Entscheidungsstichwort (Thema)

Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung

 

Orientierungssatz

Zur Frage, ob der Arbeitgeber berechtigt war, Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen anzurechnen.

 

Normenkette

TVG §§ 1, 4; BGB § 242; BetrVG § 87

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 21.01.1987; Aktenzeichen 3 Sa 646/86)

ArbG Neumünster (Entscheidung vom 30.07.1986; Aktenzeichen 3 Ca 1112/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen anzurechnen.

Die Kläger verlangen Erhöhung ihrer Stundenlöhne in Höhe von 5,9 % ab 1. April 1985. Diese Lohnerhöhung setzt sich zusammen aus einer tariflichen Lohnerhöhung von durchschnittlich 2 % und einem Lohnausgleich in Höhe von durchschnittlich 3,9 % für eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 38,5 Stunden. Die Kläger sind bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Die Parteien sind tarifgebunden. Die Arbeitsverdienste der Kläger sind altersgesichert. Neben dem tariflichen Grundlohn erhalten die Kläger eine tarifliche Leistungszulage, eine besondere Zulage (Gießereizulage) und weitere betriebliche Zulagen.

Mit Wirkung vom 1. April 1985 wurden die tariflichen Löhne um durchschnittlich 2 % erhöht. Für die gleichzeitig eintretende Verkürzung der Arbeitszeit von 40 auf 38,5 Stunden wöchentlich wurde ein durchschnittlicher Lohnausgleich von 3,9 % gewährt. Die Beklagte rechnete die Lohnerhöhungen bei den Klägern wie bei allen ihren gewerblichen Arbeitnehmern in vollem Umfang auf die übertariflichen Zulagen an. Auch nach dieser Anrechnung erhalten die Kläger noch ein übertarifliches Arbeitsentgelt.

Mit ihren Klagen verlangen die Kläger die Lohndifferenzbeträge für die Monate April 1985 bis April 1986, lediglich der Kläger zu 5) begehrt nur die Lohndifferenzbeträge für die Zeit bis Februar 1986. Die Kläger haben geltend gemacht, die Anrechnung der Erhöhungen ab 1. April 1985 auf ihre übertariflichen Zulagen sei unzulässig. In keinem Falle dürfe der Lohnausgleich für die Verkürzung der Wochenarbeitszeit angerechnet werden. In beiden Fällen der Anrechnung fehle es an der Zweckidentität. Die Ausgleichszahlungen erfolgten nämlich nicht, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten auszugleichen, sondern um die bisherige Lohnhöhe im Hinblick auf die Arbeitszeitverkürzung sicherzustellen.

Eine Anrechnung der Ausgleichszahlungen führe außerdem zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten. Während sich bei Angestellten lediglich die Möglichkeit einer Anrechnung von 2 % biete, könne bei Arbeitern auch der Lohnausgleich von 3,9 % auf die übertariflichen Zulagen angerechnet werden.

Ferner stehe § 5 Nr. 2 des Manteltarifvertrages vom 11. Juli 1984 einer Anrechnung entgegen. Nach dieser Bestimmung seien die Kläger so zu stellen, daß sich die vereinbarte tarifvertragliche Arbeitszeitverkürzung um 1,5 Stunden nicht mindernd auf ihre Vergütungsansprüche auswirke.

Schließlich habe die Beklagte auch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Anrechnung der Lohnerhöhungen auf die übertariflichen Zulagen nicht beachtet.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

an den Kläger zu 1) 1.613,56 DM brutto,

an den Kläger zu 2) 1.927,27 DM brutto,

an den Kläger zu 3) 2.524,72 DM brutto,

an den Kläger zu 4) 1.093,59 DM brutto,

an den Kläger zu 5) 1.925,04 DM brutto,

jeweils nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus

ergebenden Nettobetrag seit dem 3. Juli 1986

zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klagen abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, auch bei dem Lohnausgleich in Höhe von 3,9 % handele es sich um eine Tariflohnerhöhung, die wie jede Tariflohnerhöhung auf die übertariflichen Zulagen angerechnet werden könne. Mitbestimmungsrechte seien nicht verletzt.

Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen der Kläger zurückgewiesen. Dagegen richten sich die zugelassenen Revisionen, mit denen die Kläger ihre Klageanträge weiterverfolgen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind begründet. Es kann gegenwärtig noch nicht beurteilt werden, ob die Beklagte zur Anrechnung von bestimmten Lohnbestandteilen der Kläger berechtigt war. Die Sache bedarf vielmehr weiterer tatsächlicher Aufklärung. Dazu war die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz erforderlich.

1. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können übertarifliche Lohnzulagen im Fall einer Tariflohnerhöhung insoweit gekürzt werden, als die Tariflohnerhöhung den bisherigen Gesamtlohn nicht erreicht, der erhöhte Tariflohn vielmehr auch weiterhin unter dem vereinbarten Gesamtlohn bleibt. Eine Anrechnung kommt dagegen nicht in Betracht, wenn die übertarifliche Lohnzulage dem Arbeitnehmer als selbständiger Lohnbestandteil neben dem jeweiligen Tariflohn zustehen soll. Selbständige Lohnbestandteile in diesem Sinne sind etwa die als solche genau bezeichneten freiwilligen Leistungszulagen und Zulagen, die besondere Erschwernisse oder besondere Umstände abgelten sollen (BAGE 3, 132, 133 = AP Nr. 5 zu § 4 TVG Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung, zu 1 der Gründe; Senatsurteil vom 19. Juli 1978 - 5 AZR 180/77 - AP Nr. 10 wie zuvor, zu 1 der Gründe; Senatsurteil vom 22. August 1979 - 5 AZR 769/77 - AP Nr. 11 wie zuvor, zu 1 der Gründe; sowie aus neuerer Zeit BAG Urteil vom 3. Juni 1987 - 4 AZR 44/87 -, zur Veröffentlichung vorgesehen; alle jeweils mit weiteren Nachweisen).

Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, über den Einfluß einer Arbeitszeitverkürzung auf die übertariflichen Lohnbestandteile entscheide der Einzelarbeitsvertrag. Es hat jedoch keinerlei Feststellungen darüber getroffen, welche Vereinbarungen zwischen den Prozeßparteien in dieser Richtung im Arbeitsvertrag zustande gekommen sind. Es hat weiter auch keine Feststellungen über Art und Umfang der den Klägern gewährten übertariflichen Zulagen getroffen. Daher ist es für den Senat nicht möglich, ein sicheres Bild von dem Wesen dieser Zulagen und damit vom Inhalt der Arbeitsverträge der Kläger zu gewinnen.

Die Kläger haben vorgetragen, außer dem tariflichen Grundlohn, einer tariflichen Leistungszulage und einer Gießereizulage erhielten sie freiwillige betriebliche Zulagen unterschiedlicher Höhe, die an bestimmte Leistungen bzw. an bestimmte Erschwernisse anknüpften. Diese Umstände bedürfen vorweg der Aufklärung, um die Frage beantworten zu können, ob die den Klägern gewährten Zulagen von ihrer Zweckbestimmung her überhaupt einer Anrechnung zugänglich oder ob sie anrechnungsfest sind. Erst wenn diese Umstände aufgeklärt sind, läßt sich prüfen, welche Auswirkungen die im Zusammenhang mit der tariflichen Verlängerung der Wochenarbeitszeit vorgenommenen Lohnerhöhungen auf die den Klägern gewährten übertariflichen Zulagen haben.

2. Die Sache muß daher an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann. Der Senat hat dabei von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Dr. Hirt Heinz

 

Fundstellen

AiB 1989, 86-86 (ST1)

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