Leitsatz (amtlich)

Die Teilnahme des nicht endgültig nachgerückten Ersatzmitglieds einer einköpfigen Jugendvertretung an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen ist im Regelfall für die Arbeit der Jugendvertretung nicht erforderlich.

 

Normenkette

BetrVG 1972 § 65 Abs. 1, § 70 Abs. 2, § 80 Abs. 1 Nr. 5, § 37 Abs. 6, § 25

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Beschluss vom 13.04.1973; Aktenzeichen 4 Ta BV 4/73)

 

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerden des antragstellenden Betriebsrats und des Beteiligten C. gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 13. April 1973 – 4 Ta BV 4/73 – werden zurückgewiesen.

2. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin werden die Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 13. April 1973 – 4 Ta BV 4/73 – und der Beschluß des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 30. November 1972 – 2 BV 38/72 – aufgehoben.

Der Antrag wird abgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

I. Die Antragsgegnerin, die Schiffswerft D. W. Kr., beschäftigt in ihrem Betrieb 310 Arbeitnehmer, darunter 17 Jugendliche. Im Betriebe der Antragsgegnerin ist ein Betriebsrat, der Antragsteller, errichtet. Als Jugendvertreter wurde der Rohrschlosser Ko. gewählt. Ersatzmitglied für die einköpfige Jugendvertretung ist der Schiffsbaulehrling C.. In der Zeit vom 3. bis 9. Dezember 1972 führte die IG-Metall in Sprockhövel ein Seminar für Jugendvertreter durch.

An diesem Seminar sollte zunächst der Jugendvertreter Ko. teilnehmen. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin kamen jedoch überein, daß eine Entsendung des Jugendvertreters Ko. aus betrieblichen Notwendigkeiten nicht möglich war.

Daraufhin beschloß der Antragsteller, anstelle von Ko. das Ersatzmitglied der Jugendvertretung C. zu dem Seminar zu schicken und ihn insoweit von der Arbeit freizustellen. Hiermit war die Antragsgegnerin jedoch nicht einverstanden. In dem von dem Antragsteller und der Jugendvertretung eingeleiteten Beschlußverfahren vertreten sie die Auffassung, daß anstelle des Jugendvertreters Ko. der Ersatzmann C. zu der Schulungsveranstaltung habe entsandt werden müssen, weil Ko. aus betrieblichen Notwendigkeiten an dieser Schulung nicht habe teilnehmen können.

Sie haben beantragt, festzustellen, daß die Antragsgegnerin verpflichtet ist, den stellvertretenden Jugendvertreter U. C. in der Zeit vom 3. bis 9. Dezember 1972 für ein Jugendvertreterseminar in Sprockhövel freizustellen.

Die Antragsgegnerin, die um Abweisung des Antrags gebeten hat, ist der Ansicht, ein Ersatzmitglied habe nicht das Recht an einer solchen Schulungsveranstaltung, wie sie die IG-Metall durchgeführt habe, teilzunehmen.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Landesarbeitsgericht den Beschluß des Arbeitsgerichts abgeändert und unter Abweisung des Antrags im übrigen festgestellt, daß die Antragsgegnerin verpflichtet ist, den Jugendvertreter U. C. in der Woche vom 3. bis 9. Dezember 1972 für zwei Tage von der Arbeit freizustellen. Das Landesarbeitsgericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen. Gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts haben sowohl der Antragsteller und der Beteiligte C. als auch die Antragsgegnerin Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der sie die von ihnen in der ersten Instanz gestellten Anträge weiterverfolgen und jeweils um Zurückweisung der Rechtsbeschwerde der Gegenseite bitten.

 

Entscheidungsgründe

II. 1. Das Beschlußverfahren ist vorliegend die infrage kommende Verfahrensart. Die von dem Antragsteller begehrte Verpflichtung, den Jugendvertreter U. C. von seiner beruflichen Tätigkeit für die Teilnahme an dem Seminar für Jugendvertreter in Sprockhövel freizustellen, ist betriebsverfassungsrechtlicher Art (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 ArbGG).

2. Entgegen der von der Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin vertretenen Ansicht, hat das Landesarbeitsgericht zu Recht die Beteiligungsbefugnis der Jugendvertretung der Antragsgegnerin bejaht. Die Beteiligungsbefugnis und damit die Antragsberechtigung bestimmt sich – wie aus § 83 ArbGG hervorgeht – nach materiellem Betriebsverfassungsrecht. Dem Landesarbeitsgericht ist darin beizutreten, daß beteiligungsfähig und damit antragsberechtigt auch die Jugendvertretung ist. Zwar ist diese nicht eigenständiger Repräsentant der jugendlichen Arbeitnehmer und kein selbständiges Mitbestimmungsorgan der Betriebsverfassung. Ihre Rechte und Pflichten bestehen vornehmlich im Verhältnis zum Betriebsrat und nicht unmittelbar zum Arbeitgeber. Sie kann auch nur unter Mitwirkung des Betriebsrats die von ihr in Angelegenheiten der jugendlichen Arbeitnehmer erforderlichen Maßnahmen durchführen (vgl. Urteil vom 20. November 1973 – 1 AZR 331/73 – [demnächst] AP Nr. 1 zu § 65 BetrVG 1972, teilweise auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt; sowie Beschluß vom heutigen Tage – 1 ABR 57/73 –). Die Beteiligungsbefugnis des Jugendvertreters der Antragsgegnerin ergibt sich aber, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, aus seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition und aus dem ihm im Betriebsverfassungsgesetz im Rahmen der Vorschriften der §§ 60 ff. BetrVG 1972 und im Zusammenwirken mit dem Betriebsrat wahrzunehmenden Interessen der jugendlichen Arbeitnehmer.

