Leitsatz

Wartezeiten eines beigeordneten Rechtsanwalts vor einem Termin zur mündlichen Verhandlung, die die in der Ladung mitgeteilte Uhrzeit um mehr als 15 Minuten überschreiten und die allein der Sphäre des Gerichts zuzurechnen sind, können sich bei der Bewertung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit gebührenerhöhend auswirken.

LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 22.11.2016 – L 5 SF 91/15 B E

1 Sachverhalt

Streitig ist die Höhe einer anwaltlichen Vergütung.

Der Beschwerdeführer war der Klägerin in einem Verfahren vor dem SG im Wege der Prozesskostenhilfe als Prozessbevollmächtigter beigeordnet worden. Streitgegenstand des Verfahrens war die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Ladungsverfügung wurde Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme auf den 6.6.2013, 11.15 Uhr, anberaumt. Laut Sitzungsniederschrift wurde die Sache erst um 12.46 Uhr aufgerufen und die mündliche Verhandlung um 13.25 Uhr geschlossen. Das Verfahren endete durch Rücknahme der Klage nach erfolgter Beweisaufnahme, bei der zwei medizinische Sachverständige und ein berufskundiger Sachverständiger vernommen wurden.

In seiner Kostenrechnung hat der Beschwerdeführer die Festsetzung von 794,33 EUR abzüglich des bereits gezahlten Vorschusses i.H.v. 321,30 EUR beantragt, und zwar

 
Praxis-Beispiel
 
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV 250,00 EUR
Terminsgebühr Nr. 3106 VV 380,00 EUR
Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV 20,00 EUR
Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV 17,50 EUR
Umsatzsteuer Nr. 7008 VV 126,83 EUR
Zwischensumme 794,33 EUR
abzüglich Vorschusszahlung 321,30 EUR
zu zahlender Betrag 473,03 EUR

Die Höhe der von ihm beantragten Terminsgebühr hat er unter Bezugnahme auf den Beschl. d. SG Schleswig v. 1.3.2012 – S 4 SF 71/09 E, mit der Länge der von ihm unverschuldeten Wartezeit bis zum Aufruf der Sache begründet.

Mit Festsetzungsbeschluss hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den beantragten Betrag um 214,20 EUR reduziert, und zwar

 
Praxis-Beispiel
 
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV 250,00 EUR
Terminsgebühr Nr. 3106 VV 200,00 EUR
Auslagenpauschale Nrn. 7001, 7002 VV 20,00 EUR
Schreibauslagen Nr. 7000 VV 17,50 EUR
Umsatzsteuer Nr. 7008 VV 92,63 EUR
Gesamtbetrag 580,13 EUR
abzüglich PKH-Vorschuss vom 27.12.2012 321,30 EUR
zu zahlender Betrag 258,83 EUR

Zur Begründung hat sie ausgeführt, hinsichtlich der geltend gemachten Terminsgebühr sei die Gebührenbestimmung des Beschwerdeführers als überhöht anzusehen. Die Terminsgebühr decke nach Vorbem. 3 Abs. 3 VV nur die Vertretung in einem Termin ab. Wartezeiten zählten nicht dazu. Der gegenteiligen Rechtsauffassung des SG Schleswig im Beschl. v. 1.3.2012 könne nicht gefolgt werden. Bei einer Terminsdauer von 30 bis 70 Minuten sei der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit durchschnittlich (Beschl. d. SG Kiel v. 13.9.2011 – S 21 SF 133/11 E). Hier sei die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zwar als überdurchschnittlich zu bewerten, weil eine Beweisaufnahme mit mehreren Sachverständigen stattgefunden habe. Auch die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin sei überdurchschnittlich gewesen. Demgegenüber seien die Einkommens- und Vermögensverhältnisse beim Bezug von ALG II jedoch deutlich unterdurchschnittlich, so dass es sich insgesamt um einen durchschnittlichen Termin handele, für den die Mittelgebühr festzusetzen sei.

Gegen diesen Beschluss richtete sich die Erinnerung des Beschwerdeführers, mit der er weiterhin geltend machte, bei der Bestimmung der Terminsgebühr seien Wartezeiten in voller Dauer zu berücksichtigen. Die Wartezeit habe vorliegend 1½ Stunden betragen. Es sei ihm nicht möglich gewesen, in dieser Zeit andere seine Kanzlei betreffende Tätigkeiten zu erledigen.

Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

Der Kostenprüfungsbeamte bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht hat sich den Ausführungen der Urkundsbeamtin angeschlossen und sich ergänzend auf den Beschl. d. SG Berlin v. 2.8.2012 – S 180 SF 10908/11 E, gestützt.

Das SG hat mit Beschl. v. 10.3.2015 die Erinnerung des Beschwerdeführers gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des SG zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Wartezeit vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung sei bei der Bemessung der Terminsgebühr nicht zu berücksichtigen. Ein Verhandlungstermin beginne nach Aufruf der Sache (§ 112 Abs. 1 SGG) und ende mit der Erklärung der Schließung (§ 121 SGG). Nach dem Wortlaut der Vorbem. 3 Abs. 3 VV entstehe die Terminsgebühr für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin. Dem Wort "in" sei eindeutig zu entnehmen, dass die anwaltliche Vertretung außerhalb des Termins nicht zur berücksichtigungsfähigen Leistungslegende der Nr. 3106 VV zähle. Der Argumentation des SG Schleswig im Beschl. v. 1.3.2012 – S 4 SF 71/09 E, könne nicht gefolgt werden. Sie verlasse die tatbestandlichen Vorgaben des § 14 RVG. Auch werde die Höhe der Gebühr nicht entscheidend von der Dauer des Termins abhängig gemacht. Diese schlage sich nur in der Bewertung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkei...

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