Entscheidungsstichwort (Thema)

Tendenzbestimmung eines Berufsförderungswerks

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Privatrechtlich organisierte Berufsförderungswerke, die es sich zum Ziel machen, Behinderte durch berufliche Umschulung wieder in das Berufsleben einzugliedern, können auch dann karitativen Bestimmungen iSv § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BetrVG dienen, wenn sie vom Sozialversicherungsträger kostendeckende Einnahmen erhalten (im Anschluß an den Beschluß des BAG vom 29. Juni 1988 - 7 ABR 15/87 - zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

2. Beim Berufsförderungswerk angestellte Psychologen sind Tendenzträger.

 

Normenkette

ZPO §§ 256, 521; BPersVG § 95; ArbGG § 87 Abs. 2, § 64 Abs. 6; BetrVG § 99 Abs. 3, 2, § 118 Abs. 2, 1 S. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 28.02.1986; Aktenzeichen 3 TaBV 1/85)

ArbG Hameln (Entscheidung vom 27.02.1985; Aktenzeichen 2 BV 16/84)

 

Gründe

A. Arbeitgeber und Betriebsrat streiten darüber, ob die Einstellung von Psychologen der Zustimmung des Betriebsrats bedarf.

Der Arbeitgeber (Antragsgegner) ist eine durch das Land Niedersachsen errichtete selbständige Stiftung des bürgerlichen Rechts, die u.a. das Berufsförderungswerk B betreibt.

Der Antragsteller ist der für das Berufsförderungswerk B gewählte Betriebsrat. Das Berufsförderungswerk B ist aus der nach dem 2. Weltkrieg geschaffenen Landesversehrtenschule hervorgegangen und war bis zum 31. Dezember 1979 eine unmittelbare Einrichtung des Landes Niedersachsen. Zweck der Stiftung ist nach § 2 der Satzung die Eingliederung Behinderter im Sinne der Sozialgesetzgebung.

Nach § 6 sind Organe der Stiftung Geschäftsführer, Stiftungsrat, Kuratorium und Beirat. Nach § 7 werden die Geschäfte der Stiftung von einem oder zwei Geschäftsführern geführt. Die Geschäftsführung unterliegt der Weisung des Stiftungsrates. Das Nähere bestimmt eine vom Stiftungsrat zu erlassende Geschäftsordnung. Der Stiftungsrat besteht nach § 8 aus vier Mitgliedern. Zwei Mitglieder werden vom Niedersächsischen Sozialminister, je ein weiteres Mitglied vom Niedersächsischen Minister der Finanzen und vom Niedersächsischen Kultusminister bestellt. Das Kuratorium besteht nach § 9 aus fünf Mitgliedern. Je ein Mitglied wird von den im Beirat vertretenen Mitgliedern der Rentenversicherung und der Unfallversicherung gewählt. Je ein weiteres Mitglied benennen die Bundesanstalt für Arbeit und der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung sowie der Niedersächsische Sozialminister. Entscheidungen des Stiftungsrates u.a. über Grundsatzfragen der Planung und Durchführung von Maßnahmen der Rehabilitation und die Festsetzung des von den Kostenträgern der Rehabilitation zu erhebenden Kostensatzes bedürfen der vorherigen Zustimmung des Kuratoriums.

Das Berufsförderungswerk verfügt über ca. 500 Ausbildungs- und 350 Internatsplätze. Es schult behinderte Erwachsene um zu Angestellten für den kommunalen Verwaltungs- und Sparkassendienst, zu Bürokaufleuten, zu Druckern, Uhrmachern und Kürschnern.

Die Ausbildungen dauern zwischen 18 und 24 Monaten und sind in einen praktischen und einen theoretischen Teil untergliedert. Im theoretischen Bereich erfolgt die Ausbildung durch Lehrkräfte und im praktischen Bereich in Lehrwerkstätten, Übungsfirmen und Übungsverwaltungen durch Ausbilder. Die Ausbildung soll mit einem qualifizierten Abschluß enden.

Von den Mitte 1985 in B beschäftigten 24 Lehrkräften hatten 15 eine Lehrbefähigung. Im praktischen Bereich waren 22 Ausbilder tätig.