Entgegen der von dem angefochtenen Beschluß vertretenen Auffassung ist auch das Ersatzmitglied C. Beteiligter dieses Verfahrens. Es ist von der von dem antragstellenden Betriebsrat begehrten Preisteilung von seiner beruflichen Tätigkeit für die Teilnahme an dem Seminar für Jugendvertreter unmittelbar betroffen. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin haben diesem dem Landesarbeitsgericht unterlaufenen Verfahrensfehler zu Recht gerügt. Er führt jedoch nicht zur Aufhebung und Zurückverweisung des angefochtenen Beschlusses, da das mit dem Antrag verfolgte Begehren auch bei Zuziehung dieses Beteiligten schon in den Vorinstanzen aus keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt hätte Erfolg haben können (vgl. Urteil vom 20. November 1973 – 1 AZR 331/73 – a.a.O.). 3. Auch das Rechtsschutzinteresse an der begehrten Feststellung ist zu bejahen, obwohl die strittige Veranstaltung inzwischen unter Teilnahme des Beteiligten C. stattgefunden hat. Es folgt allein aus der unterschiedlichen Auffassung der Beteiligten über die Anwendung des in § 65 Abs. 1 BetrVG 1972 in Bezug genommenen § 37 Abs. 6 BetrVG 1972 auf Ersatzmitglieder der Jugendvertretung; die zu erwartende Entscheidung ist jedenfalls dazu geeignet, zur Befriedigung im Betriebe beizutragen (vgl. Wichmann, ArbuR 74, S. 10 [12 ff.]). Die Entscheidung dieses Beschlußverfahrens macht darüber hinaus weitere gerichtliche Verfahren über Ansprüche auf Lohnfortzahlung für die Dauer der Teilnahme an der Schulungsveranstaltung und über die Erstattung der dem Ersatzmitglied C. entstandenen Kosten entbehrlich. III. 1. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers und des Beteiligten C. ist nicht begründet. Dagegen führt die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin zur völligen Abweisung des Antrags. Gegenstand des Beschlußverfahrens ist die Frage, ob anstelle des aus betrieblichen Notwendigkeiten verhinderten einzigen Jugendvertreters das Ersatzmitglied für die Teilnahme an dem für Jugendvertreter in Sprockhövel veranstalteten Seminar freizustellen war.

Nach dem in § 65 Abs. 1 BetrVG 1972 u.a. in Bezug genommenen § 37 Abs. 6 BetrVG 1972 sind Jugendvertreter von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen freizustellen, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit der Jugendvertretung erforderlich sind. Das Landesarbeitsgericht hat richtig gesehen, daß diese Vorschriften nur für die ordentlichen Betriebsratsmitglieder und Jugendvertreter, nicht aber für deren Ersatzmitglieder im Sinne des § 25 Abs. 1 BetrVG 1972 gelten. Es meint jedoch, von dieser gesetzlichen Regelung müsse eine Ausnahme dann gelten, wenn der Betriebsrat oder die Jugendvertretung nur aus einer Person, dem Betriebsobmann (§ 9 BetrVG 1972) oder dem Jugendvertreter (§ 62 BetrVG 1972) bestehe. In diesem Falle führe schon eine zeitweilige Verhinderung des Betriebsobmanns oder des Jugendvertreters zu einer Stellvertretung, ohne daß sich der Vertreter über die an ihn herangetragenen Fragen mit einem Mitglied des Betriebsrats oder der Jugendvertretung zu beraten vermöge. Das Landesarbeitsgericht ist aufgrund dieser Erwägungen zu dem Ergebnis gekommen, für die Fälle, in denen die Vertretung nur aus dem Betriebsobmann oder einem Jugendvertreter bestehe, müsse es den Ersatzmitgliedern ermöglicht werden, sich in einer Schulung die für die Dauer der Vertretung notwendigen Kenntnisse zu erwerben. Ersatzmitglieder brauchten jedoch nicht die gleichen Kenntnisse zu haben wie die ordentlichen Mitglieder.

