Entscheidungsstichwort (Thema)

Weiterbeschäftigungsanspruch nach offensichtlich unwirksamer fristloser Kündigung wegen gewerkschaftlicher Betätigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach der Rechtsprechung des BAG besteht der vorläufige Weiterbeschäftigungsanspruch auch dann, wenn zwar noch kein erstinstanzliches Urteil betreffend die Kündigungsschutzklage ergangen ist, die Kündigung jedoch offensichtlich unwirksam ist.

2. Eine fristlose Kündigung wegen gewerkschaftlicher Betätigung ist in der Regel offensichtlich unwirksam.

3. Ein Verfügungsgrund für die Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs im Wege der einstweiligen Verfügung kann darin liegen, dass dem gekündigten Piloten bei längerem Nichteinsatz Nachschulungen, beaufsichtigte Flüge oder Flugsimulatortests zur Erhaltung seiner beruflichen Qualifikation obliegen.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3; BGB §§ 626, 612a

 

Tenor

I. Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, den Verfügungskläger nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom 14.12.2006, zuletzt ergänzt durch Zusatz zum Arbeitsvertrag vom 02.10.2009, als Copilot auf dem Flugzeugmuster Boeing 737 weiterzubeschäftigen.

II. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.750,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren um die Pflicht der Verfügungsbeklagten, den Verfügungskläger einstweilen weiter zu beschäftigen.

Der Verfügungskläger ist bei der Verfügungsbeklagten seit dem 15. Januar 2007 als Copilot – seit dem 1. November 2009 in Teilzeit – gegen ein monatliches Entgelt von 1.750,00 EUR brutto beschäftigt. Er ist Mitglied der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) und nach einem am 5. März 2010 von der VC veröffentlichten Ergebnis zu einem von 5 Mitgliedern der Tarifkommission bei der Verfügungsbeklagten gewählt worden (Ablichtung des Wahlergebnisses Bl. 20 d.A.).

Mit Schreiben vom 23. März 2010 (Ablichtung Bl. 21 d.A.) kündigte die Verfügungsbeklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2010. Auch allen anderen Mitgliedern der Tarifkommission und dem Ersatzmitglied wurde das Arbeitsverhältnis gekündigt. In einer Stellungnahme vom 30. März 2010 (Ablichtung Bl. 23 d.A.) erklärte die Verfügungsbeklagte u.a., dass „G. nicht zum Spielball politisch motivierter Interessen einer VC” werden solle und die „Forderungen der VC ausschließlich politisch motiviert” seien.

Die Kündigung greift der Verfügungskläger im Hauptsacheverfahren 29 Ca 5515/10 – bei Gericht eingegangen am 7. April 2010 – an.

Mit seinem am 31. März 2010 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt er seine Weiterbeschäftigung.

Er ist der Ansicht, die Kündigung sei ausschließlich wegen seiner gewerkschaftlichen Betätigung erfolgt und daher offensichtlich unwirksam. Wegen des Verfügungsgrundes beruft er sich auf Anhang III der Verordnung EG Nr. 1899/2006 (Ablichtung Bl. 67 ff. d.A.), wonach er auf den fortlaufenden Nachweis seiner Flugpraxis dringend angewiesen sei.

Der Verfügungskläger beantragt,

der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, ihn nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom 14.12.2006, zuletzt ergänzt durch Zusatz zum Arbeitsvertrag vom 02.10.2009, als Copilot auf dem Flugzeugmuster Boeing 737 weiterzubeschäftigen,

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie beruft sich zur Begründung der Kündigung darauf, dass sich die Geschäftsführung unter anderem durch die von Mitarbeitern geäußerte Arbeitsplatzangst unter Druck gesetzt fühle. Bei der VC handele es sich um eine Spartengewerkschaft, die lediglich Funktionseliten (nämlich die Piloten) vertrete. Als Negativbeispiel seien die aktuellen Ereignisse bei der L. zu erwähnen.

Ein Verfügungsgrund liege nicht vor. Die in der Antragsschrift genannte 90-Tages-Frist könne auf 120 Tage und darüber hinaus ausgedehnt werden. Bis 120 Tage des Nichteinsatzes sei zum Nachweis der Flugerfahrung nur ein Streckenflugeinsatz unter Aufsicht eines Lehrberechtigten erforderlich, bei einer Ausdehnung darüber hinaus ein Schulungsflug oder Simulatortest.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Antragsschrift nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die begehrte einstweilige Verfügung war zu erlassen, da die Voraussetzungen für den begehrten Beschäftigungsanspruch vorliegen.

1.

Außerhalb der Regelung der § 102 Abs 5 BetrVG, § 79 Abs 2 BPersVG hat der gekündigte Arbeitnehmer einen arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen.

Auß...

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