Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallrente bei betrieblichem Gesamtversorgungssystem

 

Leitsatz (amtlich)

Eine betriebliche Versorgungsordnung, die bestimmt, daß Verletztenrenten der gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen einer Gesamtversorgung zur Hälfte angerechnet werden, ist im allgemeinen rechtlich nicht zu beanstanden.

 

Normenkette

BetrAVG § 5 Abs. 2; BGB § 242; RVO § 581 Abs. 1; BVG §§ 31-32

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.11.1982; Aktenzeichen 5 Sa 101/82)

ArbG Stuttgart (Urteil vom 08.07.1982; Aktenzeichen 6 Ca 104/82)

 

Tenor

  • Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 26. November 1982 – 5 Sa 101/82 – wird zurückgewiesen.
  • Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der im Jahre 1917 geborene Kläger war bei der Beklagten als Orchestermusiker beschäftigt. Im Jahre 1976 erlitt er einen Arbeitsunfall, der zu einer Minderung seiner Erwerbsfähigkeit auf 60 v.H. führte. Er bezieht eine Unfallrente in Höhe von 2.071,73 DM. Am 31. Januar 1982 trat er wegen Erreichens der Altersgrenze in den Ruhestand.

Die Beklagte gewährt aufgrund einer Dienstvereinbarung vom 26. März 1979 Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Versorgungsberechtigt sind alle Arbeitnehmer der Beklagten, die bei Eintritt des Versorgungsfalles in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen und auf die der Manteltarifvertrag der Beklagten in seiner jeweiligen Fassung Anwendung findet. Das Ruhegeld beträgt nach Erfüllung einer zehnjährigen Wartezeit unter Anrechnung anderweitiger Versorgungsbezüge 25 v.H. des ruhegeldfähigen Einkommens und erhöht sich für jedes weitere volle Dienstjahr um 2 v.H. bis höchstens 75 v.H. Auf die Versorgungsbezüge werden die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung angerechnet. Ferner heißt es in Nr. 31.25 der Versorgungsordnung:

“Die tatsächliche Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird zur Hälfte angerechnet.”

Die Beklagte errechnete für den Kläger ein Ruhegeld in Höhe von 2.523,46 DM. Sie ging dabei von einer Gesamtversorgung in Höhe von 4.022,97 DM aus, auf die sie 50 v.H. der Unfallrente in Höhe von 1.035,87 DM und zwei weitere Renten mit 502,06 DM und 580,50 DM anrechnete. Die Gesamtbezüge von 6.141,40 DM überstiegen die Versorgungsobergrenze von 4.641,89 DM um 1.499,51 DM. Um diesen Betrag kürzte sie das betriebliche Ruhegeld, so daß sich ein zu zahlendes Ruhegeld in Höhe von 2.523,46 DM ergab.

Der Kläger hat dagegen die Auffassung vertreten, die Beklagte habe die Unfallrente überhaupt nicht berücksichtigen dürfen. Bei richtiger Berechnung ergebe sich nur ein Anrechnungsbetrag von 463,64 DM, so daß sich ein monatlicher Ruhegeldanspruch in Höhe von 3.559,33 DM errechne. Mit der Klage verlangt er den Unterschiedsbetrag zwischen dem tatsächlich gezahlten Ruhegeld und dem Betrag, der ihm nach seiner Auffassung für den Monat Februar 1982 zustünde.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, 1.035,87 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 18. März 1982 an ihn zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, nach Vollendung des 60. Lebensjahres solle die Unfallrente sowohl das gesundheitliche Sonderopfer ausgleichen, wie auch der Alterssicherung dienen. Sie könne daher die Hälfte der Unfallrente anrechnen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich dessen Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Beklagte ist berechtigt, im Rahmen der Gesamtversorgungsobergrenze die Unfallrente zur Hälfte zu berücksichtigen.

