Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückzahlung von beigetriebenem Zwangsgeld

 

Leitsatz (amtlich)

Das nach § 62 Abs. 2 ArbGG, § 888 Abs. 1 ZPO auf Antrag des Gläubigers verhängte Zwangsgeld kann auch dann in entsprechender Anwendung von § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB vom Land zurückgefordert werden, wenn der Gläubiger im Beschwerdeverfahren auf die Rechte aus dem Zwangsgeldbeschluß verzichtet.

 

Normenkette

ArbGG § 62 Abs. 2; BGB §§ 779, 133, 157, 812 Abs. 1 S. 2; ZPO § 888 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 07.12.1988; Aktenzeichen 3 Sa 52/88)

ArbG Stuttgart (Urteil vom 05.05.1988; Aktenzeichen 7 Ca 477/87)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vorn 7. Dezember 1988 – 3 Sa 52/88 – aufgehoben.

2. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 5. Mai 1988 – 7 Ca 477/87 – wird zurückgewiesen.

3. Das beklagte Land hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von dem beklagten Land die Rückzahlung von beigetriebenem Zwangsgeld.

Bei der Klägerin war der Arbeitnehmer J… L… beschäftigt. Die Klägerin kündigte ihm am 3. Februar 1983. Im folgenden Kündigungsschutzprozeß blieb L… vor dem Arbeitsgericht erfolgreich. Die Klägerin wurde verurteilt, den Arbeitnehmer als „Sanitär-Installateur” weiterzubeschäftigen. Mit Schriftsatz vom 16. Januar 1984 legte die Klägerin Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts ein. Da sie der Pflicht, ihren Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen, nicht nachkam, setzte das Arbeitsgericht durch Beschluß vom 17. Januar 1984 ein Zwangsgeld gegen sie in Höhe von 5.000,– DM fest. Auf Antrag des Arbeitnehmers wurde dieses Zwangsgeld am 14. Februar 1984 durch den Gerichtsvollzieher beigetrieben und am 20. Februar bei der Landesoberkasse eingezahlt. Die Klägerin legte gegen den Zwangsgeldbeschluß am 8. Februar 1984 sofortige Beschwerde ein. Am 16. Februar hatte sie bereits Vollstreckungsabwehrklage erhoben und diese mit einer zweiten, am 25. November 1983 ausgesprochenen Kündigung begründet. Der Arbeitnehmer erhob erneut Kündigungsschutzklage. Am 23. Februar 1984 schlossen die damaligen Parteien vor dem Arbeitsgericht einen Prozeßvergleich. Darin heißt es u.a.:

„…

1.) Die Parteien sind sich darüber einig, daß das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen bereits durch die Kündigung vom 03.02.1983 – zugegangen am 05.02.1983 – mit Ablauf des 19.02.1983 endete.

2.) …

3.) …

4.) Die Beklagte verpflichtet sich, die im Verfahren 7 Ca 92/83 Arbeitsgericht Stuttgart bzw. 11 Sa 6/84 LAG Baden-Württemberg eingelegte Berufung sowie die Vollstreckungsabwehrklage vom 27.1.1984 Aktenzeichen 7 Ca 111/84 zurückzunehmen.

5.) Der Kläger verzichtet auf Rechte aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart 7 Ca 92/83 vom 24.11.1983 sowie aus dem Beschluß des Arbeitsgerichts Stuttgart in demselben Verfahren vom 17.1.1984. In laufenden Beschwerdeverfahren wird der Kläger dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg ebenfalls erklären, daß er auf Rechte aus dem zugrundeliegenden Urteil verzichtet.

6.) Damit sind sämtliche streitgegenständliche Ansprüche zwischen den Parteien erledigt.”

Die Klägerin nahm daraufhin am 29. Februar 1984 Berufung und Vollstreckungsabwehrklage zurück. Ferner erklärte sie das Beschwerdeverfahren für erledigt. Der damalige Antragsgegner teilte dem Beschwerdegericht durch Schriftsatz der ihn vertretenden Gewerkschaft vom 1. März 1964 mit, daß

„… zwischen den Parteien unter Datum vom 23.02.1984 vor dem Arbeitsgericht Stuttgart ein Vergleich abgeschlossen wurde, der sämtliche anhängigen Rechtsstreitigkeiten, somit auch die Berufung und damit das Beschwerdeverfahren beendet.”

Weiter heißt es in diesem Schriftsatz:

„Ausdrücklich erklären wir hiermit, daß wir auf alle Rechte aus dem dem Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Urteil und dem Beschluß des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 17.01.1984 – 7 Ca 92/83 – verzichten.”

