sei. Er sei vielmehr bis zum Ende des 21. März 1988 (also bis Mitternacht) wegen seiner ursprünglichen Erkrankung arbeitsunfähig gewesen. Da er nach seinem Vorbringen am 21. März gegen 18.00 Uhr wegen einer anderen Krankheit arbeitsunfähig geworden sei, brauche sie ihm aus dem Rechtsgrund der Einheit des Verhinderungsfalles nichts mehr zu zahlen. Außerdem sei der Kläger über den 21. März 1988 hinaus wegen derselben Krankheit (Fortsetzungserkrankung) weiterbehandelt worden. Schließlich bestehe Grund zu der Annahme, daß der Kläger bereits am 21. März 1988 bei einem anderen Arbeitgeber die Arbeit aufgenommen habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er sein Klageziel in Höhe eines Bruttobetrages von 1.532,26 DM weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Es läßt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob dem Kläger der erhobene Anspruch zusteht. Dazu bedarf es weiterer Aufklärung durch die Vorinstanz.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Kläger könne für den Rest des Monats März 1988 rechnerisch allenfalls noch einen Betrag von 1.532,26 DM brutto verlangen. Soweit er über diesen Betrag hinaus weitere 160,28 DM bis zum Gesamtbetrag von 1.692,54 DM brutto fordere, sei seine Klage ohne weiteres unbegründet. Aber auch in Höhe von 1.532,26 DM brutto stehe dem Klage ein Anspruch gegen die Beklagte nach § 63 HGB nicht zu. Es dürfe vorliegend nicht von zwei selbständigen Verhinderungsfällen ausgegangen werden. Der Kläger sei vielmehr am 21. März 1988 bis zum Ende des Tages arbeitsunfähig krank gewesen. Dies folge daraus, daß der Arzt ihn bis zum 21. März einschließlich für arbeitsunfähig befunden habe. Wenn der Kläger an diesem Tage etwa eine halbe Stunde nach seiner üblichen Arbeitszeit gegen 17.00 Uhr erneut krank geworden sei, so sei die erste Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Eintritts des zweiten Verhinderungsfalles nicht beendet gewesen, weil diese bis zum Ablauf des 21. März 1988 angedauert habe. Der Kläger sei also zwischen den beiden Verhinderungsfällen nicht arbeitsfähig gewesen. Danach sei für ihn auch kein neuer Gehaltsfortzahlungsanspruch entstanden.

Das Landesarbeitsgericht hat dazu näher ausgeführt, es vermöge der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht zu folgen, wonach dann, wenn die ärztliche Bescheinigung für das Ende der Arbeitsunfähigkeit lediglich einen Kalendertag angebe, in der Regel Arbeitsunfähigkeit nur bis zum Ende der üblichen Arbeitszeit an diesem Kalendertag bescheinigt werde. Vielmehr müsse, wenn weitere Angaben fehlten, im Gegensatz zu der Ansicht des Bundesarbeitsgerichts davon ausgegangen werden, daß die Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf des angegebenen Kalendertages, also um 24.00 Uhr, ende.

Diese Begründung wird von der Revision zu Recht angegriffen.

II.1. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 HGB behält der kaufmännische Angestellte bei Arbeitsverhinderung durch unverschuldete Krankheit den Anspruch auf Gehalt bis zur Dauer von sechs Wochen. Dieser Anspruch auf Vergütungszahlung ist (ebenso wie in den Fällen des § 616 Abs. 1 und Abs. 2 BGB, des § 133 c GewO und des § 1 Abs. 1 LFZG) auch dann auf die Dauer von sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit begrenzt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führt. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles).

Eine weitere Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall kann der Angestellte nur fordern, wenn die erste Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in welchem eine weitere Erkrankung zu einer neuen Arbeitsverhinderung führt (BAGE 37, 172, 174 ff. = AP Nr. 48 zu § 1 LohnFG, zu II 1 der Gründe, m.w.N.). Denn zwei selbständige Verhinderungsfälle liegen vor, wenn ein Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich arbeitet oder wenn er zwischen den beiden Krankheiten zwar arbeitsfähig war, tatsächlich aber nicht zu arbeiten brauchte oder auch gar nicht arbeiten konnte, weil er nur für wenige, außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden arbeitsfähig war (vgl. BAGE 37, 172, 178 = AP Nr. 48, a.a.O., zu II 2 a der Gründe, m.w.N. aus Rechtsprechung und Schrifttum).

2. Wird das Ende der Arbeitsunfähigkeit vom Arzt auf einen bestimmten Kalendertag festgelegt, so wird damit in der Regel Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende der üblichen Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers an diesem Kalendertag bescheinigt. Das hat der Senat bereits für frühere Fälle ausgeführt (BAGE 37, 172, 179 = AP Nr. 48 zu § 1 LohnFG, zu II 2 c der Gründe; sowie BAGE 43, 291, 295 = AP Nr. 55 zu § 1 LohnFG, zu 2 b der Gründe). Lediglich als Unterfall ist das Schichtende als Ende der betriebsüblichen Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers angenommen worden (BAGE 43, 291, 295 = AP Nr. 55, a.a.O.). An der Auffassung, das auf einen bestimmten Kalendertag festgelegte Ende der Arbeitsunfähigkeit bedeute für den Regelfall, daß damit das Ende der Arbeitsunfähigkeit auf das Ende der betriebsüblichen Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers falle, hat der Senat im Urteil vom 12. Juli 1989 ausdrücklich festgehalten (– 5 AZR 377/88 – AP Nr. 77 zu § 616 BGB, zu III 1 der Gründe). Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts im angefochtenen Urteil enthalten demgegenüber keine wesentlich neuen, nicht bereits erwogenen Gesichtspunkte und können daher keine Veranlassung geben, diese Rechtsprechung zu ändern (vgl. insoweit BAGE 12, 278, 284 f. = AP Nr. 35 zu § 1 ArbKrankhG).

III. Das Landesarbeitsgericht muß den Sachverhalt daher noch einmal unter Anwendung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts prüfen und die dazu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nachholen. Es ist zu untersuchen, ob für den Kläger am 21. März 1988 nach dem Ende seiner hypothetischen Arbeitszeit bei der Beklagten (16.30 Uhr) ein neuer Verhinderungsfall eingetreten ist. Bislang hat das Landesarbeitsgericht diese Behauptung des Klägers zu seinen Gunsten als zutreffend unterstellt. Die Beklagte hat den Vortrag des Klägers jedoch bestritten und zudem geltend gemacht, beim Kläger habe eine Fortsetzungskrankheit vorgelegen, er habe außerdem vom 21. März 1988 ab bereits bei einem anderen Unternehmer gearbeitet. Diese tatsächlichen Umstände bedürfen der Aufklärung. Das macht die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht erforderlich.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Werner, Fischer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1081207

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