Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung bei Mehrarbeit

 

Orientierungssatz

1. Die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren erfordert einen Antrag, der auf einzelne, tatbestandlich umschriebene konkrete Handlungen als Verfahrensgegenstand bezogen ist.

2. Soll dem Arbeitgeber die Anordnung von Überstunden ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats untersagt werden, so bedarf es der genauen Bezeichnung derjenigen betrieblichen Fallgestaltungen, für die das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Anspruch genommen wird. Ein allgemeiner Unterlassungsanspruch, der sich auf alle nur denkbaren Überstundenanordnungen bezieht, ist unzulässig.

3. Der Arbeitgeber muß eine Betriebsvereinbarung so durchführen, wie sie abgeschlossen wurde. Betriebsvereinbarungswidrige Maßnahmen können dem Arbeitgeber vom Gericht auf Antrag des Betriebsrats (Unterlassungsantrag) untersagt werden.

 

Normenkette

TVG § 1; BetrVG § 23 Abs. 3, § 87 Abs. 1 Nr. 3

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Entscheidung vom 23.09.1986; Aktenzeichen 6 TaBV 5/86)

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 27.01.1983; Aktenzeichen H 2 BV 10/82)

 

Gründe

A. Der dem Arbeitgeberverband für die chemische Industrie in Hamburg angehörende Arbeitgeber betreibt ein Aluminiumwerk. Dort wird per Schiff angelieferter Petrol-Koks in einem vollkontinuierlichen Betrieb durch Elektrolyse verarbeitet. Es werden gewöhnlich 750 bis 800 Arbeitnehmer - überwiegend gewerbliche Arbeitnehmer - beschäftigt. Die überwiegende Mehrzahl wird im Rahmen eines sogenannten "Vollkontischichtbetriebs" nach einem von den Betriebspartnern vereinbarten Schichtplan für jeweils sieben Tage zu einer Wechselschicht eingeteilt. Der Schichtplan ist darauf abgestimmt, daß die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit innerhalb eines Bezugszeitraumes von vier Wochen nicht überschritten wird. Dabei erhält jeder Wechselschichtarbeitnehmer nach einer besonderen Betriebsvereinbarung zusätzlich innerhalb dieses Bezugszeitraumes einen sogenannten "Aussetztag", an dem er individuell von seiner regelmäßigen Schicht freigestellt wird.

Typischerweise treten in den verschiedenen Betriebsabteilungen immer wieder Situationen auf, die aus betrieblichen Gründen eine Verlängerung der Schichtzeit oder die Festlegung von Sonderschichten als erforderlich erscheinen lassen. Dazu zählen folgende Fallgruppen:

- Entladung von kurzfristig einlaufenden Petrol-Koks-

Schiffen,

- Sonderschichten an Wochenenden und Feiertagen in

der Anodenschlägerei und Anodenrestreinigung, wenn

der Bestand angeschlagener Anoden eine gewisse Min-

destmenge unterschreitet,

- Mehrarbeit in der Instandhaltung wegen regelmäßig

wiederkehrender Reparaturen an ausfallenden Anlagen

und Maschinen,

- Mehrarbeit wegen krankheitsbedingter Unterbesetzung

der Schichten.

Im Betrieb bestand eine zeitlang aufgrund formloser Absprache die Praxis, daß der jeweilige Betriebs- oder Abteilungsleiter dem Betriebsrat auf einem Formular für die betreffende Kostenstelle die vorgesehenen Überstunden des betreffenden Mitarbeiters mit einer stichwortartigen Begründung anmeldete und falls der Betriebsrat nicht ausdrücklich widersprach, von dessen Zustimmung ausgehen konnte. Anfang März 1982, nachdem die Geschäftsführung kurzfristig die betriebsbedingte Kündigung von 16 Arbeitnehmern angekündigt hatte, kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Betriebsrat und Personalleitung, in deren Verlauf diese Handhabung beendet wurde. Der Betriebsrat stellte schriftlich klar, daß künftig seine ausdrückliche Zustimmung für Überarbeit erforderlich sei. Mit Schreiben vom 4. März 1982 erklärte die Personalleitung, daß

"wir uns - soweit dies aus betrieblichen Gründen

irgendwie vertretbar ist - an die gesetzlichen

Bestimmungen halten und Mehrarbeit ohne Ihre Zu-

stimmung dann nicht anordnen, wenn es sich um

mitbestimmungspflichtige Fälle handelt."

