Das Wichtigste in Kürze:

1. In Zusammenhang mit der Beschlagnahme von Behördenakten tauchen zahlreiche Rechtsfragen auf, die in Rspr. und Lit. streitig behandelt werden
2. Grds. können auch Behördenakten beschlagnahmt werden.
3. Die Beschlagnahme von Behördenakten ist ausgeschlossen, wenn eine bindende Sperrerklärung vorliegt.
4. Der Verteidiger kann gegen die nach seiner Auffassung nicht bindende Sperrerklärung rechtliche Schritte unternehmen.
 

Rdn 1074

 

Literaturhinweise:

Eisenberg, Beschlagnahme von Akten der Jugendgerichtshilfe durch das Jugendgericht, NStZ 1986, 308

Fezer, Anfechtung einer Sperrerklärung des Innenministers und Aussetzung der Hauptverhandlung – BGH NStZ 1985, 466, JuS 1987, 358

ders., Zur Problematik des gerichtlichen Rechtsschutzes bei Sperrerklärungen gemäß § 96 StPO, in: Festschrift für Kleinknecht, 1985, S. 113

Gaede, Menschenrechtliche Fragezeichen hinter der Zurückhaltung von Beweismitteln im deutschen Strafverfahren, HRRS 2004, 44

ders., Die besonders wichtige Beweiswürdigung bei der exekutiven Sperrung von Beweismaterial im Konflikt mit dem Offenlegungsanspruch des Art. 6 I 1 EMRK – Zugleich Besprechung von BGH – 3 StR 218/03 – vom 4.3.2004 – StraFo 2004, 195

Kramer, Die Beschlagnahmefähigkeit von Behördenakten im Strafverfahren, NJW 1984, 1502

Laue, Der staatliche Strafanspruch in Abhängigkeit von verwaltungsrechtlicher Aufgabenerfüllung?, ZStW 120, 246

Lantermann, Art. 103 Abs. 1 GG und die Verwertung von teilweise gesperrten nachrichtendienstlichen Erkenntnissen Eine Besprechung zu BGH – 3 StR 498/16, StraFo 2018, 12

Lisken, Sperrerklärungen im Strafprozeß, NJW 1991, 1658

M. Lorenz, Die Zulässigkeit der Vertraulichkeitszusage gegenüber Vertrauenspersonen und Informanten sowie deren Auswirkung auf das Strafverfahren, StraFo 2016, 316

Mahler, Keine Sperrung der Vertrauensperson gemäß § 96 StPO analog bei gleichzeitiger Verletzung des Konfrontationsrechts aus Art 6 Abs. 3d EMRK, HRRS 2013, 333

Taschke, Akteneinsicht und Geheimnisschutz im Strafverfahren, CR 1989, 299

ders., Die behördliche Zurückhaltung von Beweismitteln im Strafprozeß, 1989

Uhlig, Die Polizei: Herrin des Strafverfahrens, StV 1986, 117

s.a. die Hinw. bei → Akteneinsicht in Beiakten und beigezogene Akten, Teil A Rdn 403, → Aussagegenehmigung, Teil A Rdn 799, → Beschlagnahme, Allgemeines, Teil B Rdn 892.

 

Rdn 1075

1. In Zusammenhang mit der Beschlagnahme von Behördenakten tauchen zahlreiche Rechtsfragen auf, die in Rspr. und Lit. streitig behandelt werden (wegen der Einzelh. Meyer-Goßner/Schmitt, § 96 Rn 1 ff. m.w.N.; KK-Greven, § 96 Rn 1 ff. m.w.N.; Kramer NJW 1984, 1502 ff.). Die Ausführungen hier beschränken sich auf die Grundzüge (vgl. Teil B Rdn 1076 ff.), die Frage der Sperrerklärung (vgl. Teil B Rdn 1082 ff.) und darauf, ob und wie der Verteidiger ggf. gegen eine seiner Meinung nach unberechtigte Sperrerklärung vorgehen kann (vgl. Teil B Rdn 1086).

 

Rdn 1076

2.a) Grds. müssen Behörden und öffentliche Beamte (zu den Begriffen KK-Greven, § 96 Rn 3 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 256 Rn 1; § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB) einem Ersuchen um Herausgabe von Akten und anderen Schriftstücken entsprechen, wenn nicht die Voraussetzungen des § 96 vorliegen (zur Offenbarung gem. § 30 Abs. 4 Nr. 5b AO LG Aachen, Beschl. v. 14.11.2020 – 86 Qs 19/20, wistra 2021, 126). Unzutreffend ist m.E. daher die Entscheidung des OLG Hamm (NJW-RR 2009, 420) zu einem auf Familienakten bezogenen Herausgabeverlangen. Danach soll die Herausgabe nur für Zwecke, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem ursprünglichen Verfahrenszweck stehen, erforderlich sein.

 

Rdn 1077

Diese Verpflichtung gilt allein auch schon deshalb, weil das Gericht ggf. die Tatsachen aufklären muss, die für die Beurteilung der Verwertbarkeit der Ergebnisse von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen, wie z.B. einer TÜ, maßgebend sind, aufklären und zum Gegenstand des Verfahrens machen muss (BGH, Beschl. v. 3.5.2017 – 3 StR 498/16, StV 2018, 73 [Ls.]; dazu Lantermann StraFo 2018, 12 ff.). Das gilt auch dann, wenn die Erkenntnisse in einem fremden Verfahren angefallen sind. In einem solchen Fall sind regelmäßig Akten oder Aktenbestandteile dieses anderen Verfahrens in dem für die Beurteilung der Verwertbarkeit erforderlichen Umfang auszuwerten (BGH, a.a.O.). Dafür müssen die Akten zur Verfügung stehen.

 

Rdn 1078

Kommt die Behörde einem Herausgabeverlangen nicht nach und liegen die Voraussetzungen des § 96 nicht vor – die Herausgabe wird also ohne Abgabe einer Sperrerklärung der obersten Dienstbehörde (s. Teil B Rdn 1082) oder offensichtlich willkürlich oder rechtsmissbräuchlich verweigert –, können nach h.M. auch Behördenakten beschlagnahmt werden (vgl. BGHSt 38, 237 [für Niederschriften über die bei einer sog. G-10-Maßnahme angefallenen Tonbandaufzeichnungen]; OLG Jena NJW 2001, 1290; LG Potsdam wistra 2007, 193; Meyer-Goßner/Schmitt, § 96 Rn 2 m.w.N. auch zur a.A., wie z.B. LR-Menges, § 96 Rn 8). Die Akten können auch dann beschlagnahmt werden, wenn Behördenangehörige selbst als Teilnehmer einer Stra...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge