Entscheidungsstichwort (Thema)

Einseitige Erledigungserklärung. Wahlanfechtung

 

Leitsatz (redaktionell)

Einseitige Erledigungserklärung im Beschlußverfahren, keine Zustimmungsfiktion bei Fristverlängerungsantrag;

Wegfall des Rechtsschutzinteresses für die Anfechtung einer Betriebsratswahl nach der Wahl eines neuen Betriebsrates

 

Normenkette

ArbGG § 83a Abs. 2-3, § 81 Abs. 2 S. 3; ZPO § 91a; BetrVG § 19; WahlO 1972 § 28 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 22.11.1991; Aktenzeichen 15 TaBV 10/91)

ArbG Stuttgart (Beschluss vom 26.08.1991; Aktenzeichen 18 BV 87/91)

 

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt, weil es sich in der Hauptsache erledigt hat. Der Beschluß des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 26. August 1991 – 18 BV 87/91 – und der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 22. November 1991 – 15 TaBV 10/91 – sind gegenstandslos.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Die drei antragstellenden Arbeitnehmer haben die am 14. Mai 1991 im Stuttgarter Betrieb ihres Arbeitgebers durchgeführte Betriebsratswahl angefochten.

Am 10. Mai 1991 hatte ein Mitglied des Wahlvorstandes unter Hinzuziehung einer nicht zum Wahlvorstand gehörenden Arbeitnehmerin die bis dahin eingegangenen etwa 70 Freiumschläge mit den Briefwahlstimmen geöffnet. Er verglich die von den Wählern abgegebenen Erklärungen über die persönliche Kennzeichnung der Stimmzettel mit den Eintragungen in der Wählerliste und nahm dann die Erklärungen zu den Wahlunterlagen. Die Wahlumschläge mit den Stimmzetteln warf er in die verschlossene, allerdings nicht versiegelte Wahlurne, die im Betriebsratsbüro aufbewahrt wurde.

Die antragstellenden Arbeitnehmer haben die Auffassung vertreten, daß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahr schon deshalb verstoßen worden sei, weil nach § 28 Abs. 1 der Wahlordnung 1972 dem Wahlvorstand und nicht einem einzelnen Mitglied die Öffnung der Freiumschläge obliege und dies in öffentlicher Sitzung unmittelbar vor Abschluß der Stimmabgabe zu geschehen habe. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß der Verstoß gegen § 28 Abs. 1 der Wahlordnung 1972 das Wahlergebnis beeinflußt habe.

Die Antragsteller haben die Wahl angefochten und beantragt

die Betriebsratswahl zu dem Betriebsrat der Geschäftsstelle Stuttgart des Beteiligten zu 5) vom 14. Mai 1991 für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat und der Arbeitgeber haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Sie haben die Auffassung vertreten, daß die Voraussetzungen für eine Wahlanfechtung nicht erfüllt seien. Selbst wenn ein Verstoß gegen § 28 Abs. 1 der Wahlordnung 1972 vorliege, habe er das Wahlergebnis nicht beeinflussen können.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben und die Betriebsratswahl vom 14. Mai 1991 für unwirksam erklärt. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerden des Betriebsrats und des Arbeitgebers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde haben der Betriebsrat und der Arbeitgeber ihren Abweisungsantrag weiterverfolgt.

Da im Laufe des Wahlanfechtungsverfahrens der am 14. Mai 1991 gewählte Betriebsrat zurücktrat und ein neuer Betriebsrat gewählt wurde, haben die antragstellenden Arbeitnehmer die Hauptsache für erledigt erklärt. Hilfsweise beantragen sie, die Rechtsbeschwerden des Betriebsrats und des Arbeitgebers zurückzuweisen. Mit Schreiben vom 1. Juni 1992 hat der Senatsvorsitzende die übrigen Beteiligten aufgefordert, innerhalb von zwei Wochen mitzuteilen, ob sie der Erledigung zustimmen. Während sich der Arbeitgeber nicht geäußert hat, haben die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats mit Schreiben vom 5. Juni 1992 gebeten, die Frist um zwei Wochen zu verlängern, „da der Betriebsrat am 16. Juni 1992 in seiner nächsten Sitzung diese Frage, ob der Erledigungserklärung zugestimmt wird, mit erörtern wird”. Mit Schreiben vom 24. Juni 1992 haben sie dann mitgeteilt, daß der Betriebsrat der Erledigungserklärung nicht zustimme. Der Betriebsrat sei der Ansicht, daß ein erhebliches Rechtsschutzinteresse hinsichtlich künftiger Betriebsratswahlen bestehe.

 

Entscheidungsgründe

B. Das Verfahren ist einzustellen, weil es durch die zwischenzeitliche Wahl eines neuen Betriebsrats erledigt ist.

1. Eine übereinstimmende Erledigungserklärung der Beteiligten liegt nicht vor.

Nach § 83 a Abs. 3 Satz 2 ArbGG gilt die Zustimmung zur Erledigung als erteilt, wenn sich die übrigen Beteiligten innerhalb der vom Vorsitzenden bestimmten Frist nicht äußern. Der Arbeitgeber hat keine Erklärung abgegeben. Dagegen hat der Betriebsrat nicht geschwiegen, sondern innerhalb der gesetzten Frist um Fristverlängerung gebeten und in der Begründung zum Ausdruck gebracht, daß er jedenfalls derzeit der Erledigung nicht zustimme, über sein prozessuales Verhalten noch beraten werde und seinen Beschluß dem Bundesarbeitsgericht mitteilen werde. Die Ausführungen im Schriftsatz vom 5. Juni 1992 können einer Nichtäußerung nicht gleichgestellt werden, so daß die Zustimmungsfiktion des § 83 a Abs. 3 Satz 2 ArbGG nicht eingreift. Daran ändert nichts, daß die beantragte Fristverlängerung nicht gewährt worden ist und der Betriebsrat die endgültige Ablehnung seiner Zustimmung erst nach Ablauf der gesetzten Frist von zwei Wochen dem Bundesarbeitsgericht mitgeteilt hat.

