Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialplanabfindung für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer

 

Leitsatz (amtlich)

Sinn und Zweck der Sozialplanabfindung als Überbrückungshilfe rechtfertigen es, die Abfindung entsprechend der persönlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Verhältnis zur tariflichen Arbeitszeit zu berechnen.

 

Normenkette

BetrVG § 75; GG Art. 3 Abs. 1; BetrVG § 112; BeschFArbRG § 2 Abs. 1; BeschFG 1985 Art. 1 § 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 13.02.1992; Aktenzeichen 13 (14) Sa 1213/91)

ArbG Wesel (Entscheidung vom 03.09.1991; Aktenzeichen 1 Ca 1598/91)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe der an die Klägerin zu zahlenden Sozialplanabfindung.

Die am 28. November 1960 geborene Klägerin war bei der Beklagten seit dem 15. September 1975 als Textilarbeiterin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund fristgemäßer Kündigung der Beklagten wegen Produktionseinstellung und Betriebsstillegung mit dem 30. Juni 1991.

Die Klägerin hatte vor 1979 in Vollzeit gearbeitet. Von 1979 bis 1985 war die Klägerin halbtags teilzeitbeschäftigt. Ab dem 17. September 1985 bis zum 31. Juli 1990 war die Klägerin mit 87,5 % der betrieblichen Wochenarbeitszeit tätig. Seit dem 1. August 1990 arbeitete die Klägerin 20 Stunden in der Woche. Für Vollzeitbeschäftigte betrug die Arbeitszeit 38,5 Wochenstunden.

Im Betrieb der Beklagten gibt es keine teilzeitbeschäftigten männlichen Arbeitnehmer.

Am 12. Dezember 1990 vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Sozialplan; der Sozialplan enthält zur Zahlung von Abfindungen u.a. folgende Regelungen:

"1. Alle Arbeitnehmer, die am 6.12.1990 be- triebszugehörig sind und in einem ungekündig- ten Arbeitsverhältnis stehen (vergleiche Anlage 1 zum Sozialplan) und aus betriebsbedingten Gründen durch arbeitgeberseitige Kündigung oder Aufhebungsvertrag ausscheiden, erhalten eine Abfindung nach den §§ 9, 10 KSchG, 112 BetrVG, 3 Nr. 9 EStG. Eine Ausnahme gilt für die Arbeitnehmer

L

A .

Diese erhalten keine Abfindung da sie "dauerkrank" sind.

Keinen Anspruch haben ferner die Arbeitnehmer, die vor dem Zeitpunkt der Betriebsstilllegung Altersruhegeld beziehen können.

2. Die Höhe der Abfindung bemißt sich grundsätzlich nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit. Es werden nur volle Jahre der Betriebszugehörigkeit berücksichtigt, die bis zum 31.12.1990 vollendet werden. Teilzeitbeschäftigte erhalten Abfindungen im Verhältnis zur tariflichen Arbeitszeit.

3. Als Abfindungsbetrag werden 600,-- DM für jedes volle Jahr der Betriebszugehörigkeit vereinbart.

...

10. Der Höchstbetrag, der zur Auszahlung gelangt, beträgt max. 751.000,-- DM."

Die Beklagte zahlte an die Klägerin aufgrund des Sozialplans eine Abfindung in Höhe von 4.675,32 DM netto entsprechend der Betriebszugehörigkeit der Klägerin und ihrer Arbeitszeit im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (600,-- DM x 15 Jahre : 38,5 Stunden x 20 Stunden).

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin die Zahlung eines weiteren Abfindungsbetrags in Höhe von 2.149,68 DM netto.

Sie ist der Auffassung, ihre Abfindung müsse insgesamt 6.825,-- DM betragen, da bei der Bemessung der Abfindung die Jahre der Vollzeitbeschäftigung mit dem vollen Betrag von 600,-- DM je Jahr zu berücksichtigen seien. Außerdem werde sie durch den Sozialplan, so wie die Beklagte ihn verstehe, wegen ihres Geschlechts benachteiligt, weil sie aufgrund der Betreuung ihrer Kinder an einer durchgehenden Vollzeitbeschäftigung gehindert gewesen sei.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.149,68 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 3. Juli 1991 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, für die Berechnung der Sozialplanabfindung sei die Arbeitszeit der Klägerin im Zeitpunkt der Kündigung maßgeblich, da der Sozialplan die Nachteile ausgleichen solle, die den Arbeitnehmern in Zukunft entstünden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz werde nicht verletzt, weil Teilzeitbeschäftigte nicht so schutzbedürftig seien wie Vollzeitbeschäftigte; der Verlust des Arbeitsplatzes treffe sie nicht so schwer. Dies sei ein ausreichender Grund für die Differenzierung.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter; die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht erkannt, daß der Klägerin ein weiterer Abfindungsbetrag nicht zusteht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Auslegung des Sozialplans ergebe, daß die Beklagte die Abfindung richtig berechnet habe. Die Differenzierung zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten hinsichtlich des Abfindungsbetrags sei nicht zu beanstanden. Der Sozialplan solle den Verlust des sozialen Besitzstands im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mildern. Es sei daher gerechtfertigt, für die Berechnung der Höhe der Abfindung auf die Arbeitszeit zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzustellen. Die Abfindung solle keine zusätzliche Honorierung der in der Vergangenheit erbrachten Arbeitsleistung, sondern eine Überbrückungshilfe bis zu einem neuen Arbeitsverhältnis oder bis zum Bezug des Altersruhegelds sein. Der auszugleichende soziale Besitzstand bestehe bei teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern im Verlust der Teilzeitbeschäftigung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei auch dann nicht verletzt, wenn von der Regelung nur Frauen betroffen seien. Die vorgenommene Differenzierung habe ihren sachlichen Grund darin, daß der Wert des Arbeitsplatzes im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Teil- und Vollzeitbeschäftigten unterschiedlich sei.

II. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Der Klägerin steht eine weitere Abfindung nicht zu. Die Beklagte hat die nach dem Sozialplan vom 12. Dezember 1990 geschuldete Abfindung in der Höhe von 4.675,32 DM netto zutreffend errechnet und an die Klägerin ausgezahlt.

1. Nach dem Sozialplan hat die Klägerin einen Anspruch auf eine anteilige Abfindung im Verhältnis ihrer Arbeitszeit im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur tariflichen Arbeitszeit. Dieses Ergebnis folgt - wie das Landesarbeitsgericht richtig festgestellt hat - aus der Auslegung des Sozialplans.

Sozialpläne sind als Betriebsvereinbarungen besonderer Art nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wie Tarifverträge auszulegen (BAG Urteil vom 4. Juni 1987 - 2 AZR 393/86 - n.v.; BAG Urteil vom 27. August 1975 - 4 AZR 454/74 - AP Nr. 2 zu § 112 BetrVG 1972). Maßgeblich ist dabei - entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung - zunächst der Wortlaut. Über den reinen Wortlaut hinaus ist sodann der wirkliche Wille der Betriebspartner und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Regelung mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in der Betriebsvereinbarung erkennbar zum Ausdruck gekommen sind. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang der Regelung, der häufig schon deswegen einzubeziehen ist, weil daraus auf den wirklichen Willen der Betriebspartner geschlossen und nur so der Sinn und Zweck der Regelung zutreffend ermittelt werden kann.

Hiernach ergibt sich insbesondere unter Berücksichtigung des Interessenausgleichs vom 12. Dezember 1990, daß der Sozialplan entsprechend § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dem Ausgleich und der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die durch die Betriebsstillegung entstehen, dienen soll. Nach seinem Sinn und Zweck und dem Gesamtzusammenhang will der Sozialplan den Verlust des sozialen Besitzstands der Arbeitnehmer der Beklagten im Zeitpunkt der Beendigung der Arbeitsverhältnisse ausgleichen. Das wird besonders deutlich in der Regelung, nach der die "Dauerkranken" und diejenigen, die Altersruhegeld in Anspruch nehmen können, keine Abfindung erhalten. Bei diesen Arbeitnehmern fehlt es entweder - wie bei Dauerkranken - an einem "Vermögenswert" des verlorenen Arbeitsplatzes oder wird der Verlust in anderer Weise - durch Altersruhegeld - ausgeglichen. Wäre es Sinn der Abfindung, in der Vergangenheit geleistete Arbeit nachträglich zu vergüten, wäre nicht erklärbar, warum diese Arbeitnehmer ausgeschlossen würden.

Berücksichtigt man weiter, daß ein Sozialplan nach seiner gesetzlichen Definition den von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmern eine Überbrückungshilfe bis zu einem neuen Arbeitsverhältnis oder längstens bis zum Bezug von Altersruhegeld gewähren soll (BAG Urteil vom 15. Januar 1991 - 1 AZR 80/90 - AP Nr. 57 zu § 112 BetrVG 1972), so folgt auch daraus, daß sich die Berechnung der Abfindung nach dem Stand des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der Kündigung richtet. Dementsprechend ist auch in der Regel das Arbeitsentgelt im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zugrunde zu legen. Auch § 10 KSchG, auf den der Sozialplan vom 12. Dezember 1990 u.a. Bezug nimmt, stellt in Abs. 3 auf den Monatsverdienst in dem Monat ab, in dem das Arbeitsverhältnis endet.

Vorliegend bedeutet das, daß die Arbeitszeit der Klägerin im Zeitpunkt der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses für die Berechnung der Abfindung nach Ziffer 2 Satz 3 des Sozialplans maßgeblich ist. Die Beklagte hat danach die Abfindung zutreffend errechnet und ausbezahlt. Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines weiteren Abfindungsbetrags besteht nicht.

2. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer höheren Abfindung folgt auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung. Die Betriebspartner sind gemäß § 75 BetrVG zur Gleichbehandlung der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer verpflichtet. Die Regelung im Sozialplan, wonach teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer Abfindungen im Verhältnis ihrer persönlichen Arbeitszeit im Zeitpunkt der Kündigung zur tariflichen Arbeitszeit erhalten, verstößt weder gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen das Verbot der Ungleichbehandlung von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern oder das Verbot der Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts.

a) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage. Eine Differenzierung ist dann sachfremd, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. zuletzt Urteil vom 28. Juli 1992 - 3 AZR 173/92 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

b) Nach § 2 Abs. 1 BeschFG ist eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern wegen der Teilzeitarbeit unzulässig. Eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeitkräften kann aber aus sachlichen Gründen, die z.B. auf der Arbeitsleistung, Qualifikation, Berufserfahrung oder unterschiedlichen Anforderungen am Arbeitsplatz beruhen, zulässig sein.

c) Nach dem Sozialplan vom 12. Dezember 1990 erhalten teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer Abfindungen im Verhältnis zur tariflichen Arbeitszeit. Das Anknüpfen dieser Regelung an der persönlichen Arbeitszeit stellt einen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Abfindungszahlung dar. Vom Sinn und Zweck der Sozialplanabfindung her, den von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmern eine Überbrückungshilfe bis zu einem neuen Arbeitsverhältnis oder bis zum Bezug von Altersruhegeld zu gewähren, ist es billigenswert und vernünftig, an der persönlichen Arbeitszeit anzuknüpfen. Die persönliche Arbeitszeit ist für den sozialen Besitzstand, den der Arbeitnehmer durch die Betriebsstillegung verliert, wesentlich, da sich das Arbeitsentgelt danach richtet.

d) Ziffer 2 Satz 3 des Sozialplans enthält auch keinen Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung beim Arbeitsentgelt wegen des Geschlechts. Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag (Grundsatz der Lohn gleichheit), der nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unmittelbare Wirkung in den Mitgliedsstaaten entfaltet, verbietet nicht nur solche Diskriminierungen, die sich unmittelbar aus der ausdrücklich nach dem Geschlecht differenzierenden jeweiligen Regelungen ergeben, sondern auch solche Regelungen, die zwar geschlechtsneutral formuliert und deshalb auf Frauen und Männer gleichermaßen anzuwenden sind, tatsächlich jedoch aus Gründen, die auf dem Geschlecht oder der Geschlechterrolle beruhen, wesentlich mehr Frauen als Männer nachteilig treffen (BAG Urteil vom 9. Oktober 1991 - 5 AZR 598/90 - EzA § 1 LFZG Nr. 122). Eine unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen bedeutet aber dann keine Verletzung des Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag, wenn hierfür objektiv rechtfertigende Gründe bestehen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 - Rechtssache 170/84 - AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag). Solche Gründe sind vorliegend gegeben. Auch wenn bei der Beklagten keine teilzeitbeschäftigten Männer arbeiten, rechtfertigen Sinn und Zweck der Sozialplanabfindung als Überbrückungshilfe die unterschiedliche Berechnung entsprechend der persönlichen Arbeitszeit im Verhältnis zur tariflichen Arbeitszeit. Die Sozialplanabfindung soll den Verlust des sozialen Besitzstandes mildern. Dieser ist aber durch die persönliche Arbeitszeit gekennzeichnet. Auch das an den teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer zu zahlende - insgesamt geringere - Arbeitsentgelt richtet sich nach der persönlichen Arbeitszeit. Die unterschiedliche Behandlung der teilzeitbeschäftigten und der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer im Sozialplan ist daher vom Zweck der Abfindung her gerechtfertigt.

III. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen.

Matthes

Richter Dr. Freitag ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert.

Hauck

Matthes

Seyd Kähler

 

Fundstellen

BAGE 71, 280-285 (LT1)

BAGE, 280

BB 1993, 506

BB 1993, 506-507 (LT1)

DB 1993, 591-592 (LT1)

NJW 1993, 2556

NJW 1993, 2556 (L)

EBE/BAG 1993, 45-46 (LT1)

AiB 1993, 578-579 (LT1)

DWiR 1993, 298-299 (ST)

EWiR 1993, 539 (L)

JR 1993, 264

NZA 1993, 717

NZA 1993, 717-718 (LT1)

SAE 1994, 114-116 (LT1)

ZIP 1993, 449

ZIP 1993, 449-451 (LT1)

AP § 112 BetrVG 1972 (LT1), Nr 66

AR-Blattei, ES 1470 Nr 47 (LT1)

EzA § 112 BetrVG 1972, Nr 65 (LT1)

MDR 1993, 455-456 (LT1)

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