Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Abfindung aus einem Sozialplan

 

Normenkette

BetrVG §§ 112, 75

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 10.12.1993; Aktenzeichen 3 Sa 206/93)

ArbG Dresden (Urteil vom 26.05.1993; Aktenzeichen 3 Ca 10269/92)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 10. Dezember 1993 – 3 Sa 206/93 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Abfindungsanspruch der Klägerin aus dem Sozialplan vom 20. März 1991.

Die Klägerin war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern vom 1. Oktober 1966 bis zum 2. Oktober 1990, zuletzt als Abteilungsleiterin Finanzrechnung, beschäftigt. Am 1. Oktober 1990 schlossen die Parteien eine Vereinbarung über den Vorruhestand auf der Grundlage der Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 8. Februar 1990 (GBl I Nr. 7 S. 42) und der dazu erlassenen Durchführungsbestimmungen. Die Klägerin ist am 2. Oktober 1990 in den Vorruhestand getreten. Dementsprechend vereinbarten die Parteien am 11. Oktober 1990 einen schriftlichen Auflösungsvertrag. Derartige Vereinbarungen wurden in der Zeit vom 1. September bis zum 1. Oktober 1990 mit ca. 217 von 4.100 Arbeitnehmern abgeschlossen.

Am 20. März 1991 vereinbarte die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat und der Bezirkleitung Dresden der IG Metall einen Interessenausgleich sowie einen Sozialplan/Tarifvertrag, der mit Wirkung vom 1. März 1991 galt. Der Sozialplan/Tarifvertrag lautet – soweit vorliegend von Interesse – wie folgt:

„1. Geltungsbereich

Die Vereinbarung gilt

  • räumlich für die Standorte K., R. und Z. sowie betriebliche Sozialeinrichtungen
  • persönlich für alle Mitarbeiter, die unter den Geltungsbereich des BetrVG fallen, am 1. März 1991 bei der E. GmbH beschäftigt waren und deren Arbeitsverhältnis aufgrund des Interessenausgleiches vom 20.03.91 endet.

Außerdem erhalten alle Arbeitnehmer, die nach dem 01.07.90 in den Vorruhestand gegangen sind, Leistungen aus diesem Sozialplan.

3. …

4. Sockelbeträge

Folgende Sockelbeträge werden zur Verfügung gestellt:

Schwerbehinderte

1.500,00 DM

Alleinerziehende pro unterhaltspflichtigem Kind

500,00 DM

Vorruheständler

1.500,00 DM.

5. Abfindungshöhe

Beim Ausscheiden aus dem Betrieb wird eine Abfindung nach folgendem Punktsystem errechnet:

5. I. Punkte für Betriebszugehörigkeit

Stichtag für die Berechnung des Lebensalters und die Berechnung der Betriebszugehörigkeit ist der 01.03.91.

7. Inkrafttreten

Diese Vereinbarung gilt ab 01.03.91 und bleibt solange in Kraft, bis die Maßnahmen nach dem Interessenausgleich vom 20.03.91 abgeschlossen sind.

…”

Die Beklagte zahlte der Klägerin aus dem Sozialplan den Sockelbetrag nach Ziffer 4 in Höhe von 1.500,00 DM. Im übrigen erhielt die Klägerin bei Eintritt in den Vorruhestand eine einmalige Ausgleichszahlung gemäß einer Betriebsvereinbarung vom 1. Oktober 1990.

Mit ihrer Klage vom 24. November 1992 verlangt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung weiterer 8.744,– DM als Abfindung aus dem Sozialplan. Sie ist der Ansicht, ihr stehe aus dem Sozialplan insgesamt eine Abfindung in Höhe von 10.244,– DM zu. Wortlaut, Gesamtzusammenhang sowie Sinn und Zweck des Sozialplans ergäben eindeutig, daß neben dem Anspruch auf den Sockelbetrag nach Ziffer 4 auch ein Anspruch auf die Abfindung nach Ziffer 5 des Sozialplans bestehe. So folge aus dem Begriff Sockelbetrag, daß ein weiterer Betrag aufgestockt werde. Auch die anderen beiden Arbeitnehmergruppen der Schwerbehinderten und der Alleinerziehenden erhielten neben dem Sockelbetrag die Abfindung nach Ziffer 5 des Sozialplans. Die Regelung in Ziffer 5.1. des Sozialplans, wonach Stichtag für die Berechnung des Lebensalters und der Betriebszugehörigkeit der 1. März 1991 ist, beziehe sich nur auf die Berechnung der Abfindung, nicht aber auf den Anspruch selbst. Soweit nach Ziffer 1 der Sozialplan nicht gilt für Mitarbeiter, die vor dem 1. März 1991 ausgeschieden waren, seien die Vorruheständler in Ziffer 1, sofern sie nach dem 1. Juli 1990 in den Vorruhestand getreten sind, ausdrücklich in die Leistungen des Sozialplans wieder einbezogen worden. Ein Ausschluß der Vorruheständler aus dem Sozialplan würde außerdem den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 8.744,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 10. Dezember 1992 zu zahlen;

