Rz. 1

Die Bedingungen wählen für A-2 AVB D&O die Überschrift "Versicherungsfall (Claims-Made-Prinzip)". Genau genommen handelt es sich allerdings nicht um die Definition des Versicherungsfalls. Diese Definition ist nämlich bereits in A-1 Abs. 1 AVB D&O enthalten. Danach gewährt der Versicherer Versicherungsschutz, "für den Fall, dass ein gegenwärtiges oder ehemaliges Mitglied des Aufsichtsrates, des Vorstandes oder der Geschäftsführung des Versicherungsnehmers oder einer Tochtergesellschaft (versicherte Personen) wegen einer bei Ausübung dieser Tätigkeit begangenen Pflichtverletzung aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird."

 

Rz. 2

Bei A-2 AVB D&O wird der versicherte Zeitraum bestimmt. Man kann vertreten, dass der Zeitpunkt der Anspruchserhebung zum Versicherungsfall gehört, zwingend ist dies indes nicht. Es geht um die Frage, wann der Versicherungsfall eintreten muss, damit überhaupt Versicherungsschutz ausgelöst wird. Entscheidender Zeitpunkt ist die erstmalige Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs gegen eine versicherte Person während der Dauer des Versicherungsvertrags. Damit ist in A-2 AVB D&O das sogenannte Claims-Made-Prinzip (= Anspruchserhebungsprinzip) verankert. Bei der Geltendmachung des Anspruchs aus der Innenhaftung tritt der Versicherungsfall in dem Zeitpunkt ein, indem das zuständige Organ, also der Aufsichtsrat bei der AG oder die Gesellschafterversammlung oder bei entsprechender Zuständigkeit ebenfalls der Aufsichtsrat den Anspruch gegenüber dem Organmitglied schriftlich geltend macht. Dies setzt den Zugang bei dem Organmitglied voraus.[1] Zugehen muss das Inanspruchnahmeschreiben, aber auch der zugrundeliegende Beschluss, weil dies Voraussetzung für die Inanspruchnahme ist. Die Inanspruchnahme darf nicht zum Schein erfolgen, etwa um Versicherungsleistungen zu erwirken.[2] Sie muss ernstlich gewollt sein, wobei hieran aber keine hohen Anforderungen zu stellen sind.[3] Es ist durchaus statthaft, dass sich die Gesellschaft nur deshalb für eine Inanspruchnahme entscheidet, weil Versicherungsschutz besteht, weil sie sonst nicht möchte, dass das Organmitglied privat in die Insolvenz oder in Zahlungsschwierigkeiten gerät.[4] Auch eine "freundliche Inanspruchnahme" unter Fortbeschäftigung des Geschäftsleiters ist ein Versicherungsfall.[5] Man darf den Geschäftsführer in die Haftung nehmen und ihn gleichwohl fortbeschäftigen.[6] Gerade wenn es sich um einen singulären Verstoß handelt und der Geschäftsführer sonst "einen guten Job" macht, liegt es sogar im Unternehmensinteresse, ihn weiter zu halten (siehe zur Abtretung des Freistellungsanspruchs an die Versicherungsnehmerin und Vereinbarungen mit dem Organmitglied auch die Ausführungen bei A-8 AVB D&O II).

 

Rz. 3

Es handelt sich aber genau genommen bei der durch die AVB D&O ausgestalteten D&O-Versicherung nicht um einen Vertrag, der allein dem Claims-Made-Prinzip folgt. Das Claims-Made-Prinzip führt zwar dazu, dass überhaupt erst dann ein Versicherungsfall vorliegt, wenn eine schriftliche Inanspruchnahme erfolgt ist. Dieser Ansatz hat seinen guten Grund auch darin, dass es der Gesellschaft oder dem sonst Geschädigten freisteht, sich zu entscheiden, ob das Organ in Anspruch genommen werden soll. Gerade die Gesellschaft wird bei einem sonst gut arbeitenden Geschäftsführer insbesondere bei kleineren Schäden keinen Haftungsvorwurf erheben. Die Anspruchserhebung ist nur eine Voraussetzung für die Gewährung des Versicherungsschutzes. Nach den AVB D&O Bedingungen wird stets auch ein Verstoß im versicherten Zeitraum benötigt, so dass das Claims-Made-Prinzip mit dem Verstoßprinzip kombiniert wird.[7] Nach A-5.5. AVB D&O ist vereinbart, dass sich im Fall der Stellung eines Insolvenzantrags über das Vermögen des Versicherungsnehmers oder einer Tochtergesellschaft der Versicherungsschutz für die versicherten Personen des betroffenen Unternehmens nur auf Haftpflichtansprüche infolge von Pflichtverletzungen erstreckt, die bis zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung begangen worden sind. Danach würde eine anschließende Geltendmachung wegen einer späteren Pflichtverletzung nicht mehr zu einem Versicherungsfall führen (siehe zu den Auswirkungen der Insolvenz die Ausführungen unten bei A-5.5. AVB D&O IV 2). Das Claims-Made-Prinzip bestimmt auch den zeitlichen Geltungsbereich des Versicherungsvertrags in dem Sinne, dass zum Zeitpunkt der Anspruchserhebung der Versicherungsvertrag mit materiellem Versicherungsschutz bestehen muss. Damit ist aber nicht entschieden, wann zeitlich die Ansprüche, die geltend gemacht werden müssen entstanden sind bzw. wann die ihnen zugrunde liegenden Pflichtverletzungen begangen sein müssen. Der Versicherer gewährt gem. Ziffer A-1 AVB D&O Versicherungsschutz für während der Ausübung der Tätigkeit begangene Pflichtverletzungen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen. Danach kommt es auf die während der Vertragsdauer aufgetretenen Pflichtverletzungen an, wie in ...

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