Den Umschulungslehrgängen ist ein Rehabilitationsvorbereitungslehrgang vorgeschaltet. Die Rehabilitanden werden durch den psychologischen, den medizinischen und den sozialen Dienst (die sog. begleitenden Dienste) betreut. Dort sind zwei Psychologen, ein Arzt und vier Sozialarbeiter beschäftigt.

Der überwiegende Teil der Rehabilitanden (50 bis 60 %) leidet an Schäden des Stütz- und Bewegungsapparates. Die übrigen Rehabilitanden sind Herz-/Kreislaufgeschädigte, leiden an Allergien und Anfallsleiden oder sind unfallgeschädigt (Rollstuhlfahrer). Etwa 30 % der Rehabilitanden leiden zusätzlich an psychische Behinderungen.

Mit Schreiben vom 14. September 1984 beantragte der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung einer zusätzlichen Psychologin für die Zeit vom 17. September bis 31. Dezember 1984. Mit Schreiben vom 18. September 1984 verweigerte der Betriebsrat die Zustimmung. Dennoch führte der Arbeitgeber die personelle Maßnahme durch. Er vertrat die Ansicht, das Berufsförderungswerk B sei ein Tendenzbetrieb und die Mitarbeiter des psychologischen Dienstes seien Tendenzträger; der Zustimmung des Betriebsrats bedürfe es daher nicht. Der Betriebsrat, der im vorliegenden Verfahren zunächst die Aufhebung der personellen Maßnahme verlangt hatte, begehrt, nachdem die ohne seine Zustimmung eingestellte Psychologin nach Fristablauf ausgeschieden ist, die Feststellung, daß Einstellungen von Psychologen seiner Zustimmung bedürfen. Er hat darauf verwiesen, daß der Arbeitgeber die Kündigung eines zur Probe eingestellten Psychologen betreibe und beabsichtige, demnächst eine Ersatzkraft einzustellen.

Der Betriebsrat hat vorgetragen, die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats nach § 99 BetrVG seien bei der Einstellung von Psychologen im Berufsförderungswerk nicht gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG eingeschränkt. Das Unternehmen sei kein Tendenzunternehmen. Es diene nicht überwiegend karitativen Zwecken.

Karitativ sei eine Tätigkeit, die sich den sozialen Dienst am leidenden Menschen zum Ziel gesetzt habe. Dies sei in Behindertenwerkstätten der Fall. Berufsförderungswerke seien jedoch nicht mit Behindertenwerkstätten vergleichbar. Hauptzweck der Behindertenwerkstätten sei die Bereitstellung leidensgerechter Arbeitsplätze mit dem Nebeneffekt der Kenntnisvermittlung und Einübung in Fertigkeiten. Bei der Umschulung in Berufsförderungswerken stehe dagegen die Kenntnisvermittlung im Vordergrund. Der soziale Dienst am Behinderten sei Nebeneffekt.

Der Arbeitgeber sei schon deshalb nicht karitativ tätig, weil er eine sozialpolitische Aufgabe des Staates wahrnehme. Es sei zu beachten, daß das Land Niedersachsen Stifter sei, das die Berufsförderungswerke in Jahrzehnten als unmittelbare Einrichtung betrieben habe. Insofern nehme die Stiftung mittelbar öffentlich- rechtliche Aufgaben des Landes Niedersachsen wahr.

Psychologen seien keine Tendenzträger, da sie durch die Eingliederung in die betriebliche Struktur für die Tendenz des Berufsförderungswerks nicht von wesentlicher Bedeutung seien. Der Arbeitgeber dürfe daher diese Mitarbeiter nicht ohne die Zustimmung des Betriebsrats einstellen.

Der Betriebsrat hat beantragt

festzustellen, daß er bei der Einstellung

von Psychologen ein Mitbestimmungsrecht

habe.

Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, der Antrag sei unzulässig; der Betriebsrat wolle nur eine Rechtsfrage, losgelöst von einem aktuellen Streitfall, geklärt wissen.

Der Antrag sei aber auch unbegründet. Ein Mitwirkungsrecht des Betriebsrats bei der Einstellung von Psychologen entfalle, da das Berufsförderungswerk Tendenzbetrieb sei und die dort tätigen Psychologen Tendenzträger seien.

