Weil nicht sein kann, was nicht sein darf

Seit am 1.7.2004 das RVG die "gute alte BRAGO" abgelöst hat, erfreut sich die "nunmehr" in Nr. 2300 VV vorzufindende Geschäftsgebühr einer ganz besonderen richterlichen Aufmerksamkeit. Dies hängt in den meisten Fällen damit zusammen, dass die neuen Anrechnungsregelungen dazu führen, dass sich die Geschäftsgebühr – nicht wie zu BRAGO-Zeiten – "in Luft auflöst", wenn die anwaltliche Tätigkeit in einem Gerichtsverfahren fortgesetzt wird. Es bleibt dann stets eine Art Kollateralschaden beim Mandanten, der dem Betrag entspricht, der dem Rechtsanwalt trotz Anrechnung verbleibt. Da zumindest deutschen Mandanten nichts unvorstellbarer erscheint, als ihren eigenen Rechtsanwalt mit eigenem Geld zu entlohnen, fiel sofort das Augenmerk auf die Kostenerstattungsproblematik.

Soweit in einem "Aktivverfahren" der Anspruchsteller mit anwaltlicher Hilfe vorgegangen war, konnte er den oben geschilderten Kollateralschaden – jedenfalls in den meisten Fällen – problemlos als Verzugsschaden geltend machen und neben einer Hauptforderung titulieren lassen.

In den Einführungsseminaren zum RVG wurde dann auch gefragt, wie es denn beim Anspruchsgegner aussehe und ob man anwaltliche Abwehrmaßnahmen, die ein vorgerichtliches Honorar ausgelöst hätten, im Wege der Widerklage geltend machen könne.

Die richtige Antwort war dann stets natürlich nicht im RVG zu finden, sondern im BGB und üblicherweise fehlte es dort für den Anspruchsgegner an einer Anspruchsgrundlage.[2]

Begründet wurde die fehlende Erstattbarkeit der Geschäftsgebühr auf Anspruchsgegnerseite meistens damit, dass es einen generellen Kostenerstattungsanspruch gegen den, der sich unberechtigt eines Rechts berühmt, nicht gebe, weil die Konfrontation mit solchen Ansprüchen zum allgemeinen Lebensrisiko zähle, "soweit nicht die Voraussetzungen spezieller Haftungsnormen vorliegen…" (vgl. die Ausführungen in dem oben abgedruckten Urteil des OLG Koblenz).

Von diesem Grundsatz machte der BGH schon in seiner älteren Rspr. allerdings Ausnahmen und fand die Grundlage für die Kostenerstattungsansprüche in vertraglichen, vertragsähnlichen oder deliktischen Ansprüchen oder auch in Ansprüchen aus Geschäftsführung ohne Auftrag.

Mit der Entscheidung vom 5.6.2014 hat der 9. Zivilsenat des BGH diese Rspr. aktualisiert, verfestigt und auf das Verhältnis zwischen Rechtsanwälten und Mandanten ausgebaut, wobei er dankenswerterweise – über den Weg der Widerklage oder besser der Hilfswiderklage – auch den Weg wies, wie solche Kostenerstattungsansprüche in das Verfahren eingeführt werden können.[3]

Das OLG Koblenz hatte in der ursprünglichen Entscheidung von dieser aktuellen Tendenz in der höchstrichterlichen Rspr. nicht Kenntnis genommen oder nicht Kenntnis nehmen wollen und hielt den Kostenerstattungsanspruch nicht für gegeben.

Hier mag – durchaus nachvollziehbar – die extreme Höhe der anwaltlichen Gebührenforderung ebenso eine Rolle gespielt haben wie die auch jetzt zu Tage tretende Auffassung, dass dem Aufforderungsschreiben des Anspruchsstellers jegliche Substanz und Ernsthaftigkeit – nach Auffassung des Senats – ersichtlich gefehlt habe.

In der jetzigen Entscheidung geht der Senat einen anderen Weg, der möglicherweise in dem hier zu beurteilenden Einzelfall zu einem erträglichen Ergebnis führt, der juristisch aber vermintes Gelände bedeutet.

Nachdem sich der Senat – naturgemäß – den Feststellungen des Revisionsgerichts verbunden fühlt, schließt er sich "nach erneuter Prüfung" aber auch der Auffassung des BGH inhaltlich an und hält nicht mehr an der ursprünglichen Auffassung fest, wonach es dem dortigen Kläger zumutbar gewesen sei, den vermeintlichen Anspruch ohne anwaltliche Hilfe abzuwehren (Zurechnungszusammenhang; § 254 BGB).

Konsequenterweise führt dies nach geltendem Gebührenrecht aber dazu, dass für eine – nun sagen wir mal: überschaubare – anwaltliche Tätigkeit ein Gebührenanspruch in Höhe von 72.161,36 EUR wieder im Raum stand, der absolut korrekt nach dem Gegenstandswert des Aufforderungsschreibens errechnet worden war.

Solche Sternstunden oder auch Glücksstunden kommen in vielen Rechtsanwaltskanzleien nur höchst selten vor und werden dann – vorschnell, wie man hier sieht – als eher rares Beispiel für die Funktionsfähigkeit der sog. Quersubventionierung gefeiert.

Diese Quersubventionierung soll es übrigens – daran hält der Gesetzgeber unverdrossen fest – dem Rechtsanwalt ermöglichen, auch Mandate mit kleinen Gegenstandswerten arbeitsaufwändig zu bearbeiten, weil er wegen der strengen gegenstandswertorientierten Abrechnung bei hohen Streitwerten auch extrem hohe Gebühren selbst dann erwarten kann, wenn dies durch Arbeitsaufwand oder die Schwierigkeit des Falles eigentlich nicht gerechtfertigt erscheinen würde.

Diesen Gedanken der Quersubventionierung hat der Senat völlig unberücksichtigt gelassen und meinte ganz offensichtlich, ein wirtschaftlich unerträgliches, von dem Gesetzgeber aber nun einmal verursachtes Ergebnis nicht hinnehmen zu können.

Freilich wäre es sc...

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