Rz. 21

Die Erlangung von Leistungen des Versicherers im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes stellt die Ausnahme dar. Benötigt wird eine Leistungsverfügung, bei der grundsätzlich die Gefahr der Vorwegnahme der Hauptsache besteht. In der Praxis ergehen im Bereich des Versicherungsrechts Leistungsverfügungen bei der Personenversicherung, so im Bereich der Kranken- oder Krankentagegeldversicherung oder der Berufsunfähigkeitsversicherung. Auch im gewerblichen Bereich können sich Konstellationen ergeben, bei denen der Versicherungsnehmer auf dringende Leistungen angewiesen ist, z.B. im Bereich der Betriebsunterbrechungs- oder Betriebsschließungsversicherung zwecks Aufrechterhaltung der betrieblichen Tätigkeit. Da der Versicherungsnehmer gemäß § 14 Abs. 2 VVG nach Ablauf eines Monats nach Schadensanzeige einen Anspruch auf eine Abschlagszahlung in Höhe des Betrags hat, den der Versicherer nach Lage der Dinge leisten muss, kommt insoweit auch die Verfolgung dieser Leistung per einstweiliger Verfügung in Betracht, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen.

 

Rz. 22

Im Bereich der Haftpflichtversicherung muten einstweilige Verfügungen fremd an. Grundsätzlich besteht der Anspruch der versicherten Person auf Prüfung der Rechtslage, auf die Abwehr unbegründeter Ansprüche und die Freistellung berechtigter Ansprüche Dritter. Solche Leistungen, gerade die Freistellung müssen meist nicht per einstweiliger Verfügung durchgesetzt werden. Im Bereich der Abwehrdeckung hingegen, wo es darum geht, einen Schaden von der versicherten Person abzuwehren bzw. sie vor unberechtigten Ansprüchen zu bewahren, kann es Konstellationen geben, in denen die versicherte Person auf sofortige Leistungen angewiesen ist. So hat der ehemalige Vorstandsvorsitzende Dr. Markus Braun der Wirecard AG im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Zahlung von Abwehrkosten[1] und in einem weiteren Verfahren[2] auch die mitversicherten Kosten für PR-Maßnahmen vom D&O-Versicherer begehrt. Er trug vor, er könne wegen dinglicher Arreste nicht an sein Vermögen gelangen, weshalb er insbesondere Anwaltskosten für seine Vertretung nicht aufbringen könne.[3] Der Versicherer trug vor, dass die Finanzberichte der Wirecard AG seit 2015 wegen der Einbeziehung angeblicher Umsatzerlöse aus TPA-Geschäften unzutreffend gewesen seien und die wirtschaftlichen Verhältnisse falsch dargestellt wurden (Drittpartnergeschäft = Third Party Acquiring, kurz TPA). In Asien, wo Wirecard keine eigenen Lizenzen hatte, sollte das Geschäft über Drittpartner abgewickelt werden, die es aber nicht gab, zumindest nicht die behaupteten und verbuchten Erlöse/Umsätze. Dr. Markus Braun bestritt dies gewusst zu haben. Der Versicherer hat den kompletten D&O-Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten und berief sich auf eine Nichtigkeit des Vertrags.[4]

 

Rz. 23

Es stellte sich die Frage, ob, solange wie die Nichtigkeit des Versicherungsvertrags oder die Auswirkungen dieser Nichtigkeit auf den Versicherungsschutz für das einzelne Organmitglied im Streit sind und solange wie ein Vorsatz oder eine Wissentlichkeit des Geschäftsleiters nicht rechtskräftig feststehen, einstweilen Abwehrkosten zu gewähren sind.

 

Rz. 24

Dr. Markus Braun trug vor[5], er habe Anfang Juli 2020 einen Vorschuss an seine Anwälte in Höhe von 290.000 Euro gezahlt, der zum Stichtag 14.10.2020 bis auf 45.149,99 Euro aufgebracht worden sei. Aufgrund der anhängigen Zivilverfahren seien bislang vorzuschießende Anwaltsgebühren in Höhe von 388.556,12 Euro angefallen. Eine Klage gegen die Wirecard AG aufgrund der Kündigung seines Dienstvertrages könne er mangels ausreichender finanzieller Mittel nicht erheben; ebenso werde er sich nicht gegen sich bereits konkret abzeichnende Organhaftungsansprüche wehren können. Die Klageerwiderung in dem Musterverfahren vor dem Landgericht könne nicht gefertigt werden; ebenso könne er lediglich gegen drei der zahlreichen Arreste und Pfändungen, die allesamt im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bei der Wirecard AG stehen würden, Widerspruch einlegen. Hier wäre im Einzelnen zu prüfen, welche Kosten zu den versicherten Abwehrkosten gehören und in welcher Höhe eine sofortige Leistung zur Abwendung einer existenzgefährdenden Notlage erfolgen muss. Wichtig ist aber der Verfügungsanspruch, der voraussetzt, dass der Anspruchsteller im späteren Hauptsacheverfahren mit hoher bis an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit obsiegen wird.[6]

 

Rz. 25

Eine einstweilige Verfügung setzt einen sog. Verfügungsgrund und einen Verfügungsanspruch voraus. Der Verfügungsgrund knüpft an die Eilbedürftigkeit an, die einstweilige Verfügung muss erforderlich sein, um Schäden zu verhindern. Sie darf auch nur in dem Umfang ergehen, der erforderlich ist, um Schäden zu verhindern.[7] Der Anspruchsteller muss sich in einer existentiellen Notlage befinden, die die Zahlung des Vorschusses so dringlich macht, dass nicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache abgewartet werden kann.[8]

 

Rz. 26

Weitere Voraussetzung f...

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