Sie wies weiterhin alle Betriebs- und Abteilungsleiter "aus gegebener Veranlassung" an, jegliche Mehrarbeit der Personalabteilung zu melden und in den Fällen, in denen kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestünde, auf dem Anmeldungsformular in dem Feld "Betriebsrat" ein "nein" einzutragen. Nach weiteren Beschwerden des Betriebsrats bestätigte die Personalleitung am 1. Juni 1982:

"...daß wir Mehrarbeit, die wir für mitbestimmungs-

pflichtig halten, nicht ohne Zustimmung des Be-

triebsrats anordnen werden. Etwas anderes gilt in

Notfällen und besonders gelagerten Ausnahmefällen,

wenn eine rechtzeitige Zustimmung des Betriebsrats

nicht mehr eingeholt werden kann."

Im Juni und Juli 1982 kam es in einer Reihe von Fällen wiederum dazu, daß der Arbeitgeber für einzelne oder mehrere Arbeitnehmer Mehrarbeit anordnete, vielfach auch dadurch, daß für die betroffenen Arbeitnehmer an deren "Aussetztag" eine Arbeitsschicht angeordnet wurde, ohne daß der Betriebsrat dem zuvor zugestimmt hatte.

Der Betriebsrat hat in diesem Verhalten des Arbeitgebers einen groben Verstoß gegen sein Mitbestimmungsrecht gesehen und schließlich am 30. Juli 1982 im vorliegenden Verfahren beantragt,

1. dem Arbeitgeber aufzugeben, es bei Meidung ei-

nes Ordnungsgeldes bis zu 20.000,-- DM im Ein-

zelfall zu unterlassen, Überstunden, Samstags-

oder Sonntagsarbeit ohne vorliegende Zustimmung

des Betriebsrats anzuordnen,

2. dem Arbeitgeber aufzugeben, ihm bei Meidung ei-

nes Ordnungsgeldes bis zu 20.000,-- DM im Ein-

zelfall Überstundenanträge spätestens 24 Stunden

vor beabsichtigter Durchführung mitzuteilen.

Der Arbeitgeber hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, in den vom Betriebsrat genannten Einzelfällen nicht gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten verstoßen zu haben. Die Anordnung von Mehrarbeit sei in vielen Fällen aus technischen Gründen kurzfristig notwendig geworden und habe vielfach nur einen Arbeitnehmer betroffen, so daß die Anordnung nicht mitbestimmungspflichtig gewesen sei. Zumindest liege kein grober Verstoß vor, da die Frage, wann eine Überstundenanordnung kollektiven Bezug habe, umstritten sei. Er habe alsbald nach Einleitung des Beschlußverfahrens mit dem Betriebsrat Verhandlungen über eine generelle Regelung der typischen Mehrarbeitsfälle aufgenommen, die jedoch an sachfremden Forderungen des Betriebsrats gescheitert seien.

Das Arbeitsgericht hat dem ersten Antrag des Betriebsrats stattgegeben mit der Begründung, daß der Arbeitgeber im Juni und Juli 1982 in einer Vielzahl von Fällen Mehrarbeit angeordnet habe, ohne das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu achten, dabei auch in solchen Fällen, in denen er selbst von einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausgegangen sei. Darin liege ein grober Verstoß gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten.

Gegen diese Entscheidung hat nur der Arbeitgeber Beschwerde eingelegt.

Während des Beschwerdeverfahrens hat der Arbeitgeber erneut mit dem Betriebsrat Verhandlungen über eine generelle Regelung der typischen Mehrarbeitsfälle aufgenommen und nach deren Scheitern die Einigungsstelle angerufen. Am 23. Mai 1984 haben die Beteiligten schließlich eine Betriebsvereinbarung geschlossen. In dieser Betriebsvereinbarung heißt es u.a. wie folgt:

1. Begriff der Mehrarbeit

Für die Begriffsbestimmung der Mehrarbeit gilt

der Manteltarifvertrag ... in seiner jeweils

gültigen Fassung.

2. Unterrichtung des Betriebsrats

Der Betriebsrat ist über beabsichtigte Mehrar-

beit vor deren Anordnung zu unterrichten ...

Die Unterrichtung hat zu erfolgen, sobald dem

zuständigen Betriebs-/Abteilungsleiter bekannt

ist, daß Mehrarbeit erforderlich sein wird. Bei

betrieblich oder technisch notwendigen Sofort-

maßnahmen ist der Betriebsrat nachträglich zu

unterrichten.

3. Zustimmungserfordernis

Die Anordnung von Mehrarbeit mit kollektivem Be-

zug bedarf der vorherigen Zustimmung des Betriebs-

rats. Die Zustimmung kann für bestimmte Fälle ge-

nerell erteilt werden. ...

4. Stellungnahme des Betriebsrats

..., hat der Betriebsrat zu beabsichtigter Mehr-

arbeit schriftlich Stellung zu nehmen. Die Stellung-

nahme hat vor der beabsichtigten Anordnung der Mehr-

arbeit zu erfolgen, spätestens jedoch innerhalb von

sieben Tagen nach Unterrichtung. ... Verweigert der

Betriebsrat die Zustimmung zu beabsichtigter Mehr-

arbeit, so hat er dies schriftlich zu begründen und

die Personalabteilung unverzüglich zu unterrichten.

Die Zustimmung des Betriebsrats gilt als erteilt,

wenn der Betriebsrat nicht innerhalb von sieben Ta-

gen nach Unterrichtung ordnungsgemäß Stellung nimmt.

Der Betriebsrat hat geltend gemacht, auch in der Zeit von April bis September 1983 sei in einer Reihe von Fällen sein Mitbestimmungsrecht bei der Anordnung von Überstunden verletzt worden.

Anläßlich von Verhandlungen zwischen den Beteiligten über eine neue Zulagenstruktur schrieb der Betriebsrat am 15. Oktober 1985 an den Arbeitgeber:

"Der Betriebsrat hat auf seiner Sitzung vom 15.10.

folgendes beschlossen:

...

Wir schlagen deshalb vor, am vereinbarten nächsten

Termin, den 26.11. inhaltlich in die Verhandlungen

einzusteigen. Zur Vorbereitung des Termins werden

sicherlich Vorgespräche nötig, die vereinbart wer-

den müßten.

Bitte lassen Sie uns bis zur Betriebsversammlung

wissen, ob Sie mit diesem Verfahren einverstanden

sind.

Was das Beschlußverfahren/Überstunden angeht, wird

der Betriebsrat folgendermaßen verfahren:

Das Beschlußverfahren kann eingestellt werden. Wir

werden allerdings dem Landesarbeitsgericht mittei-

len, daß unsere Anträge nicht unbegründet waren,

sondern daß wir versuchen werden, uns betrieblich zu

verständigen.

Wir teilen Ihnen allerdings auch gleich mit, daß wir

in Zukunft Verstöße gegen das Mitbestimmungsrecht

des Betriebsrats bezüglich Überstunden nicht hinneh-

men werden, sondern sie im einzelnen notieren und

wenn nötig ein neues Beschlußverfahren einleiten wer-

den."

Das Landesarbeitsgericht hat schließlich den Antrag des Betriebsrats als unzulässig abgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Unterlassungsantrag mit der Maßgabe weiter, daß der Arbeitgeber die Anordnung von Überstunden, Samstags- oder Sonntagsarbeit in den Bereichen Elektrolyse, Gaswäsche, Gießerei, Instandhaltung und bei der Entladung von Petrol-Koks-Schiffen ohne Zustimmung des Betriebsrats unterlassen soll.

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dessen Unterlassungsantrag im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

I. Soweit das Landesarbeitsgericht den Unterlassungsantrag des Betriebsrats als unzulässig angesehen hat, ist diese Begründung rechtsfehlerhaft. Der Antrag des Betriebsrats ist unbegründet.

1. Einem Antrag, mit dem dem Arbeitgeber aufgegeben werden soll, Überstunden, Samstags- und Sonntagsarbeit zu unterlassen, mangelt es nicht an der nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZP0 notwendigen Bestimmtheit. Er umfaßt seinem Wortlaut und Sinn nach alle Überstunden und jede Samstags- und Sonntagsarbeit. Soll dem Arbeitgeber untersagt werden, die Anordnung aller Überstunden und jeder Samstags- und Sonntagsarbeit ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats zu unterlassen, so geht das beantragte Unterlassungsgebot der Sache nach zwar sehr weit, es ist jedoch eindeutig bestimmt, weil gerade alle Überstunden und jede Samstags- und Sonntagsarbeit erfaßt werden. Damit ist ein solcher Antrag zulässig (vgl. Beschluß des Senats vom 10. Juni 1986, BAGE 52, 160 = AP Nr. 18 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; Beschluß vom 11. November 1986 - 1 ABR 17/85 - AP Nr. 21 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; Urteil vom 21. Juni 1988 - 1 AZR 651/86 -, zur Veröffentlichung vorgesehen). Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 8. November 1983 (BAGE 44, 226 = AP Nr. 11 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit), auf die sich das Landesarbeitsgericht noch bezogen hat, einen vergleichbaren "Globalantrag" als nicht hinreichend bestimmt und damit als unzulässig angesehen hat, hat der Senat diese Ansicht in der genannten Entscheidung vom 10. Juni 1986 aufgegeben.

2. Der Antrag des Betriebsrats ist auch nicht dadurch unzulässig geworden, daß es im Schreiben des Betriebsrats vom 15. Oktober 1985 heißt, das vorliegende Beschlußverfahren könne eingestellt werden. Diesem Schreiben kann eine Verpflichtung des Betriebsrats, den im vorliegenden Verfahren verfolgten Antrag zurückzunehmen, nicht entnommen werden. Das Schreiben enthält nur einen Hinweis auf die Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens im Zuge der in diesem Schreiben weiter angesprochenen Verhandlungen über eine neue Zulagenstruktur. Auch wenn es zutreffen sollte, daß der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende gegenüber dem Arbeitgeber erklärt hat, das Beschlußverfahren solle nicht als Druckmittel für die Verhandlungen über die Zulagenstruktur benutzt werden, ist nichts dafür ersichtlich und vom Arbeitgeber vorgetragen, daß der Betriebsrat als Gremium einen entsprechenden Beschluß gefaßt hat, der eine Zusage des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden, den Antrag zurückzunehmen, decken würde.

3. Der Antrag des Betriebsrats ist schließlich nicht deswegen unzulässig, weil er in seiner jetzigen Fassung vom Betriebsrat erstmals in der Rechtsbeschwerdeinstanz gestellt worden ist. Darin liegt keine in der Rechtsbeschwerdeinstanz unzulässige Antragsänderung (vgl. dazu BAGE 22, 295 = AP Nr. 3 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit). Dadurch, daß der Betriebsrat nunmehr nur noch die Unterlassung der Anordnung von Überstunden, Samstags- und Sonntagsarbeit in bestimmten Abteilungen und bei der Entladung von Petrol-Koks-Schiffen beantragt, hat er nur seine Rechtsbeschwerde auf einen abgrenzbaren Teil seines ursprünglich gestellten Antrages beschränkt. Eine solche Antragsbeschränkung ist zulässig. Sie macht nicht einen neuen Anspruch zum Streitgegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

II. Der Betriebsrat kann nicht verlangen, daß der Arbeitgeber alle Überstunden und jede Samstags- und Sonntagsarbeit in den genannten Abteilungen ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats unterläßt.

