Entscheidungsstichwort (Thema)

Versäumung der Revisionsbegründungsfrist. Anwaltsverschulden

 

Leitsatz (amtlich)

Den Prozeßbevollmächtigten einer Partei trifft an der Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist ein Verschulden, wenn er den Ablauf der (Haupt-)Frist nicht im Fristenkalender eintragen, sondern nur Vor- oder Bearbeitungsfristen notieren läßt und deren Einhaltung überwacht.

 

Normenkette

ZPO § 85 Abs. 2, §§ 233, 554, 554a; ArbGG § 74

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 12.06.1992; Aktenzeichen 15 Sa 227/92)

ArbG Solingen (Urteil vom 12.12.1991; Aktenzeichen 2 Ca 1553/91)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Juni 1992 – 15 Sa 227/92 – wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

 

Tatbestand

I. Der 1927 geborene Kläger ist Tierarzt. Er war von 1965 bis 1977 als Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Der Kläger fordert von der beklagten Arbeitgeberin Schadenersatz, weil diese ihn weder bei seinem Ausscheiden noch bei Vollendung seines 60. Lebensjahres auf die Möglichkeit hingewiesen habe, auf Antrag betriebliches Altersruhegeld schon im Alter von 60 Jahren zu beziehen. Diese Möglichkeit sieht die Satzung der bei der Beklagten bestehenden Pensionskasse vor. Die Satzung hatte der Kläger bei Beginn des Arbeitsverhältnisses erhalten. Mit seiner Klage hat der Kläger Schadenersatz in Höhe eines Teilbetrages von 5.000,-- DM verlangt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen.

Gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger Revision eingelegt. Der Eingang der Revision beim Bundesarbeitsgericht am 14. August 1992 wurde den Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 20. August 1992 mitgeteilt. Mit dem am 28. September 1992 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz ist die Revision des Klägers begründet worden. Am 22. September 1992 hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Revisionsbegründung beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, er sei ohne sein Verschulden gehindert gewesen, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Die Fristversäumnis sei durch das Büropersonal seiner Prozeßbevollmächtigten verschuldet worden. Dazu hat der Kläger behauptet, der sachbearbeitende Rechtsanwalt habe zur Fertigung der Revisionsbegründung eine Eilfrist im Hauptkalender und auf der Akte für den 11. September 1992 notiert. Nach Vorlage der Akte an diesem Tage habe der Anwalt seine Sekretärin angewiesen, ihm die Akte noch am selben Tage vorzulegen. Die Angestellte habe die Akte jedoch nicht mehr vorgelegt und die Eilfristen vom 11. September 1992 auf der Akte und im Hauptkalender als erledigt gestrichen. Erst durch einen Anruf der Geschäftsstelle des Senats sei der Prozeßbevollmächtigte des Klägers am 16. September 1992 darauf aufmerksam gemacht worden, daß bislang keine Revisionsbegründung beim Bundesarbeitsgericht vorliege.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des Klägers ist unzulässig. Sie wurde nicht innerhalb der gesetzlichen Frist begründet (§§ 554, 554a ZPO, § 72 Abs. 5, § 74 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 und 3 ArbGG).

1. Der Revisionskläger muß die Revision begründen (§ 554 Abs. 1 ZPO). Die Frist für die Begründung der Revision beträgt einen Monat (§ 74 Abs. 1 ArbGG). Sie beginnt mit der Einlegung der Revision beim Bundesarbeitsgericht (§ 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Die Revision des Klägers ist am 14. August 1992 beim Bundesarbeitsgericht eingegangen. Die Frist zur Begründung der Revision endete am 14. September 1992 (Montag). Die Revisionsbegründungsschrift ist am 28. September 1992 und damit nach Ablauf der Frist beim Bundesarbeitsgericht eingegangen.

2. Dem Kläger konnte gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

a) Der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers ist zulässig. Der Antrag wurde form- und fristgerecht eingelegt, nachdem der Kläger auf Hinweis des Senats die Revisionsbegründung innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist nachgeholt hat (§ 234, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

b) Der Antrag ist jedoch unbegründet. Der Kläger war an der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist nicht ohne sein Verschulden verhindert (§ 233 ZPO). Das Verschulden seiner Prozeßbevollmächtigten ist ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

Geht man davon aus, daß ein Rechtsanwalt die Überprüfung und Berechnung der üblichen, in seiner Praxis häufig vorkommenden Fristen seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen darf (so BGHZ 43, 148 ff. = AP Nr. 43 zu § 233 ZPO; einschränkend aber BAGE 26, 384 = AP Nr. 68 zu § 233 ZPO), so muß der Rechtsanwalt jedenfalls durch geeignete allgemeine Anweisungen Vorkehrungen treffen, um eine Überprüfung der Fristen sicherzustellen und Fristversäumnisse zu vermeiden (vgl. BGH Beschluß vom 27. Februar 1985 – IVb ZB 153/84 – VersR 1985, 502). Der Rechtsanwalt muß sicherstellen, daß das Ende von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen in einen Fristenkalender eingetragen und überwacht wird (Eintragung von Hauptfristen). Die Anweisung, Vorfristen oder Wiedervorlagefristen zu notieren, genügt nicht. Diese Fristen sind zwar wichtig, um an die rechtzeitige Bearbeitung fristgebundener Sachen zu erinnern. Sie reichen aber nicht aus, um der Gefahr, gesetzliche Fristen zu versäumen, wirksam zu begegnen. Nur wenn zusätzlich die gesetzlichen Endfristen notiert und überwacht werden, kann sichergestellt werden, daß vorangegangene Fehler noch behoben werden können (im Ergebnis ebenso BGH Beschluß vom 9. Mai 1984 – VIII ZB 7/84 – VersR 1984, 666; BGH Beschluß vom 15. Februar 1978 – IV ZB 65/77 – VersR 1978, 537).

Diesen Anforderungen entspricht die Organisation der Fristenkontrolle im Büro der Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht. Nach dem Vortrag in der Antragsbegründung bestand im Büro der Prozeßbevollmächtigten des Klägers keine Anweisung, das Ende von Rechtsmittelbegründungsfristen im Hauptkalender einzutragen. Auf diesem anwaltlichen Organisationsverschulden kann die Fristversäumung beruhen. Wäre nach der Mitteilung des Senats über den Eingang der Revision am 14. August 1992 das Ende der Revisionsbegründungsfrist auf den 14. September 1992 im Fristenkalender notiert worden, so wäre bei der Fristenkontrolle an diesem Tage der vorangegangene Fehler aufgefallen. Dann hätte noch am 14. September 1992 ein Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist gestellt werden können. Das Versehen der Büroangestellten am 11. September 1992 hätte nicht zur Versäumung der Revisionsbegründungsfrist geführt.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Griebeling, Dr. Wittek

 

Fundstellen

Haufe-Index 846734

NJW 1993, 1350

NZA 1993, 285

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