1. Das Landesarbeitsgericht hat entsprechend dem unstreitigen Parteivorbringen festgestellt, daß der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung eines betrieblichen Ruhegeldes erfüllt und daß nach den Berechnungsvorschriften der Dienstvereinbarung der monatliche Ruhegeldanspruch 2.523,46 DM beträgt, wenn die Rentenberechnung der Beklagten nicht zu beanstanden ist.

2. Die Hälfte der Unfallrente darf die Beklagte jedoch im Rahmen der Versorgungsobergrenze berücksichtigen.

a) Allerdings hat der Senat in seiner Entscheidung vom 17. Januar 1980 (BAG 32, 297 = AP Nr. 3 zu § 5 BetrAVG) einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz darin gesehen, daß ein Arbeitgeber die Verletztenrente auf das betriebliche Ruhegeld eines Unfallgeschädigten voll anrechnete und ein entsprechend geringeres Ruhegeld zahlen wollte, als er einem vergleichbaren Nichtversehrten zubilligte. Er hat die Auffassung vertreten, eine Anrechnung der Verletztenrente auf Versorgungsbezüge verbiete sich, weil die Unfallrente einen Ausgleich für möglicherweise bestehende Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber darstelle. Diese Rechtsauffassung hat der Senat in Grundsatzentscheidungen vom 19. Juli 1983 überprüft und teilweise eingeschränkt (BAG Urteile vom 19. Juli 1983 – 3 AZR 88/81 und 3 AZR 241/82 –, beide Entscheidungen sind zur Veröffentlichung vorgesehen; zustimmende Anmerkungen von von Hoyningen-Huene, SAE 1984, 19 und Ahrend/Rühmann, BetrAV 1984, 35; weiterhin kritisch Blomeyer/Otto, BetrAVG, Stand 1984, § 5 Rz 140).

Der Senat hat ausgeführt, daß die Berücksichtigung der gesetzlichen Unfallrente im Rahmen einer Gesamtversorgungszusage mit Höchstbegrenzung teilweise zulässig ist. Die Unfallrente dient unterschiedlichen Zwecken: Sie soll einerseits den unfallbedingten Mehraufwand, immaterielle Schäden und erhöhte Anstrengungen des Unfallgeschädigten ausgleichen; andererseits ist sie dazu bestimmt, die Versorgung des Unfallverletzten zu sichern und dessen Verdienstminderungen auszugleichen. Hieraus folgt, daß der Teil der Rente, der den Verlust der körperlichen Unversehrtheit entschädigt, anrechnungsfrei bleiben muß, während der Teil, der die Verdienstminderung ausgleicht, im Rahmen der Gesamtversorgung berücksichtigt werden darf. Der Aufteilungsmaßstab ist nach der Versorgungsordnung zu bestimmen. Wenn diese keine Regelung enthält oder die getroffene Regelung nicht der Billigkeit entspricht, soll der Aufteilungsmaßstab im Recht der Kriegsopferversorgung maßgebend sein. Dort wird unterschieden zwischen der Grundrente, die regelmäßig als Schadensausgleich für den Verlust der körperlichen Unversehrtheit gezahlt wird, und der Ausgleichsrente, die für eine Verdienstminderung entschädigen soll. Unfallrenten in Höhe der Grundrente sind im Zweifel anrechnungsfrei.

b) Von Hoyningen-Huene (SAE 1984, 19) wendet gegen diese Begründung ein, Betriebsvereinbarungen unterlägen nur einer Rechtskontrolle, dagegen keiner Billigkeitsprüfung. Die Aufteilung der Verletztenrente in einen anrechenbaren und einen nicht anrechenbaren Teil, sei eine reine Rechtsfrage, die einer Nachprüfung nach billigem Ermessen nicht zugänglich sei. Die Anlehnung an einen festen Vergleichsmaßstab, wie er sich im Bundesversorgungsgesetz findet, sei unabdingbar.

Demgegenüber hält der Senat daran fest, daß bei der Ausgestaltung von Anrechnungsklauseln in betrieblichen Versorgungsordnungen ein Gestaltungsspielraum bleibt. Das Unfallversicherungsrecht enthält keine zwingenden Aufteilungsgrundsätze im Hinblick auf die verschiedenen Zwecke der Unfallrenten. Das Kriegsopferversorgungsrecht ist nicht unmittelbar anwendbar. Es kann daher nur als Orientierungshilfe dienen, wo speziellere Aufteilungsgrundsätze fehlen, die der Doppelfunktion der Unfallrenten in anderer Weise angemessen Rechnung tragen. Diese zu entwickeln ist in erster Linie eine Aufgabe der Betriebspraxis. Diese hat ein berechtigtes Interesse an praktikablen und klaren Berechnungsverfahren, bei deren Verwirklichung sie allerdings nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einer Inhaltskontrolle nach Billigkeitsgrundsätzen unterworfen ist (BAG 22, 252, 266 = AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu B IV 3b der Gründe; Urteil vom 13. September 1974 – 5 AZR 48/74 – AP Nr. 84 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 4 der Gründe; BAG 27, 187, 194 = AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Auslegung, zu 2 der Gründe; Urteil vom 11. März 1976 – 3 AZR 334/75 – AP Nr. 11 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unverfallbarkeit, zu II 2 der Gründe; Urteil vom 13. Oktober 1976 – 3 AZR 345/75 – AP Nr. 15 aaO, zu 1b der Gründe; BAG 35, 80, 92 = AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 1972, zu II 2c der Gründe; BAG 35, 160, 166 = AP Nr. 12 zu § 112 BetrVG 1972, zu II 1 der Gründe; BAG 37, 237, 241 = AP Nr. 14 zu § 112 BetrVG 1972, zu II 2a der Gründe; BAG 37, 217, 223 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskasse, zu II 3 der Gründe; BAG 36, 327, 336 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Ablösung, zu II 2 der Gründe; BAG 39, 295 = AP Nr. 4 zu § 77 BetrVG 1972, zu II 3 der Gründe; Urteil vom 22. Februar 1983 – 1 AZR 478/81 –).

c) In der Versorgungsordnung der Beklagten ist ein Aufteilungsmaßstab enthalten. Hiernach ist die Hälfte der Unfallrente anrechnungsfrei. Dieser Aufteilungsmaßstab kann im allgemeinen nicht zu unbilligen Ergebnissen führen. Bei seiner Anwendung bleibt in der Mehrzahl der Fälle ein höherer Betrag anrechnungsfrei als der Grundrente des Bundesversorgungsgesetzes entspricht (vgl. die Berechnungsbeispiele bei Ahrend/Rühmann, BetrAV 1984, 35, 37). Der Senat verkennt nicht, daß nach der Regelung der Beklagten Unfallgeschädigte mit höheren Einkünften gegenüber solchen mit geringeren Einkünften begünstigt werden, da die Unfallrente verdienstabhängig bemessen wird (§ 581 Abs. 1 RVO). Indes verbleibt auch demjenigen, der vor dem Unfall geringere Einnahmen hatte, ein Sockelbetrag zum Ausgleich der immateriellen Schäden. In Ausnahmefällen auftretende Unbilligkeiten kann der Arbeitgeber durch Härteregelungen vermeiden.

Ein derartiger Härtefall ist jedoch bei dem Kläger nicht gegeben. Vielmehr ist der in der Versorgungsordnung enthaltene Aufteilungsmaßstab für ihn günstiger als derjenige, der sich aus dem Recht der Kriegsopferversorgung ergibt. Nach dem Recht der Kriegsopferversorgung hätten bei einer Erwerbsminderung von 60 v.H. in den Jahren 1979, 1980 und 1981 299,-- DM, 311,-- DM und 323,-- DM anrechnungsfrei bleiben müssen (§ 81 BVG). Demgegenüber hat die Beklagte 1.035,87 DM von der Anrechnung ausgenommen. Eine noch günstigere Berechnung kann der Kläger nicht verlangen.

 

Unterschriften

Dr. Dieterich, Schaub, Griebeling, Arntzen, Dr. Hromadka

 

Fundstellen

Haufe-Index 1745621

ZIP 1984, 1129

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