Die berufliche Wiedereingliederung Behinderter in das Arbeitsleben sei Hilfeleistung am leidenden Menschen. Dies sei Ziel des Berufsförderungswerks B. Ebenso wie die Lehrer und Ausbilder seien die Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter in den Berufsförderungswerken dazu bestimmt, dem Rehabilitanden bei der Bewältigung des Spannungsbogens zwischen leidensbedingt fehlgeschlagener Existenz und dem Neuaufbau einer Ersatzexistenz zu helfen. Sie seien daher als Tendenzträger anzusehen.

Der karitative Zweck sei auch bestimmend.

Die Tätigkeit der Stiftung sei keine staatliche Tätigkeit. Die Stiftung verfolge ausschließlich eigene Zwecke, die sich aus der Satzung ergäben. Daß die Organe Stiftungsrat, Kuratorium und Beirat von öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern bestellt bzw. gewählt würden, verlagere die Zwecksetzung nicht aus dem privatrechtlichen in den öffentlich-rechtlichen Bereich.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Gegen diesen Beschluß hat der Arbeitgeber Beschwerde eingelegt. Im Wege der Anschlußbeschwerde hat der Betriebsrat weiter beantragt

festzustellen, daß es sich bei dem Berufsför-

derungswerk B nicht um einen Tendenz-

betrieb im Sinne von § 118 BetrVG handelt.

Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Arbeitgebers zurückgewiesen und der Anschlußbeschwerde des Betriebsrats stattgegeben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Arbeitgeber seine Anträge auf Abweisung des Antrags des Betriebsrats und Zurückweisung der Anschlußbeschwerde des Betriebsrats weiter, während der Betriebsrat um Zurückweisung der Rechtsbeschwerde bittet.

B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist begründet, weil das Berufsförderungswerk B ein Tendenzbetrieb und die bei ihm beschäftigten Psychologen Tendenzträger sind.

I. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig.

1. Der Betriebsrat hat ein rechtliches Interesse daran, daß seine Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte bei der Einstellung der im Antrag bezeichneten Mitarbeiter alsbald festgestellt werden (§ 256 Abs. 1 ZPO). Die Frage, ob der Betriebsrat bei der Einstellung von Psychologen ein Zustimmungsverweigerungsrecht hat, ist zwischen den Beteiligten streitig. Ein Interesse des Betriebsrats an der Klärung dieser Rechtsfrage geht über das Interesse hinaus, das er in einem Einzelfall geltend machen könnte. Streitige Einzelfälle können sich insbesondere im Bereich der personellen Mitbestimmung durch Zeitablauf erledigen. Dann bleibt dem Betriebsrat nur die Möglichkeit, die streitige Rechtsfrage losgelöst von einem Einzelfall gerichtlich klären zu lassen. Dabei ist nicht erforderlich, daß der allgemeine Feststellungsantrag neben einem Antrag gestellt wird, der sich auf eine konkrete Maßnahme bezieht; er kann auch für sich allein gestellt werden (vgl. BAG Beschluß vom 10. April 1984 - 1 ABR 73/82 - AP Nr. 3 zu § 81 ArbGG 1979, zu B II 1 der Gründe; BAGE 50, 226, 229 = AP Nr. 8 zu § 95 BetrVG 1972, zu B I 1 der Gründe; BAGE 51, 151, 155 f. = AP Nr. 33 zu § 99 BetrVG 1972, zu B I 2 der Gründe; BAGE 53, 237, 240 = AP Nr. 32 zu § 118 BetrVG 1972, zu B I 1 der Gründe). Von dieser Möglichkeit, die streitige Rechtsfrage allgemein gerichtlich klären zu lassen, hat der Betriebsrat im vorliegenden Verfahren Gebrauch gemacht.

2. Der Antrag ist auch bestimmt genug (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die bezüglich der Mitwirkung umstrittenen einzelnen Maßnahmen und die betreffende Gruppe von Mitarbeitern sind im Antrag im einzelnen aufgeführt.

II. Der Antrag des Betriebsrats auf Feststellung, daß er bei Einstellungen von Psychologen ein Mitbestimmungsrecht habe, ist nicht begründet.

1. Die karitative Bestimmung des Berufsförderungswerks B steht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG bei der Einstellung von Psychologen entgegen. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist das Berufsförderungswerk B ein Tendenzunternehmen.

a) Das Landesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, unter "karitativ" werde eine Tätigkeit verstanden, die sich den sozialen Dienst am körperlich oder seelisch leidenden Menschen zum Ziel gesetzt habe. Dem lasse sich die Tätigkeit des Berufsförderungswerks nicht zuordnen. "Karitativ" sei nicht bereits jede Tätigkeit, die in irgendeiner Weise Hilfsbedürftigen zugutekomme. "Karitativ" als Adjektiv zu "Karitas" beziehe sich seinem tradierten Inhalt nach auf die christlich motivierte Liebe zu den Armen und Hilfsbedürftigen. Dieser religiöse Hintergrund des Begriffs "karitativ" könne nicht ohne Bedeutung für eine zutreffende Auslegung bleiben. Bei beschäftigungspolitischen Maßnahmen, die auf den erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt für eine bestimmte Gruppe von Menschen abzielten, sei keine Zielsetzung mildtätiger Art zu erkennen, für die die "Nächstenliebe" die Triebfeder abgebe.

Darüber hinaus diene das Berufsförderungswerk schon deswegen nicht karitativen Bestimmungen, weil es mittelbarer Staatsverwaltung zuzuordnen sei.

b) Mit diesen Ausführungen setzt sich das Landesarbeitsgericht in Widerspruch zur Auslegung des Begriffs der karitativen Bestimmung im Sinne von § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG durch den Senat. Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluß vom 7. April 1981 - 1 ABR 83/78 - AP Nr. 16 zu § 118 BetrVG 1972, zu B III 1 der Gründe) dient ein Unternehmen dann karitativen Bestimmungen, wenn es sich den sozialen Dienst am körperlich oder seelisch leidenden Menschen zum Ziel gesetzt hat, wenn es auf Heilung oder Milderung innerer und äußerer Nöte des Einzelnen gerichtet ist, wobei gleichgültig ist, ob diese Hilfe zur Linderung und Beseitigung der Nöte oder zu deren vorbeugender Abwehr geleistet wird. Voraussetzung ist allerdings, daß die Betätigung des Unternehmens ohne die Absicht der Gewinnerzielung erfolgt. Dagegen ist unerheblich, wer rechtlich oder wirtschaftlich an dem privatrechtlich organisierten Unternehmen beteiligt ist oder darauf einen beherrschenden Einfluß ausübt. Diese Begriffsbestimmung erfolgte in Übereinstimmung mit dem damaligen Meinungsstand im Schrifttum, wie im Beschluß (aaO) im einzelnen belegt ist. In den nach Verkündung des Beschlusses erschienenen Erläuterungswerken wird die Begriffsbestimmung des Senats beinahe wörtlich übernommen (vgl. Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 118 Rz 52; Fabricius, GK-BetrVG, 2. Bearb., § 118 Rz 191; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 118 Rz 19; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 118 Rz 16 f.; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 118 Rz 17; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 118 Rz 17).

In Konkretisierung dieser Begriffsbestimmung hat der Senat am 7. April 1981 (aaO) entschieden, daß die in einer Werkstatt für Behinderte angestrebte berufliche Eingliederung oder Wiedereingliederung Behinderter in das Arbeitsleben eine Hilfeleistung am leidenden Menschen ist. Dazu hat der Senat ausgeführt, das behinderungsbedingte Unvermögen, durch eigene Arbeit zum eigenen Lebensunterhalt oder zu dem einer Familie beizutragen, statt dessen auf Sozialleistungen angewiesen zu sein, verursache seelisches Leid, es vermittle dem Behinderten Gefühle der Minderwertigkeit und des Ausgeschlossenseins aus der Gesellschaft gesunder und arbeitsfähiger Menschen. Die Hilfe für Behinderte verliere auch nicht dadurch ihren karitativen Charakter, daß sie gleichzeitig eine sozialpolitische Aufgabe der Gesellschaft, d.h. des Staates, sei und von diesem oder dessen Sozialversicherungsträgern finanziert werde. Die letztlich aus dem Sozialstaatsprinzip folgende Verpflichtung des Staates zur umfassenden Daseinsfürsorge und Hilfeleistung für Bedürftige schließe weder eine solche Hilfeleistung durch Dritte aus, noch nehme sie der Ausübung solcher Hilfeleistung durch Dritte den Charakter karitativer Betätigung, wenn sie nicht in Erfüllung einer solchen öffentlich-rechtlichen Verpflichtung erfolge, sondern der Verwirklichung einer ideellen Zielsetzung diene, deren primäres Wesensmerkmal die Uneigennützigkeit sei. Auch eine möglichst kostendeckende Gestaltung der Tätigkeit stehe einer karitativen Bestimmung nicht entgegen. Der Senat sieht in Übereinstimmung mit dem Siebten Senat (Beschluß vom 29. Juni 1988 - 7 ABR 15/87 - zur Veröffentlichung vorgesehen) keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

