Entscheidungsstichwort (Thema)

Großer Senat des Bundesarbeitsgerichts Anerkenntnis

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Erkennt nach Erledigung der Hauptsache eine Partei ihre von der Gegenpartei geltend gemachte Kostentragungspflicht an, sind ihr ohne weitere Sachprüfung die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen (Anschluß an BGH, Beschluß vom 3. Juni 1985, II ZR 248/84 = JZ 1985, 853f).

2. Die Zuständigkeit des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts endet, wenn ein prozessuales Ereignis (hier: Anerkenntnis) eintritt, durch das der Umfang der Sachprüfung durch das Bundesarbeitsgericht in einem Maße beschränkt wird, daß es auf die Vorlagefragen nicht mehr ankommen kann.

 

Orientierungssatz

Der ursprünglich zuständige 3. Senat - 3 AZR 487/80 - hatte eine Vorlagebeschluß gefaßt.

 

Normenkette

ArbGG § 9; GVG § 138; ZPO § 307; ArbGG §§ 45, 74; ZPO § 91a; BVerfGG § 31

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 31.07.1980; Aktenzeichen 7 Sa 35/80)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 26.03.1980; Aktenzeichen 33 Ca 74/79)

 

Gründe

A. Die Klägerin ist Kinderkrankenschwester. Sie ist im R-V-Krankenhaus (RVK) des beklagten Landes auf der Entbindungsstation beschäftigt. Am 26. Dezember 1976 brachte sie das zwölf Tage alte Kind J W in einem fahrbaren Kinderbett zu dessen Mutter auf die Station. Als sie das Kind aus dem Kinderbett nahm, rutschte es ihr aus den Händen und fiel auf den Boden. Das Kind erlitt einen Scheitelbeinbruch und mußte bis zum 14. Januar 1977 in der Kinderklinik des RVK behandelt werden.

In einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Berlin (7 O 257/77) nahm das verunglückte Kind die Parteien als Gesamtschuldner auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld sowie auf Feststellung in Anspruch, daß die Parteien gesamtschuldnerisch verpflichtet seien, allen ihm aus dem Unfall entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen. Das Landgericht verurteilte am 13. Juni 1978 die Parteien als Gesamtschuldner, an Julia W 94,72 DM zu zahlen. Darüber hinaus verurteilte es die Klägerin zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 1.000,-- DM und gemäß dem Feststellungsantrag des Kindes. Die Klägerin nahm ihre Berufung gegen dieses Urteil am 11. August 1978 zurück.

Mit der am 20. September 1979 erhobenen Klage hat die Klägerin von ihrem Arbeitgeber Zahlung von 377,-- DM, Freistellung von dem Schmerzensgeldanspruch und die Feststellung begehrt, daß das beklagte Land verpflichtet sei, sie von den weiteren Ansprüchen des Kindes Julia W freizustellen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Im Revisionsverfahren, in dem die Klägerin ihre Klageansprüche weiterverfolgt hat, hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts durch Beschluß vom 12. Februar 1985 (BAGE 49, 1 ff. = AP Nr. 86 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) nach § 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG dem Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts wegen grundsätzlicher Bedeutung folgende Fragen vorgelegt:

1. Gelten haftungsbeschränkende Grundsätze

allgemein für betriebliche Tätigkeiten eines

Arbeitnehmers ohne Rücksicht darauf,

ob diese Tätigkeiten gefahrgeneigt sind ?

2. Wenn ja:

a) Ist die Haftung des Arbeitnehmers auf

Fälle beschränkt, bei denen der Arbeitnehmer

vorsätzlich oder grob fahrlässig

gehandelt hat ?

b) Oder haftet der Arbeitnehmer darüber

hinaus auch bei mittlerem Verschulden

wenigstens anteilig ?

c) Kommt eine summenmäßige Begrenzung der

Haftung des Arbeitnehmers in Betracht ?

3. Wenn nein:

Gelten die Haftungsgrundsätze der gefahrgeneigten

Arbeit schon dann, wenn eine Tätigkeit

mit einem unverhältnismäßig hohen

Schadensrisiko verbunden ist ?

In Schriftsätzen vom 18. und vom 21. Mai 1987 hat das beklagte Land erklärt, daß es alle Klageansprüche einschließlich der Kosten gemäß § 307 ZPO anerkennen werde und um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung bitte. Der Vorsitzende des Großen Senats hat daraufhin den auf den 26. Mai 1987 anberaumten Termin vor dem Großen Senat aufgehoben und die Akten dem erkennenden Senat zugeleitet. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, dem beklagten Land die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Das beklagte Land hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen und seine Kostentragungspflicht anerkannt. Die Klägerin beantragt, dem beklagten Land gemäß dem Anerkenntnis die Kosten aufzuerlegen.

B. Die Kosten des Rechtsstreits sind dem beklagten Land aufzuerlegen, da dieses den von der Klägerin geltend gemachten Kostenanspruch anerkannt hat.

I. Gemäß § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZPO ist zwar bei der Entscheidung der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen und damit grundsätzlich darauf abzustellen, ob die Klage mutmaßlich Erfolg gehabt hätte. Es besteht jedoch kein Grund, den Parteien eine Disposition über die Kostenregelung zu verwehren. Ebenso wie sie einen Vergleich über die Kosten des in der Hauptsache erledigten Rechtsstreits schließen können, bleibt es auch jeder Partei unbenommen, ihre von der Gegenpartei geltend gemachte Kostentragungspflicht anzuerkennen. Unterwirft sie sich in dieser Weise freiwillig dem gegen sie geltend gemachten Kostenanspruch, so ist dies bei der Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO zu berücksichtigen mit der Folge, daß ihr in Anwendung des Grundgedankens des § 307 ZPO ohne weitere Sachprüfung die Kosten aufzuerlegen sind (ebenso Zöller/Vollkommer, ZPO, 14. Aufl., § 91 a Rz 25; BGH JZ 1985, 853 f.).

