Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendbarkeit des Prüfungsmaßstabs der „groben Fehlerhaftigkeit” gem. § 125 Abs. 1 Nr. 2 Insolvenzordnung (InsO) im Falle des Vorliegens einer verbindlich vereinbarten Auswahlrichtlinie

 

Leitsatz (amtlich)

1. Haben Insolvenzverwalter und Betriebsrat eine verbindliche Auswahlrichtlinie (hier Punkteschema) gem. § 1 Abs. 4 KSchG i. V. m. § 95 BetrVG vereinbart, so ist der Prüfungsmaßstab der „groben Fehlerhaftigkeit” gemäß § 125 Abs. 1, Ziff. 2 InSO nicht anzuwenden, wenn ein Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin in einer Namensliste nach § 125 Abs. 1 InsO zwar aufgeführt ist, die Benennung dort aber nicht mit der Bewertung nach der Auswahlrichtlinie übereinstimmt.

2. Die Überprüfung der Sozialauswahl richtet sich dann nach § 1 Abs. 3 KSchG (Abgrenzung zu LAG Hamm vom 16.03.2000, 4 Sa 905/99 und zu BAG v. 17.01.2008, 2 AZR 405/06).

 

Normenkette

InsO § 125 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 4; BetrVG § 95; KSchG § 1 Abs. 3; InsO § 125 Abs. 1 Nr. 2

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Beklagten zu 1) vom 12.02.2010 nicht aufgelöst ist.

2. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Mitarbeiter/Elektriker weiter zu beschäftigen

3. Der Beklagte zu 1) trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 60%, die Beklagte zu 2) zu 40%.

4. Der Streitwert wird auf 23.200,00 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach Ausspruch einer Kündigung des Beklagten zu 1) und um die Pflicht der Beklagten zu 2) zur Weiterbeschäftigung des Klägers.

Der am 29.12.1978 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 01.09.2001 bei der Insolvenzschuldnerin (T5 P2 GmbH & Co. KG) in H1 beschäftigt. Er übt seine Tätigkeit bei der Insolvenzschuldnerin ausweislich eines Zwischenzeugnisses (Bl. 126 d.A.) vom 15.02.2010 als Elektriker im Bereich der Instandhaltung der Einhängebahn (EHB) aus und erzielt dort ein Bruttomonatseinkommen von zuletzt durchschnittlich 4.640,00 Euro.

Die Insolvenzschuldnerin ist ein Unternehmen der Automobilzulieferindustrie, in deren Werk in H1 ursprünglich 604 Arbeitnehmer beschäftigt waren. Ein Betriebsrat ist gewählt.

Durch Beschluss vom 02.12.2009 zum Aktenzeichen 100 IN 172/09 AG Hagen wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zu 1) zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Datum vom 10.02.2010 schlossen der Beklagte und der Betriebsrat sowohl einen Interessenausgleich als auch einen Sozialplan ab. Hintergrund dieser Vereinbarungen war ausweislich der Ziffer II.1 des Interessenausgleichs, dass der Beklagte zu 1) sich bereits im Rahmen des dem Insolvenzverfahren vorgeschalteten Insolvenzeröffnungsverfahrens bemüht hatte, einen Betriebserwerber zu finden. Ein solcher Erwerber – so der Interessenausgleich – sei allerdings nur bereit, das Werk in H1 zu übernehmen, wenn eine Kostensenkung u. a. in Form einer Personalreduzierung durchgeführt werde. So waren zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch 509 Arbeitnehmer bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigt; Gegenstand des Interessenausgleichs ist die beabsichtigte Entlassung von 48 Mitarbeitern.

Unter II.2. des Interessenausgleichs vereinbarten der Beklagte zu 1) und der Betriebsrat eine Liste mit Namen von Beschäftigten, die im Interessenausgleich ausdrücklich als „Namensliste im Sinne von § 125 InsO” bezeichnet ist. Unter der laufenden Nummer 23 dieser Namensliste befindet sich der Name des Klägers.

Darüber hinaus enthält der Interessenausgleich eine Vereinbarung über eine Auswahlrichtlinie folgenden Inhalts:

Die Parteien haben nachstehende Auswahlrichtlinie gem. § 1 Abs. 4 KSchG i. V. m. § 95 BetrVG vereinbart, nach der die sozialen Gesichtspunkte bei der Auswahl von Mitarbeitern zu den beabsichtigen Kündigungen zu werten sind:

Lebensalter

Für jedes vollendete Lebensjahr 1 Punkt

Maximal 55 Punkte

Betriebszugehörigkeit

Für jedes vollendete Jahr der Betriebszugehörigkeit 1 Punkt

Für jedes vollendete Jahr der Betriebszugehörigkeit ab

dem 11. Beschäftigungsjahr 2 Punkte

Maximal 70 Punkte

Unterhaltspflichten

Verheiratet 8 Punkte

Je Kind 4 Punkte

Schwerbehinderung

Schwerbehinderung im Sinne der §§ 85 ff. SGB IX bis zu einem Grad der Behinderung von GdB 50 oder Gleichstellung 5 Punkte

je 1 weiterer Punkt pro 10 GdB mehr

Als Stichtag für die Berechnung wurde der 01.02.2010 zugrunde gelegt.

Schließlich finden sich Regelungen über eine vorzunehmende Massenentlassungsanzeige. Wegen der Einzelheiten des Interessenausgleichs wird auf die zur Akte gereichte Fotokopie Blatt 40 bis 50 d. A. Bezug genommen.

Entsprechend dem vereinbarten Interessenausgleich ordnete der Beklagte zu 1) den Kläger der Vergleichsgruppe Nr. 49 „Maschinenführer KTL” zu. In dieser Vergleichsgruppe finden sich neben dem Kläger die Mitarbeiter V2, G2, S5, S6 und P5. Nach der im Interessenausgleich vereinbarten Auswahlrichtlinie erzielen der Mitarbeiter V2 51 Punkte, der Mitarbeiter G2 40 Punkte ...

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