Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Terminsgebühr. Berücksichtigung von Wartezeiten bei Bewertung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Wartezeiten eines beigeordneten Rechtsanwalts vor einem Termin zur mündlichen Verhandlung, die die in der Ladung mitgeteilte Uhrzeit um mehr als 15 Minuten überschreiten und die allein der Sphäre des Gerichts zuzurechnen sind, können sich bei der Bewertung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit gebührenerhöhend auswirken.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 10. März 2015 geändert.

Die dem Beschwerdeführer noch zu zahlende Vergütung für seine Tätigkeit im Verfahren S 8 R 437/10 wird auf 338,16 EUR festgesetzt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gebührenfrei.

Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Höhe einer anwaltlichen Vergütung.

Der Beschwerdeführer war der Klägerin in dem Verfahren S 8 R 437/10 vor dem Sozialgericht Kiel im Wege der Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom 12. Dezember 2012 als Prozessbevollmächtigter beigeordnet worden. Streitgegenstand des Verfahrens war die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Ladungsverfügung vom 11. Februar 2013 wurde Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme auf den 6. Juni 2013, 11.15 Uhr, anberaumt. Laut Sitzungsniederschrift wurde die Sache erst um 12.46 Uhr aufgerufen und die mündliche Verhandlung um 13.25 Uhr geschlossen. Das Verfahren endete durch Rücknahme der Klage nach erfolgter Beweisaufnahme, bei der zwei medizinische Sachverständige und ein berufskundiger Sachverständiger vernommen wurden.

In seiner Kostenrechnung vom 18. Juni 2013 hat der Beschwerdeführer die Festsetzung von 794,33 EUR abzüglich des bereits gezahlten Vorschusses in Höhe von 321,30 EUR beantragt, und zwar

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG

250,00 EUR

Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG

380,00 EUR

Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV-RVG

 20,00 EUR

Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV-RVG

17,50 EUR

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG

 126,83 EUR

Zwischensumme

794,33 EUR

abzüglich Vorschusszahlung

321,30 EUR

zu zahlender Betrag

473,03 EUR

Die Höhe der von ihm beantragten Terminsgebühr hat er unter Bezugnahme auf den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 1. März 2012 - S 4 SF 71/09 E - mit der Länge der von ihm unverschuldeten Wartezeit bis zum Aufruf der Sache begründet.

Mit Festsetzungsbeschluss vom 22. August 2013 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den beantragten Betrag um 214,20 EUR reduziert, und zwar

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG

250,00 EUR

Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG

200,00 EUR

Auslagenpauschale Nr. 7001, 7002 VV-RVG

 20,00 EUR

Schreibauslagen Nr. 7000 VV-RVG

 17,50 EUR

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG

 92,63 EUR

Gesamtbetrag

580,13 EUR

abzüglich PKH-Vorschuss vom 27. Dezember 2012

 321,30 EUR

zu zahlender Betrag

258,83 EUR.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, hinsichtlich der geltend gemachten Terminsgebühr sei die Gebührenbestimmung des Beschwerdeführers als überhöht anzusehen. Die Terminsgebühr decke nach der amtlichen Vorbemerkung Nr. 3 Abs. 3 zu Teil 3 Vergütungsverzeichnis nur die Vertretung in einem Termin ab. Wartezeiten zählten nicht dazu. Der gegenteiligen Rechtsauffassung des Sozialgerichts Schleswig im Beschluss vom 1. März 2012 könne nicht gefolgt werden. Bei einer Terminsdauer von 30 bis 70 Minuten sei der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit durchschnittlich (Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 13. September 2011 - S 21 SF 133/11 E). Hier sei die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zwar als überdurchschnittlich zu bewerten, weil eine Beweisaufnahme mit mehreren Sachverständigen stattgefunden habe. Auch die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin sei überdurchschnittlich gewesen. Demgegenüber seien die Einkommens- und Vermögensverhältnisse beim Bezug von Alg II jedoch deutlich unterdurchschnittlich, so dass es sich insgesamt um einen durchschnittlichen Termin handele, für den die Mittelgebühr festzusetzen sei.

Gegen diesen Beschluss richtete sich die Erinnerung des Beschwerdeführers, mit der er weiterhin geltend machte, bei der Bestimmung der Terminsgebühr seien Wartezeiten in voller Dauer zu berücksichtigen. Die Wartezeit habe vorliegend 1 ½ Stunden betragen. Es sei ihm nicht möglich gewesen, in dieser Zeit andere seine Kanzlei betreffende Tätigkeiten zu erledigen.

Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

Der Kostenprüfungsbeamte bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht hat sich den Ausführungen der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Sozialgerichts angeschlossen und sich ergänzend auf den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. August 2012 - S 180 SF 10908/11 E - gestützt.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 10. März 2015 die Erinnerung des Beschwerdeführers gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Kiel vom 10. Juli 2013 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Wartezeit vo...

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