Das Landesarbeitsgericht sah nunmehr das Beschwerdeverfahren durch Vergleich für erledigt an. Es teilte den Parteien mit, es sei von Amts wegen nichts mehr zu veranlassen.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von dem beklagten Land die Rückzahlung des beigetriebenen Zwangsgeldes. Die vor dem Landgericht erhobene Klage wurde durch Urteil vorn 13. November 1984 an das Verwaltungsgericht verwiesen. Dieses gab der Klage statt. Im Berufungsverfahren verwies der Verwaltungsgerichtshof den Rechtsstreit durch Urteil vom 14. September 1987 an das Arbeitsgericht.

Die Klägerin hat geltend gemacht, durch den am 23. Februar 1984 geschlossenen Vergleich sei der Rechtsgrund für das am 14. Februar 1984 beigetriebene Zwangsgeld entfallen. Mit dem Verzicht ihres ehemaligen Arbeitnehmers auf alle Rechte aus dem Beschluß vom 17. Januar 1984 seien alle Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegenstandslos geworden. Daher müsse das Zwangsgeld an sie zurückgezahlt werden.

Die Klägerin hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an sie 5.000,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15. Juli 1984 zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat vorgetragen, der Kläger des damaligen Verfahrens hätte auf die Einziehung des Zwangsgeldes allenfalls bis zum Vollzug des Zwangsgeldbeschlusses verzichten können. Danach sei dies jedoch nicht mehr möglich. Der Vergleich wirke nur für die Zukunft. Den Prozeßparteien stehe keine Verfügungsbefugnis über das dem Land angefallene Zwangsgeld zu. Wegen der Rücknahme der Berufung sei das der Zwangsgeldfestsetzung zugrundeliegende Urteil rechtskräftig geworden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin die Wiederherstellung. des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Rechtsgrundlage für das beigetriebene Zwangsgeld sei nicht entfallen. Der Beschluß, durch den es verhängt wurde, sei im Beschwerdeverfahren nicht aufgehoben worden. Er sei auch nicht – schon gar nicht rückwirkend – wirkungslos geworden. Der Vollstreckungsgläubiger habe den Antrag nach § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zurückgenommen. Das Zwangsgeldverfahren sei nicht übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt worden. Im Schriftsatz vom 1. März 1984 erkläre der Vollstreckungsgläubiger gegenüber dem Beschwerdegericht, daß er auf alle Rechte aus dem dem Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Urteil und dem Beschluß des Arbeitsgerichts vom 17. Januar 1984 verzichte. Er habe folglich auf die Rechte verzichtet, die sich für ihn aus den beiden angeführten Titeln ergeben. Damit bringe er zum Ausdruck, er leite von nun an, für die Zukunft, keine Rechte mehr aus ihnen her. Mit dieser Erklärung habe der Vollstreckungsgläubiger seine Verpflichtung aus Nr. 5 des gerichtlichen Vergleichs vom 23. Februar 1984 erfüllt. Die vergleichsweise Einigung habe gerade nicht die rückwirkende Beseitigung des Beschäftigungstitels und/oder des Zwangsgeldbeschlusses zum Inhalt. Bei der Würdigung der angegebenen Erklärungen sei ihre Urheberschaft zu berücksichtigen: auf seiten der Klägerin sei ein Rechtsanwalt, auf seiten des Vollstreckungsgläubigers sei ein Gewerkschaftsvertreter tätig geworden. Würden unter diesen Umständen Begriffe der Rechtssprache verwendet, sei davon auszugehen, daß mit ihnen der entsprechende Sinngehalt verbunden werde, sofern sich nicht aus den Begleitumständen etwas anderes ergebe. Das sei hier nicht der Fall.

Diese Auslegung wird von der Revision zu Recht angegriffen. Das Landesarbeitsgericht hat sich bei der Auslegung des von den Parteien geschlossenen Vergleichs zu sehr auf den Wortlaut gestützt und den im Vergleich zum Ausdruck gekommenen Willen der Parteien nicht ausreichend berücksichtigt. Dadurch ist es entgegen den §§ 133, 157 BGB zu einem unrichtigen Ergebnis gelangt.