aa) Die in jüngerer Zeit von Fabricius (aaO, Rz 191 f., 205), Kohte (Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 1983, 129 ff.) und Liemen (RdA 1985, 85, 90) geäußerte Kritik gegen die dargelegte Bestimmung des Begriffs "karitativ" im Sinne von § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG durch den Senat und die h.M. im Schrifttum vermag den Senat nicht zu überzeugen.

Fabricius (aaO, Rz 191 f., 205) und Kohte (BlStSozArbR 1983, 129, 132, 133) sind der Ansicht, nur solche Organisationen seien karitativ, die aus ihrem Vermögen freiwillige Zuwendungen an Hilfsbedürftige erbringen, ohne daß eine kostendeckende Gegenleistung des Empfängers der Hilfeleistung erfolgt; würden die Kosten der dem Hilfsbedürftigen unentgeltlich zugewendeten Leistungen jedoch aufgrund sozialstaatlicher Pflichten von Dritten, z.B. von Sozialversicherungsträgern, erstattet, so liege beim Zuwendenden eine karitative Bestimmung nicht mehr vor, da sich seine Leistung nicht als selbstlose wohltätige Zuwendung darstelle. Dementsprechend meinen Kohte (aaO) und Fabricius (aaO), daß derartige "finanzielle Durchgangsstellen" nicht mehr als karitativ angesehen werden könnten.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen:

Historisch gesehen ist zwar richtig, daß der ursprüngliche Begriff des Karitativen kirchlich geprägt war und auch noch im 19. Jahrhundert karitative Handlungen in der Regel unentgeltlich oder gegen ein nicht kostendeckendes, geringes Entgelt erbracht wurden (vgl. dazu Kohte, aaO, S. 130). Indessen hat der Gesetzgeber in Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des § 118 BetrVG einerseits und in Abs. 2 dieser Vorschrift andererseits zwischen den karitativen Einrichtungen der Religionsgemeinschaften (vgl. Abs. 2) und nicht von ihnen getragenen karitativen Unternehmen und Betrieben (vgl. Abs. 1) deutlich unterschieden. Bereits dies verbietet es, den historisch, kirchlich geprägten Begriff der Karitas dem Verständnis von § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG zugrunde zu legen. Vielmehr genügt es, daß der Träger des Unternehmens seinerseits mit seiner Hilfeleistung keine eigennützigen Zwecke im Sinne einer Gewinnerzielung verfolgt, mag er auch bis zur Höhe der Kostendeckung Einnahmen aus seiner Betätigung erzielen.

bb) Eine karitative Bestimmung im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG liegt allerdings nicht mehr vor, wenn das Unternehmen selbst von Gesetzes wegen unmittelbar zu derartiger Hilfeleistung verpflichtet ist. Vielmehr gehört zur Karitativität die Freiwilligkeit der Hilfeleistung. Die Freiwilligkeit wird aber nicht dadurch ausgeschlossen, daß die leidenden Menschen, denen Hilfe geleistet wird, ihrerseits einen Rechtsanspruch gegen Dritte, insbesondere gegen die öffentliche Hand, auf derartige Hilfeleistung bzw. deren Finanzierung haben, wie er beispielsweise im Bereich der beruflichen Rehabilitation in den §§ 567 ff. RVO, §§ 1236 ff. RVO und §§ 56 ff. AFG normiert ist. Diese Leistungsansprüche richten sich gegen den Staat bzw. dessen Sozialversicherungsträger. Sie sind aber nicht gegen privatrechtlich organisierte Unternehmen gerichtet, die es sich zum Ziel gesetzt haben, solche Hilfeleistungen tatsächlich zu erbringen. Zwar bedienen sich Sozialversicherungs- und Sozialhilfeträger häufig privatrechtlich organisierter Unternehmen, damit die ihnen von Gesetzes wegen regelmäßig in Form der Kostentragungspflicht obliegende Hilfeleistung auch tatsächlich gewährt werden kann. Dadurch werden diese privatrechtlich organisierten Unternehmen jedoch nicht von Gesetzes wegen verpflichtet, Hilfeleistungen anzubieten. Vielmehr haben sie sich diese Aufgabe freiwillig kraft Satzung, Gesellschaftsvertrag oder sonstigem privatrechtlichem Organisationsstatut selbst gesetzt, so daß sie mit der Erbringung der Hilfeleistung nicht irgendeinem gesetzlichen Zwang genügen, sondern ihrer eigenen, auf freiem Entschluß beruhenden Zielsetzung.

