Der BGH hat eine Entscheidung am 26.9.2013 (in diesem Heft Seite 111) zum anwaltlichen Berufs- und Vergütungsrecht verkündet, deren Tragweite unermesslich ist und deren Auswirkungen der BGH offenbar auch nicht erkannt hat.

Was war geschehen?

Der Anwalt hatte ein Rechtsmittelmandat angenommen und das Rechtsmittel einlegt. Danach will er festgestellt haben, dass dieses offensichtlich aussichtslos sei und hat sich geweigert, das Rechtsmittel zu begründen. Aussichtslose Sachen vertrete er nicht! Der Mandant hatte daraufhin das Mandat gekündigt und einen anderen Anwalt beauftragt. Ungeachtet dessen bestand der erste Anwalt auf seinem vollen Vergütungsanspruch.

Der BGH war der Auffassung, der Anwalt habe sich berechtigterweise weigern dürfen, die Berufung durchzuführen, sodass ihm sein bisheriger Vergütungsanspruch (1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV) nebst Auslagen erhalten bleibe.

Soll das richtig sein?

Der Anwaltsvertrag ist ein Dienstvertrag mit Geschäftsbesorgungscharakter, sodass insoweit § 611 Abs. 1 BGB gilt: Der Auftraggeber ist "zur Leistung der versprochenen Dienste" verpflichtet.

Insoweit bin ich bislang davon ausgegangen, dass auch hier der Grundsatz gilt: "Wer die Musik zahlt, bestimmt, was gespielt wird." Der BGH sieht dies offenbar anders.

Damit stellt sich dann aber für die Praxis die Frage, wer bestimmt, ob ein Rechtsmittel offensichtlich aussichtslos ist. Darf dies allein der Anwalt festlegen, der das Mandat übernommen hat und möglicherweise eine für ihn lästige Berufung loswerden will? Immerhin hat er seine volle Gebühr ja schon mit Einreichung des Rechtsmittels verdient. Jede weitere Begründung kostet ihn nur Zeit und Arbeit, die nicht gesondert vergütet wird.

Soll darauf abgestellt werden, wie das Rechtsmittelgericht nachher entscheidet, wenn der Mandant einen anderen Anwalt mit der Durchführung des Rechtsmittels beauftragt? Die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts kann ja ebenso falsch sein. Sie bietet keine Gewähr für Richtigkeit.

Was ist, wenn der Mandant das Rechtsmittel nicht durchführt, weil er den zweiten Anwalt nicht mehr bezahlen kann und will? Wer entscheidet dann hypothetisch, wie das Rechtsmittelverfahren ausgegangen wäre?

Hat ein Mandant nicht auch das Recht, aussichtslose Rechtsmittel durchzuführen? Die Gründe hierfür können zuweilen in der Uneinsichtigkeit des Mandanten liegen. Es kann aber auch andere nachvollziehbare Gründe dafür geben. So hindert ein Rechtsmittel die Rechtskraft der Entscheidung, was sich wieder auf andere rechtlich und tatsächlich relevanten Umstände auswirken kann.

Ein erfolgloses Rechtsmittel kann auch aus rein taktischen Erwägungen geführt werden.

Die Erfahrung zeigt darüber hinaus, dass auch bei aussichtslosen Rechtsmitteln gegebenenfalls noch ein den Rechtsmittelführer besser stellender Vergleich zu erzielen ist.

Gegebenenfalls müssen sogar scheinbar aussichtslose Rechtsmittel durchgeführt werden, um den Rechtsweg zu erschöpfen, etwa zur Vorbereitung einer Verfassungsbeschwerde.

Soll die Entscheidung, ob ein Rechtsmittel begründet wird, tatsächlich ausschließlich dem Anwalt überlassen sein?

In Konsequenz der Entscheidung müsste man das Recht eines Anwalts bei Aussichtslosigkeit, nicht weiterzuarbeiten, auch auf andere, vom Mandat erfasste, anwaltlichen Tätigkeiten übertragen.

So müsste nach Auffassung des BGH ein Anwalt auch das Recht haben, eine Terminsteilnahme abzulehnen, wenn sich zwischenzeitlich die Aussichtslosigkeit des Verfahrens ergeben hat.

Beispiel: Der Anwalt reicht für seinen Mandanten eine schlüssig begründete Klage ein. Der Gegner erwidert erheblich. Dieses Vorbringen kann nicht bestritten werden, sodass die Klage keine Aussicht auf Erfolg mehr bietet. Nach Auffassung des BGH dürfte der Anwalt jetzt das Mandat niederlegen und müsste zum Verhandlungstermin nicht mehr erscheinen.

Aus den Entscheidungsgründen des BGH lässt sich leider nicht entnehmen, warum der Anwalt das Mandat bei Aussichtlosigkeit überhaupt angenommen und das Rechtsmittel eingelegt hat, wenn er doch aussichtslose Fälle gar nicht vertritt.

Autor: Norbert Schneider

Norbert Schneider

AGS 3/2014, S. II

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