1. Inwieweit der Betriebsrat bei der Anordnung von Mehrarbeit - auch an Samstagen und Sonntagen - mitzubestimmen hat, regelt sich im Verhältnis der Beteiligten nach § 3 IV des Manteltarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in der chemischen Industrie vom 25. März 1983 (MTV) und nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat bei der vorübergehenden Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit ein Mitbestimmungsrecht nur, soweit eine tarifliche Regelung nicht besteht. Hinsichtlich der Anordnung von Mehrarbeit heißt es im MTV jedoch:

Mehrarbeit ist, soweit angängig, durch innerbe-

triebliche Umsetzung von Arbeitskräften oder Neu-

einstellungen nach Maßgabe der betrieblichen oder

technischen Möglichkeiten zu vermeiden. Andern-

falls ist notwendige Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn-

und Feiertagsarbeit im Rahmen der gesetzlichen und

tariflichen Bestimmungen zu leisten; hierbei ist,

abgesehen von betrieblich oder technisch notwendi-

gen Sofortmaßnahmen, das Einvernehmen mit dem Be-

triebsrat erforderlich.

Damit wiederholt § 3 IV MTV zwar im wesentlichen die Regelung des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG insoweit, als sie für notwendige Mehrarbeit ein Einvernehmen mit dem Betriebsrat vorschreibt, sie macht jedoch von diesem Grundsatz eine Ausnahme für diejenigen Fälle, in denen Mehrarbeit sich als "betrieblich oder technisch notwendige Sofortmaßnahme" darstellt. In diesen Fällen bedarf es keines Einvernehmens mit dem Betriebsrat, woraus folgt, daß der Arbeitgeber Mehrarbeit, die aus betrieblichen oder technischen Gründen sofort notwendig wird, ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats anordnen kann.

2. Von dieser tariflich vorgegebenen Rechtslage geht auch Ziff. 2 der Betriebsvereinbarung der Beteiligten vom 23. Mai 1984 aus, nach der bei betrieblich oder technisch notwendigen Sofortmaßnahmen der Betriebsrat nachträglich zu unterrichten ist. Genügt aber eine nachträgliche Unterrichtung des Betriebsrats, so schließt dies notwendig die Annahme aus, daß in diesen Fällen eine vorherige Zustimmung des Betriebsrats erforderlich sein soll.

3. Hat damit der Betriebsrat nicht bei allen möglichen Überstunden ein Mitbestimmungsrecht, auch nicht in den von ihm genannten einzelnen Abteilungen, so kann er vom Arbeitgeber nicht verlangen, daß dieser die Anordnung aller Überstunden - auch an Samstagen und Sonntagen - so lange unterläßt, bis seine Zustimmung vorliegt.

Bei den vom Betriebsrat zur Begründung seines Antrages vorgetragenen Einzelfällen ist nicht auszuschließen, daß es sich dabei auch um Fälle gehandelt hat, in denen die Anordnung von Überstunden aus betrieblichen oder technischen Gründen sofort notwendig war, so daß es einer vorherigen Zustimmung des Betriebsrats nicht bedurfte. In gleicher Weise ist es denkbar, daß sich darunter Fälle befinden, in denen es sich schon deswegen nicht um die Anordnung von Mehrarbeit sowohl im Sinne des § 3 IV MTV als auch der Ziff. 1 der Betriebsvereinbarung handelte, weil mit der angeordneten außerplanmäßigen Arbeit die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit nicht überschritten wurde, so daß es ebenfalls nicht der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats bedurfte.

Bei dieser Sachlage wäre es Aufgabe des Betriebsrats gewesen, in seinem Antrag diejenigen Überstundengruppen nach Anlaß, Vorhersehbarkeit und sonstigen beschreibenden Merkmalen näher zu bezeichnen, in denen nach seiner Ansicht der Arbeitgeber sein Mitbestimmungsrecht grob verletzt hat. Nur dann hätte geprüft werden können, ob hinsichtlich der Anordnung dieser Überstunden ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht, ob der Arbeitgeber dieses grob verletzt hat und ob daher dem Arbeitgeber aufgegeben werden kann, künftig die Anordnung solcher Überstunden ohne Zustimmung des Betriebsrats zu unterlassen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, solche Fallgestaltungen anhand des Vorbringens der Beteiligten selbst zu bilden und darüber zu entscheiden (vgl. Beschluß des Senats vom 8. November 1983, BAGE 44, 226 = AP Nr. 11 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit).

Der Senat verkennt nicht, daß eine solche Konkretisierung des Antrages im Einzelfall schwierig sein kann, zumal die Abgrenzung zu mitbestimmungsfreien Überstunden anhand des unbestimmten Rechtsbegriffes der "betrieblich oder technisch notwendigen Sofortmaßnahmen" eine Frage des Einzelfalles ist und daher durch tatsächliche Umstände nicht allgemeingültig beschrieben werden kann. Gleichwohl kann von den mit den betrieblichen Verhältnissen am besten vertrauten Beteiligten des Verfahrens erwartet werden, daß diese jedenfalls diejenigen Fallgestaltungen konkret bezeichnen, die sich ohne die aufgezeigten Schwierigkeiten abgrenzen lassen. Über deren Mitbestimmungspflichtigkeit und die daraus sich ergebenden Rechtsfolgen kann dann auch entschieden werden. Daß es auch danach noch Einzelfälle geben kann, in denen die Rechtsfrage, ob ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht oder nicht, unter den Beteiligten zu Recht streitig sein kann, ist damit nicht auszuschließen. Die Verletzung eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats in solchen zu Recht streitigen Einzelfällen wird aber regelmäßig nicht die Annahme rechtfertigen, der Arbeitgeber verstoße grob gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats, wenn er im übrigen diese Mitbestimmungsrechte beachtet und in allen Fällen bemüht bleibt, den Betriebsrat, soweit es die betrieblichen oder technischen Sofortmaßnahmen noch gestatten, zu beteiligen.

Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 12. Januar 1988 (- 1 ABR 54/86 - AP Nr. 8 zu § 81 ArbGG 1979) darauf verwiesen, daß das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anordnung von Mehrarbeit in erster Linie die gemeinsame Regelung der Frage zum Inhalt hat, wie bei aus bestimmten Anlässen erforderlich werdender Mehrarbeit zu verfahren ist, und daß eine solche Regelung auch zum Inhalt haben kann, daß der Arbeitgeber bestimmte Mehrarbeit unter im einzelnen geregelten Voraussetzungen auch ohne Zustimmung des Betriebsrats im Einzelfall anordnen darf. Gerade eine solche Regelung kann dem "Regelungsbedürfnis" bei der Anordnung von aus bestimmten Anlässen notwendig werdender Mehrarbeit Rechnung tragen, das nach der Rechtsprechung des Senats gerade das Merkmal dafür ist, daß die Anordnung von Mehrarbeit - gegebenenfalls auch gegenüber einem einzigen Arbeitnehmer - einen "kollektiven Bezug" hat.

Die Betriebspartner haben auf Initiative des Arbeitgebers eine solche Regelung mit der Betriebsvereinbarung vom 23. Mai 1984 versucht. Sie sind dabei über eine Verfahrensordnung nicht hinausgekommen. Damit bleibt nach wie vor für beide Betriebspartner die Möglichkeit, eine weitergehende, auch materielle Regelung der einzelnen Überstundenfälle - gegebenenfalls auch über einen Spruch der Einigungsstelle - anzustreben, da das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats mit der Betriebsvereinbarung vom 23. Mai 1984 noch nicht verbraucht ist. Haben die Betriebspartner eine solche Regelung vereinbart, kann der Betriebsrat auch verlangen, daß der Arbeitgeber diese Betriebsvereinbarung, so wie sie abgeschlossen wurde, durchführt. Darauf, ob ein grober Verstoß gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats vorliegt, kommt es dann nicht mehr an (Beschluß des Senats vom 10. November 1987 - 1 ABR 55/86 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

Daß der Arbeitgeber die Anordnung aller Überstunden so lange unterläßt, bis der Betriebsrat diesen zugestimmt hat, kann der Betriebsrat nach dem Gesagten nicht verlangen. Seine Rechtsbeschwerde mußte daher zurückgewiesen werden.

Dr. Kissel Matthes Dr. Weller

Dr. Schmidt Lappe

 

Fundstellen

Dokument-Index HI436748

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