cc) Für die Frage, ob ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen karitativen Bestimmungen im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG dient, ist rechtlich unerheblich, ob es von juristischen Personen des öffentlichen Rechts gegründet worden ist, beeinflußt oder gar beherrscht wird, die ihrerseits aufgrund sozialgesetzlicher Normen unmittelbar verpflichtet sind, derartige Hilfeleistungen zu erbringen oder zumindest die Kosten für solche Hilfeleistungen zu tragen. Anknüpfungspunkt für die Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, ist vielmehr das Unternehmen selbst sowie die Frage, ob es seinen eigenen Statuten (Satzung, Gesellschaftsvertrag pp.) entsprechend einer der in den Tendenzschutz gestellten Bestimmungen dient. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, der eindeutig auf das Unternehmen selbst abstellt und nicht auf die Beweggründe und Verhältnisse derer, die den Unternehmensträger gegründet haben, ihn beeinflussen oder gar beherrschen.

Der Senat verkennt nicht, daß der weniger stark ausgeprägte Tendenzschutz im Personalvertretungsrecht eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die auf Grund Gesetzes zur Hilfeleistung verpflichtet ist, dazu verleiten kann, diese Aufgabe einer juristischen Person des privaten Rechts zu übertragen. In § 95 BPersVG ist zwar ausdrücklich die Möglichkeit normiert worden, für bestimmte Gruppen von Beschäftigten sowie für Dienststellen, die bildenden, wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecken dienen, eine eingeschränkte Personalverfassung einzurichten. Einigkeit besteht darin, daß mit § 95 BPersVG in Anlehnung an § 118 Abs. 1 BetrVG die Möglichkeit einer Sonderpersonalverfassung geschaffen wurde und eine weitere Einschränkung über den Rahmen des § 95 BPersVG hinaus nicht zulässig ist (Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., § 95 Rz 13; Grabendorff/Windscheid/Ilbertz, BPersVG, 6. Aufl., § 95 Rz 12; Kohte, BlStSozArbR 1983, 129, 132). Wenn § 95 BPersVG die karitativen Zwecke nicht aufführt, hat damit zwar nicht § 118 Abs. 1 BetrVG korrigiert werden sollen, es sind aber diejenigen Bestimmungen des § 118 Abs. 1 BetrVG nicht in den § 95 BPersVG übernommen worden, die auf die Dienststelle nicht übertragbar sind. Dazu gehören auch die karitativen Bestimmungen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers handelt eine Dienststelle dann nicht karitativ, wenn sie - wie in zahlreichen Fällen - in Erfüllung ihrer durch Gesetz begründeten Aufgaben leidenden Menschen dient. Deshalb scheidet die Annahme einer karitativen Bestimmung und damit die Annahme eines Tendenzbetriebes aus, wenn die Wahl der privaten Rechtsform allein deshalb getroffen wird, das insoweit stärker ausgebaute Personalvertretungsrecht zu umgehen.

Für einen solchen Mißbrauch ist vorliegend aber nichts vorgetragen.

c) Das Landesarbeitsgericht hat nicht nur den Begriff der "karitativen Bestimmungen" im Sinne von § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG verkannt, vielmehr beruht seine Entscheidung auch auf diesem Rechtsfehler. Das Unternehmen des Arbeitgebers dient einer karitativen Bestimmung im Sinne von § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG.

aa) Aufgabe des Berufsförderungswerks ist nach der Stiftungsurkunde und -satzung die berufliche Umschulung und Eingliederung Behinderter im Sinne der Sozialgesetzgebung (Präambel und § 2).