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, gemäß § 113 Abs. 1 BetrVG i.V.m. § 10 KSchG zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, die in Ziffer 4 des Sozialplans aufgeführten Personengruppen erhielten die Abfindung nach Ziffer 5 des Sozialplans nur dann, wenn sie vom Geltungsbereich des Sozialplans erfaßt würden, also am 1. März 1991 bei der Beklagten beschäftigt seien. Der „Sockelbetrag” sei nur als zusätzlicher, sozialmotivierter Bonus zu verstehen. Da die Klägerin bereits am 2. Oktober 1990 in den Vorruhestand getreten sei, könne sie keine weitere Abfindung aus dem Sozialplan bzw. Interessenausgleich beanspruchen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin kann die Zahlung einer weiteren Sozialplanabfindung nicht verlangen.

1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß die Klägerin aus dem Sozialplan/Tarifvertrag vom 20. März 1991 lediglich eine Leistung in Höhe 1.500,00 DM beanspruchen kann. Dagegen steht der Klägerin die Zahlung einer weiteren Sozialplanabfindung nach Ziffer 5 nicht zu, weil sie insoweit nicht unter den Geltungsbereich des Sozialplans fällt.

a) Das ergibt die Auslegung des Sozialplans. Sozialpläne sind als Betriebsvereinbarungen besonderer Art wie Gesetze und Tarifverträge auszulegen (BAG Urteil vom 27. August 1975 – 4 AZR 454/74 – AP Nr. 2 zu § 112 BetrVG 1972). Dabei ist zunächst vom Wortlaut des Sozialplans auszugehen und der maßgebliche Sinn der Erklärung festzustellen, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Sozialplanparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn der Sozialplannorm zu berücksichtigen, soweit sie im Sozialplan ihren Niederschlag gefunden haben (BAG Urteil vom 27. Juli 1994 – 10 AZR 710/93 – n.v.).

b) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß nach diesen Grundsätzen nur die Arbeitnehmer, die am 1. März 1991 bei der Beklagten beschäftigt waren und deren Arbeitsverhältnisse im Zuge der Betriebsänderung nach dem Interessenausgleich vom 20. März 1991 beendet worden sind, Anspruch auf die Sozialplanabfindung haben sollen. Erkennbar war es Sinn und Zweck der Sozialplanregelungen, die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer im Zuge der Betriebsänderung – Anpassung von Beschäftigungsstrukturen (Personalabbau) – in der Zeit vom 1. März bis zum 30. Juni 1991 auszugleichen bzw. zu mildern. Dies folgt zum einen aus den Regelungen in Ziffern 1 und 7 des Sozialplans selbst sowie aus dem Zusammenhang des Sozialplans mit dem am 20. März 1991 von den Sozialplanparteien abgeschlossenen Interessenausgleich.

Da die Klägerin am 1. März 1991 nicht mehr in den Diensten der Beklagten stand, wird sie vom Geltungsbereich des Sozialplans nicht erfaßt.

2. Etwas anderes folgt nicht daraus, daß die Klägerin nach Ziffer 1 des Sozialplans als Arbeitnehmerin, die nach dem 1. Juli 1990 in den Vorruhestand getreten ist. Leistungen aus dem Sozialplan erhalten soll. Die Sozialplanleistungen für diese Arbeitnehmergruppe sind in Ziffer 4 des Sozialplans aufgeführt. Diese sog. „Vorruheständler” erhalten danach auf jeden Fall einen Sockelbetrag in Höhe von 1.500,00 DM. Die Sozialplanabfindung nach Ziffer 5 des Sozialplans können die in Ziffer 4 aufgeführten Arbeitnehmergruppen – Schwerbehinderte, Alleinerziehende und Vorruheständler – nach dem erkennbaren Sinn und Zweck sowie Gesamtzusammenhang des Sozialplans aber nur erhalten, wenn sie die weitere Voraussetzung der Ziffer 1 des Sozialplans erfüllen und am 1. März 1991 bei der Beklagten beschäftigt waren sowie ihr Arbeitsverhältnis aufgrund des Interessenausgleichs vom 20. März 1991 beendet wird. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, erhalten die in Ziffer 4 des Sozialplans aufgeführten Arbeitnehmergruppen lediglich die dort genannten Sockelbeträge.

