Die Geheimnisse des RVG

"Die Sphinx ohne Geheimnis" ist der Titel einer Erzählung von Oscar Wilde, die sich in seiner Kurzgeschichtensammlung "Lord Arthur Saviles Verbrechen und andere Erzählungen" finden lässt.

Dort wird eine geheimnisvolle Frau vorgestellt, die sich letztendlich als eine solche ohne jegliche Geheimnisse entpuppt.

Wenn man so will, ergeht es offenbar vielen mit dem RVG genau umgekehrt:

Obwohl ein Gesetz, auch ein Gebührengesetz keine unlösbaren Rätsel aufgeben sollte, wie es der Sphinx zugeschrieben wird, scheint das RVG noch voller Geheimnisse zu stecken, die manchmal über Jahre hinweg der Aufklärung harren.

Die meisten Geheimnisse sind zwischenzeitlich – dank BGH und mancher Oberlandesgerichte – endgültig gelöst, aber das eine oder andere Rätsel beschäftigt immer noch Gerichte.

Und so ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass sich eine Berufungskammer des LG Nürnberg-Fürth an die Erhellung einer Grauzone gewagt hat, die das Verhältnis zwischen Ratsgebühr und Geschäftsgebühr betrifft, eine Grauzone, die im Übrigen ein beträchtliches Gefahrenpotential nicht nur in zivilrechtlicher Hinsicht mit sich bringt.

Nachdem sich der Gesetzgeber zum 1.7.2006 im außergerichtlichen Beratungsbereich von der gesetzlichen Gebühr verabschiedet hat, ist der anwaltliche Berater gezwungen, diese Tätigkeit über eine zuvor getroffene Gebührenvereinbarung abzurechnen, will er sich nicht in den undurchsichtigen Dschungel der Abrechnung nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts begeben.

Versucht er gleichwohl Ratstätigkeit im Nachhinein (mangels zuvor getroffener Gebührenvereinbarung) über eine tatsächlich nicht entstandene Geschäftsgebühr abzurechnen, so muss er nicht nur mit finanziellen Verlusten rechnen, sondern sieht sich möglicherweise sogar dem Vorwurf einer Gebührenüberhebung i.S.v. § 352 StGB ausgesetzt.[1]

So lässt sich nach der soeben zitierten Rspr. der Oberlandesgerichte in Nürnberg und Düsseldorf mit Aussicht auf Erfolg kaum noch die Ansicht vertreten, der Entwurf einer einseitigen Urkunde löse bereits eine Geschäftsgebühr aus.

Die genannten Gerichte haben in aller Deutlichkeit hervorgehoben, dass sich die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV anders darstellt als die Geschäftsgebühr nach § 118 BRAGO. Begründet wird dies damit, dass die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags definitiv etwas anderes sei als die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Schriftstückes, einer Erklärung oder einer anderen einseitigen Urkunde. Demgemäß ließe sich solch eine Tätigkeit auch nicht unter der Definition "Betreiben des Geschäfts" einreihen.

Zu dieser Betrachtung kann man stehen wie man will, sie entspricht jedenfalls derzeit obergerichtlicher Rspr. und wird wohl auch bei den Untergerichten Anhänger finden.

Umso wichtiger ist es, den Anwendungsbereich "Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags" als Auslöser für eine Geschäftsgebühr klar zu umschreiben. Hier ist die auch überzeugend begründete Entscheidung der Berufungskammer hilfreich:

In der Tat verlangt die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags – wie es die Formulierung "Mitwirkung" eigentlich schon verrät – nicht den eigenhändig oder überwiegend erarbeiteten Entwurf des Vertragstextes.

Vielmehr ist es ausreichend, dass ein bereits vorliegender Entwurf beurteilt, bewertet und mit Änderungswünschen versehen wird. Genau diese Voraussetzungen waren hier aber gegeben, da der Anwalt – im Übrigen offenbar völlig unstreitig – ganz konkrete Änderungsvorschläge unterbreitete, die auf die bis dahin nur vorläufige Vertragsgestaltung auch Einfluss nahmen.

Ob man hier sogar einen Schritt weiter gehen kann, indem man die Geschäftsgebühr auch dort zuspricht, wo der Anwalt zwar keinen Änderungsbedarf sieht, dem noch unsicheren Mandanten aber zum Abschluss des Vertrages rät, muss hingegen bezweifelt werden.

Wer wie die Oberlandesgerichte Düsseldorf und Nürnberg sich eng am Gesetzeswortlaut der Vorbem. 2.3 VV orientiert, wird es am Tatbestandsmerkmal "Gestaltung" scheitern lassen müssen.

Wer keinen Änderungsbedarf sieht und demgemäß nur zur Unterzeichnung des Entwurfes "rät", der wirkt zwar beim Abschluss des Vertrages mit, aber nicht bei dessen Gestaltung und wird sich demgemäß mit einer Ratsgebühr bescheiden müssen.

Und wer überhaupt kein Risiko eingehen will – und auch dies ist sicherlich eine Lehre des Beschlusses des LG Nürnberg-Fürth – trifft vor Übernahme des Mandats eine Gebührenvereinbarung, zumal man zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht weiß, ob Änderungsbedarf hinsichtlich des vorgelegten Entwurfes gegeben ist oder nicht.

Der Rechtsanwalt, der auch in eigener Sache den sichersten Weg geht, gibt weder einer Sphinx, noch dem RVG die Chance, mit Rätseln bedacht zu werden, deren Nichtauflösung zwar nicht zum Tode, wohl aber zu einer Umsatzschädigung führen kann.

Herbert P. Schons

AGS 7/2015, S. 320 - 321

[1] Vgl. hierzu Schons, in: Rehberg/Schons, RVG, 6. Aufl., S. 395 u. Hinw. a. OLG Nürnberg AnwBl 2010, 805 f.; Kahlenbach, AnwBl 2010, 788; OLG Düsseldorf AGS 2012, 454 ff. sowie BGH AGS 2007...

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