Leitsatz

Steuerberatungskosten für Einsprüche gegen Einkommen- und Gewerbesteuerbescheide, die erforderlich sind, um die unzutreffende Annahme eines gewerblichen Grundstückshandels sowie unzutreffende Wertungen infolge Unkenntnis aktueller BFH-Rechtsprechung zu widerlegen, stellen einen im Rahmen der Amtshaftung ersatzfähigen Schaden dar.

 

Sachverhalt

1979 erwarb ein im Textileinzelhandel tätiger Steuerpflichtiger drei nebeneinander liegende, gewerblichen und Wohnzwecken dienende Gebäude. 1990 bis 1992 erfolgten umfangreiche Umbauten und Aufteilungen in Eigentumswohnungen. Zwei Wohnungen wurden in 1990, eine weitere in 1993, eine vierte im Juli 1995 veräußert. Letzteres wurde dem zuständigen Finanzamt erst im Dezember 1999 bekannt: Es erließ am 17.12.1999 zur Verhinderung des Verjährungseintritts nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO geänderte ESt-Bescheide für 1990 bis 1993 sowie erstmalig GewSt-Bescheide für 1991 bis 1993. Das am 23.10.1999 in der DStR (und am 18.7.2000 im BStBl) veröffentlichte Urteil des BFH vom 6.7.1999[1], wonach die Veräußerung eines vierten Objekts kein rückwirkendes Ereignis darstellt, war dem Sachbearbeiter des Finanzamts bei Erlass der Bescheide nicht bekannt. Auf den Einspruch wurden die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Der Steuerpflichtige macht die ihm durch das Einspruchsverfahren entstandenen Steuerberaterkosten gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG als Schadenersatz nach Amtshaftungsgrundsätzen geltend.

 

Entscheidung

Das OLG gab der Klage statt. Durch den Erlass der Steuerbescheide habe der Sachbearbeiter seine Amtspflicht fahrlässig verletzt.

Für 1990 bis 1992 sei die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen gewesen. Sie sei auch nicht durch § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO hinausgeschoben worden, weil der BFH den Verkauf eines vierten Objekts nicht als rückwirkendes Ereignis wertet. Auch eine Verlängerung der Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung bzw. leichtfertiger Steuerverkürzung komme nicht in Betracht.

Für 1993 sei die Festsetzungsfrist zwar noch nicht abgelaufen, die Bescheide seien aber rechtswidrig gewesen. Die Rechtswidrigkeit ergebe sich daraus, dass auch unter Berücksichtigung des vierten Objekts kein gewerblicher Grundstückshandel vorgelegen habe.

Fahrlässiges Verhalten liege vor, da die Voraussetzungen des gewerblichen Grundstückshandels in der Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt gewesen seien und der Sachbearbeiter wegen drohenden Fristablaufs ohne weitere Prüfung eine gewerbliche Tätigkeit angenommen habe.

Fahrlässigkeit wird auch wegen Organisationsmängeln innerhalb der Finanzverwaltung angenommen, weil dem Sachbearbeiter das am 23.10.1999 veröffentlichte BFH-Urteil noch nicht bekannt war. Entscheidungsbefugte Beamte müssten zeitnah über die Rechtsprechung unterrichtet werden; die Information der Sachgebietsleiter und Rechtsbehelfsstelle reiche nicht aus.

 

Praxishinweis

Das OLG versäumt es leider, sich mit einem zentralen Aspekt auseinander zu setzen: Den Einwand der Finanzverwaltung, das BFH-Urteil sei von dem Sachbearbeiter erst ab der Veröffentlichung im BStBl zu beachten gewesen, lässt das OLG nicht gelten. Aufgabe des BStBl ist es jedoch, die Mitarbeiter der Finanzverwaltung über die Anwendung der BFH-Rechtsprechung zu informieren; dies hat das Finanzamt jedoch wohl nicht deutlich genug vorgetragen. Nach Auffassung des OLG tritt dagegen eine Bindung der Finanzverwaltung an die Rechtsprechung des BFH mit der Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift ein. Damit wäre der bisherigen Praxis des BMF, die Nichtanwendung von Urteilen vorläufig durch Nichtveröffentlichung zu sichern, der Boden entzogen. Es erscheint daher zweifelhaft, ob die Entscheidung über den Einzelfall hinaus anwendbar ist.

 

Link zur Entscheidung

OLG Koblenz, Urteil vom 17.07.2002, 1 U 1588/01

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