3. Eine solche Regelung verstößt nicht gegen § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Danach haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, daß alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden. Hierbei ist der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz der wichtigste Unterfall der Behandlung nach Recht und Billigkeit. Die Betriebspartner haben bei der gestaltenden Regelung des Sozialplans einen weiten Ermessensspielraum, ob und in welchem Umfang sie die Nachteile einer Betriebsänderung ausgleichen wollen (ständige Rechtsprechung des BAG vgl. BAGE 59, 359 = AP Nr. 47 zu § 112 BetrVG 1972; BAGE 67, 29 = AP Nr. 57 zu § 112 BetrVG 1972; Urteil vom 24. November 1993 – 10 AZR 311/92 – AP Nr. 72 zu § 112 BetrVG 1972). Sie müssen dabei den Normzweck des § 112 BetrVG beachten, wonach Sozialplanleistungen dem Ausgleich oder der Milderung zukünftig zu erwartender Nachteile aufgrund einer Betriebsänderung dienen sollen (BAG Urteil vom 28. Oktober 1992 – 10 AZR 129/92 – AP Nr. 66 zu § 112 BetrVG 1972; Urteil vom 28. April 1993 – 10 AZR 222/92 – AP Nr. 67 zu § 112 BetrVG 1972). Der Gleichbehandlungsgrundsatz erfordert keine schematische Gleichbehandlung der Arbeitnehmer eines Betriebes, sondern verbietet die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer aus sachfremden Gründen gegenüber anderen, in vergleichbarer Lage befindlichen Arbeitnehmern, sowie eine auf sachfremden Gründen beruhenden Gruppenbildung (BAG Urteil vom 6. Juni 1974, BAGE 26, 178 = AP Nr. 165 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Eine Differenzierung aufgrund bestehender tatsächlicher und für die jeweilige Regelung erheblicher Gesichtspunkte ist zulässig.

Danach ist der Sozialplan vom 20. März 1991 nicht zu beanstanden, wenn er einerseits für die Arbeitnehmer eine Abfindung nach Ziffer 5 vorsieht, die am 1. März 1991 bei der Beklagten in einem Arbeitsverhältnis stehen und andererseits für die Arbeitnehmer, die nach dem 1. Juli 1990, aber vor dem 1. März 1991 in den Vorruhestand getreten sind, lediglich die Zahlung eines Sockelbetrages enthält. Im Hinblick darauf, daß die vor dem 1. März 1991 in den Vorruhestand getretenen Arbeitnehmer durch das Vorruhestandsgeld bzw. das spätere Altersübergangsgeld wirtschaftlich teilweise abgesichert waren und von der Betriebsänderung im Sinne des Interessenausgleichs vom 20. März 1991 nicht direkt betroffen sind, kann ihre unterschiedliche Behandlung bei den Sozialplanleistungen nicht willkürlich oder sachfremd sein. Im Hinblick auf diese unterschiedliche Betroffenheit von der dem Sozialplan zugrundeliegenden Betriebsänderung wäre es auch unsinnig, die zum Teil wirtschaftlich abgesicherten Vorruheständler durch Zahlung des Sockelbetrags nach Ziffer 4 des Sozialplans und zusätzlich durch Zahlung der Sozialplanabfindung nach Ziffer 5 gegenüber den anderen Arbeitnehmern in der von der Klägerin begehrten Weise besser zu behandeln. Aus diesem Grunde führt auch die Bezeichnung der Leistung an die sog. Vorruheständler als „Sockelbetrag” zu keinem anderen Ergebnis.

4. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 10. Dezember 1993 hat die Klägerin ihren ursprünglich gestellten Hilfsantrag auf Zahlung einer der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung nach § 113 Abs. 1 BetrVG in der Berufungsinstanz nicht weiterverfolgt. Dieser Antrag ist daher in der Revisionsinstanz nicht anhängig geworden.

5. Da ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer weiteren Sozialplanabfindung demnach nicht besteht, hat das Landesarbeitsgericht ihre Klage zu Recht abgewiesen. Die Revision der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Hauck, Richter Böck ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert Matthes, Schaeff, Schlaefke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093175

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