2. Erklärt der Antragsteller ein Beschlußverfahren für erledigt und widerspricht einer der übrigen Beteiligten der Erledigungserklärung, so hat das Gericht, im Gegensatz zum Urteilsverfahren, nicht zu prüfen, ob der Antrag ursprünglich zulässig und begründet war. Vielmehr genügt es, daß ein erledigendes Ereignis eingetreten ist. Ein erledigendes Ereignis liegt vor, wenn nach Rechtshängigkeit des Antrags tatsächliche Umstände eingetreten sind, aufgrund deren der Antrag jedenfalls jetzt als unzulässig oder unbegründet abzuweisen wäre (BAGE 65, 105 unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung).

Die Beteiligten haben sich mit diesem Beschluß nicht auseinandergesetzt. Es besteht kein Anlaß, diese Rechtsprechung erneut zu ändern. Sie trägt der unterschiedlichen Bedeutung der Erledigungserklärung im Urteils- und Beschlußverfahren Rechnung. Im Urteilsverfahren soll ein Beklagter, der mit einer unzulässigen oder unbegründeten Klage überzogen worden ist, nicht mit den Kosten des Rechtsstreits belastet werden. Der Beklagte kann durch Verweigerung seiner Zustimmung zur Erledigungserklärung verhindern, daß das Gericht über die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 a ZPO nach billigem Ermessen entscheidet und sich dadurch das Kostenrisiko des Klägers verringert. Für diese kostenrechtlichen Erwägungen ist im Beschlußverfahren kein Raum, weil es hier keine prozessuale Kostenerstattung gibt. Für eine Durchführung des Beschlußverfahrens besteht kein Anlaß mehr, wenn der Antrag durch ein nachträgliches Ereignis jedenfalls unzulässig oder unbegründet geworden ist. Dem Antragsteller kann dann nicht mehr zugemutet werden, an seinem Antrag festzuhalten (BAGE 65, 105, 113 f.).

3. Die zwischenzeitlich durchgeführte Wahl eines neuen Betriebsrates ist ein Ereignis, durch das sich die Anfechtung der Wahl des bisherigen Betriebsrats erledigt hat. Der Wahlanfechtungsantrag der Arbeitnehmer ist unzulässig geworden, weil das Rechtsschutzinteresse weggefallen ist.

a) Das Rechtsschutzinteresse ist eine Sachentscheidungsvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz, von Amts wegen zu prüfen ist. Dabei muß das Rechtsbeschwerdegericht auch solche Umstände berücksichtigen, die erst während des Rechtsbeschwerdeverfahrens eingetreten sind wenn sich aus ihnen ergibt, daß die begehrte gerichtliche Entscheidung für die Beteiligten keine Wirkung mehr entfalten kann (BAG Beschluß vom 13. März 1991 – 7 ABR 5/90 – BB 1991, 2452 = 1991, 2495 = NZA 1991, 946 f. = EzA § 19 BetrVG 1972 Nr. 29, zu der Gründe).

b) Im vorliegenden Fall ist der Betriebsrat, dessen Wahl angefochten worden ist, nicht mehr im Amt. Wenn die Betriebsratswahl vom 14. Mai 1991 nunmehr durch gerichtliche Entscheidung für unwirksam erklärt würde, hätte dies für die Beteiligten keine rechtlichen Auswirkungen mehr. Die Betriebsratswahl vom 14. Mai 1991 war nicht nichtig, sondern allenfalls anfechtbar. Die erfolgreiche Anfechtung einer Betriebsratswahl nach § 19 Abs. 1 BetrVG hat im Gegensatz zur Feststellung der Nichtigkeit einer Betriebsratswahl keine rückwirkende Kraft, sondern wirkt nur für die Zukunft. Der Betriebsrat bleibt mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt, bis die Wahl rechtskräftig für ungültig erklärt worden ist. Eine gerichtliche Entscheidung die lediglich zur Auflösung des Betriebsrats für die Zukunft führt, geht ins Leere, wenn der anfechtbar gewählte Betriebsrat bereits aufgelöst ist und keine betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse mehr ausüben kann. Für eine derartige Entscheidung ohne rechtliche Wirkungen besteht kein Rechtsschutzbedürfnis (Beschluß vom 13. März 1991 – 7 ABR 5/90 –, a.a.O.).

c) Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich auch nicht daraus, daß einem Verfahrensbeteiligten an der Klärung der Streitfrage gelegen ist, die zur Wahlanfechtung geführt hat.

Streitgegenstand des vorliegenden Beschlußverfahrens ist die Anfechtbarkeit einer konkreten Betriebsratswahl. Das Vorliegen oder Fehlen der Wahlanfechtungsvoraussetzungen gehört zu den Vortragen, die nicht an der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung teilnehmen. Die Erstattung eines für die Beteiligten unverbindlichen Rechtsgutachtens ist aber nicht Aufgabe des Gerichts und kann kein Rechtsschutzbedürfnis begründen (BAG Beschluß vom 13. März 1991 – 7 ABR 5/90 –, a.a.O.).

 

Unterschriften

Dr. Steckhan, Schliemann, Kremhelmer, Dr. Gerschermann, Lappe

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1081344

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