Das Wichtigste in Kürze:

1. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen bzw. der Glaubhaftigkeit seiner Aussage ist "ureigenste Aufgabe" des Gerichts, das, auch wenn ein SV hinzugezogen worden ist, allein entscheidet, ob es einem Zeugen glaubt oder nicht.
2. Wenn das Gericht nicht genügend eigene Sachkunde hat, muss es zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen ggf. einen SV hinzuziehen.
3. Häufig wird ein SV-Gutachten schon im EV eingeholt worden sein. Die Frage, ob ein Glaubwürdigkeitsgutachten einzuholen ist, kann aber auch (erst) in der HV Bedeutung erlangen.
4. Bei der Auswahl eines SV muss der Verteidiger beachten, dass die Fachkenntnisse eines Psychologen häufig nicht ausreichend sind, wenn eine psychische Erkrankung Einfluss auf die Glaubwürdigkeit eines Zeugen haben kann.
5. Aus § 81c StPO folgt, dass eine psychiatrische oder psychologische Untersuchung nur mit Einwilligung des Zeugen zulässig ist. Sind ggf. Belehrungspflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt, kann sich ein BVV für die beim SV gemachten Angaben ergeben.
6. Die Untersuchung eines Zeugen ist nicht der einzige Weg, seine Glaubwürdigkeit und Aussagetüchtigkeit zu überprüfen.
7. Grds. muss der SV, der mit der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen beauftragt ist, in der HV während dessen Vernehmung und den Vorgängen, die sich mit der Glaubhaftigkeit dieser Aussage befassen (Vernehmung weiterer Zeugen), anwesend sein.
8. Im Urteil muss das Gericht, wenn die Beweiswürdigung nicht lückenhaft sein soll, zumindest die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des SV wiedergeben.
 

Rdn 2005

 

Literaturhinweise:

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