Das Wichtigste in Kürze:

1. Aussage gegen Aussage steht nur dann, wenn keine weiteren, unmittelbar tatbezogenen Beweismittel vorliegen außer der Aussage des einzigen Belastungszeugen. Dies gilt auch, wenn der Beschuldigte schweigt.
2. Die Aussagegenese, also die Aufklärung der Aussageentstehung und -entwicklung ist bei einer Aussage gegen Aussage Konstellation in der Regel erforderlich.
3. Die Bewertung der Aussagetüchtigkeit bezieht sich auf die Fähigkeit der Person, einen spezifischen Sachverhalt korrekt wahrzunehmen.
4. Die HV bedarf gründlicher Vorbereitung im Hinblick auf die Bewertung der Aussagekonstanz des Zeugen.
5. Die Strafmaßverteidigung erfordert Aktivitäten der Verteidigung schon lange vor der HV. Mit dem Mandanten muss frühzeitig eine Einlassung erarbeitet werden.
6. Die Beweiswürdigung kann mit der Revision angegriffen werden, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist.
 

Rdn 1397

 

Literaturhinweise:

Baumhöfener, Akteneinsicht des Nebenklägers – Gefährdung des Untersuchungszwecks bei der Konstellation Aussage-gegen-Aussage, NStZ 2014, 135

Baumhöfener/Daber/Wenske, Die Aktenkenntnis des Verletzten in der Konstellation Aussage-gegen-Aussage, NStZ 2017, 562

Bender/Häcker/Schwarz, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 5. Aufl. 2021

Brause, Glaubhaftigkeitsprüfung und -bewertung einer Aussage im Spiegel der höchstrichterlichen Rechtsprechung, NStZ 2013, 129

Deckers, Glaubhaftigkeitsprüfung 2018, in: Deckers/Köhnken (Hrsg.), Die Erhebung und Bewertung von Zeugenaussagen im Strafprozess (3. Band), 2019, S. 182 ff.

Fischer, Glaubwürdigkeitsbeurteilung und Beweiswürdigung – Von der Last der "ureigenen Aufgabe" –, NStZ 1994, 1

Greuel, in: Greuel/Offe/Fabian u.a. (Hrsg.), Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998

Kröber, Die schrittweise interaktive Entstehung einer Fehlbeschuldigung sexuellen Missbrauchs, FPPK 2013, 240

Laudon, Aussage gegen Aussage und Falschbeschuldigung im Sexualstrafrecht, in: Festschrift zum 70. Geburtstag von Detlef Burhoff, 2020, S. 59

Nack, Verteidigung bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung von Aussagen, StV 1994, 555

Scholz, Wie können nicht glaubhafte Zeugenaussagen entstehen? Mögliche interaktionale Bedingungen für nicht glaubhafte Zeugenaussagen, NStZ 2001, 572

Schroth/Deckers, Sexualstrafrecht, in: MAH § 49

Schwenn, Fehlurteile und ihre Ursachen – die Wiederaufnahme in Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs, StV 2010, 705

s. i.Ü. auch die Hinw. bei → Glaub­würdigkeitsgutachten, Teil G Rdn 2005.

 

Rdn 1398

1. Die Beweiskonstellation von Aussage-gegen-Aussage erfährt ihr Gepräge durch eine Abweichung der Tatschilderung des Zeugen von der eines Beschuldigten, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel, etwa belastende Indizien wie Zeugenaussagen über Geräusche oder Verletzungsbilder, zurückgegriffen werden kann. Dieselbe Verfahrenskonstellation ist allerdings auch gegeben, wenn der Beschuldigte selbst keine eigenen Angaben zum Tatvorwurf macht, sondern sich durch Schweigen verteidigt (OLG Hamburg NStZ 2015, 105).

 

☆ Der Verteidiger sollte sich stets bewusst sein, dass insbesondere die Verteidigung im Sexualstrafrecht stets vor dem Hintergrund hoher Emotionalisierung stattfindet; überschießenden Emotionen begegnet der er am besten mit hoher Sachkunde ( Schroth/Deckers, Rn 15 f.). Vor Übernahme des Mandats sollte er sich selbstkritisch fragen, ob er sich der sachgerechten Mandatsbearbeitung einerseits fachlich, andererseits emotional gewachsen fühlt.Verteidigung im Sexualstrafrecht stets vor dem Hintergrund hoher Emotionalisierung stattfindet; überschießenden Emotionen begegnet der er am besten mit hoher Sachkunde (Schroth/Deckers, Rn 15 f.). Vor Übernahme des Mandats sollte er sich selbstkritisch fragen, ob er sich der sachgerechten Mandatsbearbeitung einerseits fachlich, andererseits emotional gewachsen fühlt.

 

Rdn 1399

Das Gericht trifft bei dieser Beweislage eine erhöhte Aufklärungspflicht (BGH StV 2008, 233) unter Berücksichtigung der anerkannten Grundsätze der Aussagepsychologie (Bender/Häcker/Schwarz Rn. 341 mit Verweis auf BGH NStZ-RR 2003, 206). Die Aussage des Zeugen muss hierbei geeignet sein, die für den Beschuldigten streitende Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) zu überwinden (Brause NStZ 2013, 129, 131). Erforderlich dafür sind eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs, sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (BGH StV 2019, 519; 2020, 446; NStZ-RR 2020, 321; 2021, 24 m.w.N.).

 

☆ Ist nach Auffassung des Verteidigers die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens (genauer: Glaubhaftigkeitsgutachten) notwendig, sollte frühzeitig vor der HV darauf hingewirkt werden, da dieses nach Eröffnung zu einer Aussetzung und ggf. zu Doppelvernehmungen führt, die grds. zu vermeiden sind (→  Glaubwürdigkeitsgutachten , Teil G Rdn  2004 ).frühzeitig vor der HV darauf hingewirkt werden, da dieses nach Eröffnun...

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