II. Mit dem Vergleich vom 23. Februar 1984 haben die Parteien zunächst eine Einigung dahin erzielt, daß das Arbeitsverhältnis des damaligen Klägers aufgrund ordentlicher Kündigung seitens der Beklagten am 19. Februar 1985 enden sollte. Mit den weiteren Vergleichsregelungen verfolgten die Parteien erkennbar das Ziel, alle seit dem 20. Februar 1983 vorgenommenen und erwirkten rechtlichen Maßnahmen rückwirkend aus der Welt zu schaffen. Es sollte – für ihre Rechtsbeziehungen – der Zustand wiederhergestellt werden, der bis zum 20. Februar 1983 bestanden hatte. Wenn der frühere Vollstreckungsgläubiger in Verfolgung der im Vergleich erzielten Einigung auf seine Rechte aus dem Zwangsgeldbeschluß verzichtete, sollte sich das nicht nur auf die Zukunft erstrecken, sondern rückwirkende Kraft haben. Das folgt besonders aus der Erledigungsklausel in Nr. 6 des Vergleichs, wonach sämtliche gegenseitigen Ansprüche der Parteien erledigt sein sollten.

Durch den Vergleich und die zu seinem Vollzug abgegebenen Erklärungen der damaligen Prozeßparteien ist die Rechtsgrundlage für den Zwangsgeldbeschluß vom 17. Januar 1984 entfallen. Hätte die damalige Beklagte im Berufungsverfahren gegen ihren früheren Arbeitnehmer obsiegt, so könnte kein Zweifel daran bestehen, daß die Rechtsgrundlage für den Zwangsgeldbeschluß nachträglich entfallen wäre. Die gleiche Wirkung muß aber auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren ein Vergleich der Parteien haben, der dieses Ziel des rückwirkenden Wegfalls der Rechtsgrundlage erreichen will und zu dessen Ausführung die Parteien alles unternehmen, was nach ihrer Auffassung zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.

Der rückwirkende Wegfall der Rechtsgrundlage für den Zwangsgeldbeschluß war für die Parteien auch erreichbar. Jedenfalls steht der Rechtscharakter des Zwangsgeldes dem nicht entgegen. Das Zwangsgeld hat keinen Strafcharakter. Es soll vielmehr den Schuldner zur Vornahme einer nicht vertretbaren Handlung anhalten. Es wird auch nicht endgültig verhängt, seine Anordnung ergeht vielmehr stets unter dem Vorbehalt des Ausgangs eines Beschwerdeverfahrens. Daher muß auch der Gläubiger in der Lage sein, auf seine Rechte aus dem noch nicht rechtskräftig gewordenen Beschluß zu verzichten und den Titel nicht mehr durchzusetzen (vgl. OLG Köln Beschluß vom 24. August 1967 – 4 W 63/66 – JZ 1967, 762, 763).

III. Die Rechtsgrundlage für den Rückforderungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus der analogen Anwendung von § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB. Das beklagte Land hat das Zwangsgeld auf Kosten der Klägerin erlangt und muß ihr den auf Antrag des Vollstreckungsgläubigers beigetriebenen Betrag zurückgewähren, weil der rechtliche Grund für die Beitreibung und die Abführung des Zwangsgeldes später weggefallen ist.

Die Auffassung, daß bei Aufhebung des Vollstreckungstitels oder bei Verzicht des Gläubigers auf seine titulierten Rechte ein bereicherungsrechtlicher Anspruch des Vollstreckungsschuldners gegen das Land besteht, ist heute im Schrifttum und, soweit ersichtlich, auch in der Rechtsprechung weithin anerkannt (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 48. Aufl., § 888 Anm. 3 C; Zöller/Scherübl, ZPO, 13. Aufl., § 888 Anm. 3 c; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 20. Aufl., § 888 Rz. 33; OLG Köln, a.a.O., S. 763, mit zustimmender Anmerkung von Baur, besonders in Fn. 5; vgl. ferner OLG Karlsruhe Beschluß vom 1. August 1978 – 11 W 127/77 – MDR 1979, 150, 151). Dieser Auffassung schließt sich der Senat im Ergebnis an, wobei nicht übersehen wird, daß der Anspruch auf Rückgewähr im vorliegenden Fall kein reiner Bereicherungsanspruch ist, weil ihm öffentlich-rechtliche Elemente eigen sind. Denn es geht um die Rückabwicklung des – von dem Gläubiger eines privatrechtlichen Anspruchs betriebenen – Tätigwerdens staatlicher Zwangsgewalt. Das rechtfertigt aber die entsprechende Anwendung des § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB, weil rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen auch über die vom Gesetz ausdrücklich geregelten Fallgestaltungen hinaus rückgängig gemacht werden müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 602575

NJW 1990, 2579

RdA 1990, 128

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