2. Der Senat vermag dieser Auffassung des angefochtenen Beschlusses nicht zu folgen. Ersatzmitglieder stehen, solange sie nicht vorübergehend oder im Falle des vorzeitigen Ausscheidens eines Betriebsratsmitgliedes oder eines Jugendvertreters für den Rest der Amtszeit des Betriebsrats oder der Jugendvertretung endgültig in diese eingetreten sind, völlig außerhalb des Betriebsrats und der Jugendvertretung. Die den Betriebsräten und Jugendvertretern im Betriebsverfassungsgesetz eingeräumten besonderen Rechte und Pflichten gelten für Ersatzmitglieder nicht. Sie haben somit auch keinen Anspruch auf Freistellung von ihrer beruflichen Tätigkeit für die Teilnahme an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG 1972. Das gilt auch dann, wenn der Betriebsrat oder, wie im vorliegenden Fall, die Jugendvertretung aus einer Person besteht. Auch dann ist es Völlig offen, ob und wann ein Vertretungsfall eintreten oder gar ein endgültiges Nachrücken stattfinden wird.

3. Es trifft auch nicht zu, daß in den Fällen der Verhinderung oder des Wegfalls des einzigen Jugendvertreters das Ersatzmitglied nicht die Möglichkeit habe, sich über die an ihn herangetragenen Fragen mit einem Mitglied des Betriebsrates zu beraten. Das Ersatzmitglied des einzigen Jugendvertreters ist im Falle der Vertretung in den auf ihn zukommenden Fragen nicht auf sich alleine angewiesen. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 20. November 1973 – 1 AZR 331/73 – (a.a.O.) und in seinem Beschluß vom heutigen Tage – 1 ABR 60/73 – darauf hingewiesen, daß die Jugendvertretung kein selbständiges vom Betriebsrat unabhängiges Mitbestimmungsorgan der Betriebsverfassung ist. Die Vertretung der Interessen aller Arbeitnehmer einschließlich der Jugendlichen steht auch nach dem neuen Betriebsverfassungsgesetz nach wie vor auch dem Betriebsrat zu. Die Jugendvertretung ist bei der Durchsetzung der von ihr in Jugendangelegenheiten für erforderlich gehaltenen Maßnahmen auf die Mitwirkung des Betriebsrats angewiesen. Der Betriebsrat muß daher ebenfalls in den Angelegenheiten, die die jugendlichen Arbeitnehmer betreffen, die Kenntnisse besitzen, die erforderlich sind, um die Interessen der Jugendlichen gegenüber dem Arbeitgeber sachgerecht wahrnehmen zu können. Der Betriebsrat ist darüber hinaus wie aus § 80 Abs. 1 Nr. 5, aber auch aus § 68 und § 70 Abs. 2 BetrVG 1972 folgt, verpflichtet, mit der Jugendvertretung – im vorliegenden Fall mit dem Jugendvertreter – zur Förderung der Belange der jugendlichen Arbeitnehmer eng zusammenzuarbeiten. Unter „enger Zusammenarbeit” im Sinne dieser gesetzlichen Vorschrift gehört auch die Pflicht des Betriebsrats, die Jugendvertretung in allen Angelegenheiten der jugendlichen Arbeitnehmer zu beraten und ihr die zur sachgerechten Wahrnehmung ihrer Aufgaben notwendigen Hinweise zu geben. Einer Schulung des Ersatzmitgliedes für den Fall der Stellvertretung eines zeitweilig verhinderten Jugendvertreters bedarf es daher grundsätzlich nicht. Das gilt insbesondere, wenn sich die Stellvertretung gerade auf die Teilnahme an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung beziehen soll.

4. Die Freistellung eines Ersatzmitgliedes für die Teilnahme an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG 1972 könnte allenfalls dann in Betracht kommen, wenn dieser den Jugendvertreter häufig und für längere Zeit vertreten müßte. Insoweit läßt aber der Vortrag des Antragstellers jeden näheren Anhaltspunkt vermissen.

Auch die im Beschlußverfahren herrschende Offizialmaxime entbindet den Antragsteller nicht, die Tatsachen vorzutragen, aus denen er das mit dem Antrag verfolgte Begehren herleitet. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen, ohne ausreichenden Sachvortrag der Beteiligten von sich aus Überlegungen darüber anzustellen, aus welchem nicht vorgetragenen Sachverhalt der Anspruch begründet sein könnte (vgl. die Entscheidungen des Senats vom 6. November 1973 – 1 ABR 8/73 –, [demnächst] in AP Nr. 5 zu § 37 BetrVG 1972, vom 13. März 1973 – 1 ABR 15/72 –, [demnächst] AP Nr. 1 zu § 20 BetrVG 1972, diese beiden Entscheidungen sind auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, und vom 26. Juni 1973 – 1 AZR 170/73 –, [demnächst] AP Nr. 4 zu § 20 BetrVG 1972).

5. Demgemäß konnte der Antrag keinen Erfolg haben. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin waren somit die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und der Antrag in vollem Umfang abzuweisen und die Rechtsbeschwerde des Antragstellers sowie des Beteiligten C. zurückzuweisen.

 

Unterschriften

gez. Dr. Auffarth, Bichler, Wendel, ehrenamtlicher Richter Hirschmann ist wegen Urlaubs an der Unterschrift verhindert. Dr. Auffarth, Dr. Osswald

 

Fundstellen

Haufe-Index 1436674

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