1 Leitsatz

Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage entfällt nur ganz ausnahmsweise. Dies ist der Fall, wenn ein Erfolg der Klage den Wohnungseigentümern oder der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer keinen Nutzen mehr bringen und Auswirkungen der Beschlussanfechtung auf Folgeprozesse der Eigentümer untereinander, gegen den Verwalter oder gegen Dritte sicher ausgeschlossen werden können.

2 Normenkette

§ 10 Abs. 6 Satz 3 WEG a. F.

3 Das Problem

Wohnungseigentümer K erhebt vor dem 1.12.2020 eine Anfechtungsklage gegen einen Beschluss, mit dem die Wohnungseigentümer ihre Mängelrechte gegen den Bauträger vergemeinschaftet haben. Das AG weist die Anfechtungsklage ab. Dagegen richtet sich die Berufung von Wohnungseigentümer K. Fraglich ist u. a., ob die Klage am 1.12.2020 unzulässig geworden ist.

4 Die Entscheidung

Das LG verneint die Frage! K fehle es nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis. Zwar sei § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG am 1.12.2020 gestrichen worden. Im Schrifttum werde daher die Auffassung vertreten, dass Vergemeinschaftungsbeschlüsse ihre Wirkung im Außenverhältnis verloren hätten (Hinweis auf Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 251). Dieser Ansatz erscheine allerdings "problematisch". Nach der Gesetzesbegründung lasse das WEMoG jedenfalls die Rechtsprechung zum Bauträgervertragsrecht unberührt. Dies werde damit begründet, dass diese Rechtsprechung nicht auf § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG a. F. beruht habe, sondern bereits zur Rechtslage vor der WEG-Novelle 2007 auf der Grundlage eines vertragsrechtlichen bzw. bauträgervertragsrechtlichen Ansatzes entwickelt worden sei.

Bei einer Anfechtungsklage sei das Rechtsschutzbedürfnis im Regelfall aber jedenfalls nicht zu prüfen, weil es dem Interesse der Gemeinschaft an einer ordnungsmäßigen Verwaltung diene. Es entfalle deshalb nur ausnahmsweise, wenn ein Erfolg der Klage den Wohnungseigentümern oder der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer keinen Nutzen mehr bringen könne und Auswirkungen der Anfechtung auf Folgeprozesse der Eigentümer untereinander, gegen den Verwalter oder gegen Dritte sicher ausgeschlossen werden könnten. Dies könne im Fall nicht angenommen werden. Bei Erfolg der Anfechtungsklage würde im Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander als Folge der materiellen Rechtskraft feststehen, dass der Beschluss nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen habe. Umgekehrt würde ein bestandskräftiger Beschluss in etwaigen Folgeprozessen den Einwand ausschließen, die Beschlussfassung habe nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen.

5 Hinweis

Problemüberblick

Im Fall haben die Wohnungseigentümer ihre Mängelrechte aus den Bauträgerverträgen durch einen Beschluss der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Ausführung zugewiesen ("Vergemeinschaftung"). Gegen diesen Beschluss wendet sich ein Wohnungseigentümer. Problematisch ist u. a., dass § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG a. F. zum 1.12.2020 entfallen ist: Was gilt für Beschlüsse, die auf ihm fußen?

Wirkungsverlust für eine Vergemeinschaftung?

Es ist streitig, was für Beschlüsse gilt, für die es seit dem 1.12.2020 keine Beschlusskompetenz mehr gibt. Nach den Gesetzesmaterialien können auf Beschlüsse, mit denen die Wohnungseigentümer Rechte und/oder Pflichten vergemeinschaftet und der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Ausführung/Ausübung nach § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG a. F. zugewiesen haben, keine weiteren Maßnahmen gestützt werden (BR-Drs. 168/20, 49; zweifelnd Häublein, ZWE 2020, S. 401 408; a. A. Bruns, AnwZert MietR 13/2020). Das LG sieht diesen Ansatz als "problematisch" an. Allerdings verweist es zu Recht auf das Bauträgerrecht. Da soll aber eigentlich alles beim "Alten" bleiben.

Anfechtungsklage und Rechtsschutzbedürfnis

Das LG positioniert sich insoweit nicht abschließend. Es meint, das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsklage gegen den Vergemeinschaftungsbeschluss sei "so oder so" nicht entfallen. Ich denke, mit diesem "Trick" kann man leben. Für die Klagebefugnis genügt grundsätzlich das Interesse eines Wohnungseigentümers, eine ordnungsmäßige Verwaltung zu erreichen. Das Rechtsschutzbedürfnis etwa eines anfechtenden Wohnungseigentümers ist grundsätzlich gegeben und während des Anfechtungsverfahrens in der Regel nicht zu prüfen.

6 Entscheidung

LG München I, Urteil v. 12.8.2021, 36 S 2639/20

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