Nach den Grundsätzen für Berufsförderungswerke vom März 1986 - erarbeitet von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Berufsförderungswerke - sind Berufsförderungswerke gemeinnützige außerbetriebliche Bildungseinrichtungen der beruflichen Rehabilitation, die grundsätzlich der Fortbildung und Umschulung behinderter Erwachsener, die in der Regel bereits berufstätig waren, dienen. Sie führen für die Träger der beruflichen Rehabilitation Maßnahmen der beruflichen Um- und Neuorientierung mit einer auf die individuellen Belange der Behinderten ausgerichteten begleitenden Betreuung in erwachsenenspezifischer und behindertengerechter Form und angemessener Dauer durch. Durch diese Maßnahmen soll vor allem über die erfolgreiche Wiedereingliederung in das Arbeitsleben ein wesentlicher Beitrag zur gesellschaftlichen Integration Behinderter geleistet werden. Berufliche Rehabilitation in Berufsförderungswerken soll den Behinderten befähigen, seinen künftigen Beruf weitgehend ohne Beeinträchtigung auszuüben und damit eine dauerhafte Eingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft ermöglichen.

bb) Unstreitig betreibt der Antragsgegner ausschließlich die Rehabilitation von Behinderten. Deren Behinderung ist durch entsprechende Untersuchungen festgestellt worden. Nicht entscheidend ist dagegen, ob es sich bei diesen Behinderten um Schwerbehinderte im Sinne des Schwerbehindertengesetzes handelt oder gar um Menschen mit einem so hohen Grad der Behinderung, daß für einen großen Teil von ihnen an eine Eingliederung in das normale Arbeitsleben nicht zu denken ist.

cc) Unter den Beteiligten ist auch nicht streitig, daß der Antragsgegner seine Dienstleistung ohne die Absicht der Gewinnerzielung erbringt.

dd) Schließlich dient die Einrichtung des Antragsgegners der karitativen Betätigung auch unmittelbar und überwiegend. Die berufliche Rehabilitation Behinderter ist die einzige Zielsetzung des Antragsgegners; diese Hilfe an den körperlich, geistig oder seelisch leidenden Menschen wird auch unmittelbar vom Antragsgegner erbracht.

Insgesamt liegen damit alle Voraussetzungen dafür vor, daß das Berufsförderungswerk unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen dient.

2. Bei den Psychologen im Berufsförderungswerk B handelt es sich auch um sogenannte Tendenzträger.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Tendenzträger derjenige Arbeitnehmer, für dessen Tätigkeit die Bestimmungen und Zwecke der in § 118 Abs. 1 BetrVG genannten Unternehmen und Betriebe prägend sind (vgl. etwa BAGE 27, 322, 328 = AP Nr. 3 zu § 99 BetrVG 1972, zu III 2 der Gründe; BAGE 32, 214, 218 = AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu III 2 der Gründe; BAGE 35, 289, 296 = AP Nr. 21 zu § 118 BetrVG 1972, zu B II der Gründe; BAGE 40, 296, 303 = AP Nr. 12 zu § 15 KSchG 1969, zu II 2 b der Gründe; BAGE 53, 237, 242 = AP Nr. 32 zu § 118 BetrVG 1972, zu B II 1 c der Gründe). Nicht zu den sogenannten Tendenzträgern zählen dagegen solche Arbeitnehmer, die keine tendenzbezogenen Aufgaben wahrzunehmen haben (vgl. auch BVerfGE 52, 283, 297 = AP Nr. 14 zu § 118 BetrVG 1972, zu B II 1 b der Gründe).

Für die Tätigkeit von Psychologen sind die karitativen Bestimmungen und Zwecke des Berufsförderungswerks prägend. Nach Ziffer II 3.2 der Grundsätze für Berufsförderungswerke ist der psychologische Dienst diagnostisch, beratend und therapeutisch tätig. Berufliche Wiedereingliederung bezieht sich auf den ganzen Menschen. Sie verlangt nach personaler Identifikation während eines langen Prozesses. Dieser kann nicht wie eine übliche Verwaltungsaufgabe abgewickelt werden, vielmehr bedarf es des Herstellens immer neuer sozialtherapeutischer Beziehungen im Rahmen informeller Personalkontakte (Naendrup, Außerbetriebliche berufliche Rehabilitation, S. 102 und 232).