II. Für diese Entscheidung ist der erkennende Senat zuständig, obwohl der Große Senat über die ihm vorgelegten Rechtsfragen nicht entschieden, das Vorlageverfahren also nicht durch einen förmlichen Beschluß beendet hat.

1. Allerdings wird nach Auffassung des Großen Senats für Zivilsachen des Bundesgerichtshofs und des Großen Senats des Bundessozialgerichts durch die Vorlage eine der Rechtshängigkeit ähnliche Lage geschaffen (vgl. BGHZ 13, 265, 270; BSGE 54, 223, 225). Sie hat zur Folge, daß der Große Senat nicht berechtigt ist, beim Eintreten neuer Rechtstatsachen die Sache ohne Entscheidung an den vorlegenden Senat zurückzugeben (vgl. BGHZ und BSGE, jeweils aaO; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 45. Aufl., § 138 GVG Anm. 1; Zöller/Gummer, ZPO, 14. Aufl., § 138 GVG Anm. 2; Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl., § 44 Rz 3; Kissel, GVG, § 138 Rz 4; Redeker/von Oertzen, VwGO, 7. Aufl., § 11 Anm. 5; Eyermann/Fröhler, VwGO, 8. Aufl., § 11 Rz 6). Als neue Rechtstatsachen werden eine nach der Vorlage ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, für die eine Bindung der Gerichte nach § 31 Abs. 1 BVerfGG in Frage kommt, und eine zwischenzeitliche, die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen berührende Gesetzesänderung angesehen. Durch diese neuen Rechtstatsachen habe sich die Vorlage nicht von selbst erledigt, vielmehr sei nur ein Entscheidungselement für den Großen Senat verändert worden; die der Rechtshängigkeit ähnliche Lage gebiete einen Ausspruch des Großen Senats zu den Vorlagefragen unter Berücksichtigung der sich aus der Rechtsänderung ergebenden Rechtslage (BGHZ und BSGE, jeweils aaO); werde, nachdem die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage auf diese Weise weggefallen sei, die Vorlage durch den anrufenden Senat nicht zurückgenommen, so sei das Vorlageverfahren durch den Großen Senat für erledigt zu erklären (BSGE, aaO).

2. Diese Grundsätze stehen der Entscheidungszuständigkeit des erkennenden Senats, der nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesarbeitsgerichts seit 1. März 1986 für die Entscheidung in der Sache zuständig wäre, nicht entgegen.

a) Die Zuständigkeit des Großen Senats erschöpft sich in einer Entscheidung über die vorgelegte Rechtsfrage (§ 45 Abs. 3 Satz 3 ArbGG in Verb. mit § 138 Abs. 1 GVG; BAGE 44, 211 = AP Nr. 1 zu § 45 ArbGG 1979, zu 3 der Gründe; BGH MDR 1986, 337). Nur insoweit ist er nach der Anrufung als der gesetzliche Richter anzusehen. Die Zuständigkeit des erkennenden Senats zur abschließenden Entscheidung in der Sache bleibt unberührt (Ziemer/Birkholz, FGO, 3. Aufl., § 11 Rz 22), mag man auch das Verfahren vor dem erkennenden Senat als "ausgesetzt" ansehen (so Rohwer-Kahlmann, SGG, §§ 42 bis 44 Rz 12; Meyer-Ladewig, aaO, § 42 Rz 10; Bley, RVO-Gesamtkommentar, § 42 SGG Anm. 4 c). Daraus folgt, daß prozessuale Ereignisse, durch die der Umfang der Sachprüfung durch das Bundesarbeitsgericht in einem Maße beschränkt wird, daß es auf die Vorlagefragen nicht mehr ankommen kann, die Zuständigkeit des Großen Senats beenden. Ein solcher Umstand ist das Anerkenntnis nach § 307 Abs. 1 ZPO. In diesem Fall kommt es auf die Vorlagefragen nicht mehr an, weil das Gericht die Begründetheit der Klage nicht mehr prüfen darf. Das Verfahren ist auf dem schnellsten Weg der gewünschten Erledigung durch den allein zuständigen erkennenden Senat zuzuführen.

b) Der an § 9 Abs. 1 Satz 1 und § 74 Abs. 2 Satz 1 ArbGG gebundene erkennende Senat hatte somit, nachdem das beklagte Land dem Bundesarbeitsgericht angezeigt hatte, daß es den Klageanspruch anerkennen wolle, und der Vorsitzende des Großen Senats daraufhin die Akten dem erkennenden Senat zugeleitet hatte, alsbald Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen, um diese Prozeßerklärung, wie es § 307 Abs. 1 ZPO grundsätzlich vorsieht, in der mündlichen Verhandlung entgegenzunehmen. Es bedurfte daher weder einer Rückgabe der Sache durch den Großen Senat an den erkennenden Senat noch einer Rücknahme der Vorlage durch diesen.

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer

Dr. Meyer R. Schmidt

 

Fundstellen

BAGE 56, 95-99 (LT1-2)

BAGE, 95

BB 1987, 1805

NJW 1988, 990

NJW 1988, 990-990 (LT1-2)

JR 1988, 308

RdA 1988, 59

AP § 45 ArbGG 1979 (LT1-2), Nr 11

AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit IV Entsch 32 (LT1-2)

AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit XIII Entsch 171 (LT1-2)

AR-Blattei, ES 160.13 Nr 171 (LT1-2)

AR-Blattei, ES 160.4 Nr 32 (LT1-2)

EzA § 91a ZPO, Nr 5 (LT1-2)

JZ 1988, 366

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