3. Der Betriebsrat hat bei der Einstellung von Psychologen kein Zustimmungsverweigerungsrecht, weil sich diese Beteiligung auf die Tendenzverwirklichung auswirken würde.

Die Anwendung der Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes über Beteiligungsrechte des Betriebsrats ist durch § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur insoweit ausgeschlossen, als die Eigenart des Unternehmens dem entgegensteht. Durch diese Vorschrift soll die Freiheit des Unternehmers geschützt werden, selbst zu entscheiden, auf welche Weise er seine karitativen Zwecke verfolgen will. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats in karitativen Unternehmen müssen daher nur soweit zurücktreten, wie durch ihre Ausübung die Freiheit des Unternehmers, in welcher Weise er den karitativen Zweck seines Unternehmens verwirklichen will, ernsthaft beeinträchtigt werden kann. Die Maßnahme des Tendenzunternehmens gegenüber einem Tendenzträger muß daher nicht nur einen Bezug zur Tendenz des Unternehmens haben, sondern sich auch die nach dem BetrVG an sich vorgesehene Beteiligung des Betriebsrats auf die Tendenzverwirklichung auswirken, wenn sie zurücktreten soll (vgl. zuletzt Beschluß vom 1. September 1987 - 1 ABR 23/86 - EzA § 118 BetrVG 1972 Nr. 41, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen, zu B II 1 d der Gründe).

In dem Beschluß vom 1. September 1987 (aaO) hat der Senat zugleich begründet, daß die Einstellung eines Tendenzträgers in einem Tendenzunternehmen im Regelfall nicht der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats bedarf. Besonderheiten, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten, hat der Betriebsrat vorliegend nicht dargetan. Daher war auf die Rechtsbeschwerde der Antrag des Betriebsrats abzuweisen.

C.I. Die unselbständige Anschlußbeschwerde des Betriebsrats ist zulässig.

Seit der Änderung der Vorschriften über das arbeitsgerichtliche Beschlußverfahren durch die Beschleunigungsnovelle vom 21. Mai 1979 ist auch in diesem Verfahren die unselbständige Anschlußbeschwerde zulässig. Nach § 87 Abs. 2 ArbGG gelten für das Beschwerdeverfahren die für das Berufungsverfahren maßgebenden Vorschriften über die Einlegung der Berufung und ihre Begründung entsprechend. Zu den Vorschriften über die Einlegung der Berufung gehören gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG auch die Vorschriften der §§ 521 ff. ZPO über die Anschlußberufung. Besonderheiten des Beschlußverfahrens stehen der Anwendung dieser Vorschriften nicht entgegen, insbesondere vermögen Gesichtspunkte der Beschleunigung des Verfahrens entsprechend § 9 ArbGG die Unzulässigkeit einer unselbständigen Anschlußbeschwerde nicht mehr zu begründen, nachdem nunmehr nach § 87 Abs. 2 Satz 3 ArbGG auch eine Änderung des Antrages in der Beschwerdeinstanz zulässig ist. Der Senat hat sich deshalb der Entscheidung des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 2. April 1987 (- 6 ABR 29/85 - AP Nr. 3 zu § 87 ArbGG 1979, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) angeschlossen (Beschluß vom 12. Januar 1988 - 1 ABR 54/86 - AP Nr. 8 zu § 81 ArbGG 1979, zu B II 1 der Gründe).

II. Die Anschlußbeschwerde ist aber unbegründet, weil sich aus den Ausführungen unter B II der Gründe ergibt, daß es sich bei dem Berufsförderungswerk B um einen Tendenzbetrieb handelt.

Dr. Kissel Matthes Dr. Weller

Rösch Dr. Hoffmann

 

Fundstellen

DB 1989, 1295 (L1-2)

BetrVG, (1) (LT1-2)

EzB BetrVG § 118, Nr 9 (LT1-2)

ASP 1989, 132 (K)

NZA 1989, 429-431 (LT1-2)

RdA 1989, 131

AP § 118 BetrVG 1972 (LT1-2), Nr 38

AR-Blattei, ES 1570 Nr 37 (LT1-2)

AR-Blattei, Tendenzbetrieb Entsch 37 (LT1-2)

EzA § 118 BetrVG 1972, Nr 44 (LT1-2)

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