Die Entscheidung des OLG Celle ist unzutreffend.

Zutreffend ist, dass sich die auf Erhöhung des Schmerzensgeldes gerichtete Berufung der einen Partei und die auf Herabsetzung des Schmerzensgeldes gerichtete Berufung der anderen Parteien dergestalt wechselseitig ausschließen, dass nur einer Berufung stattgegeben werden kann, nicht aber beiden Berufungen.

Der wechselseitige Ausschluss, also dass die Stattgabe des einen Antrags zwingend die Abgabe des Gegenantrags zur Folge hat und umgekehrt, genügt aber nicht zur Annahme desselben Streitgegenstands.

Hinzu kommen muss vielmehr auch eine wirtschaftliche Identität. Mit der Berufung geht es um die restliche Teilforderung auf weiteres Schmerzensgeld. Mit der gegnerischen Berufung geht es um die Abweisung der zugesprochenen Teilforderung des gesamten geltend gemachten Betrages. Wirtschaftlich betrachtet streiten die Parteien damit um die volle Summe.

An sich hat sich in der Rspr. auch bereits durchgesetzt, dass die bloße Identitätsformel kein geeignetes Abgrenzungskriterium für denselben Gegenstand oder verschiedene Gegenstände ist, sondern dass hier auch eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten ist. Dies hat man insbesondere bei wechselseitigen Zugewinnausgleichsansprüchen erkannt, die sich gegenseitig ausschließen, da nur einer der Eheleute Zugewinn erhalten kann, nicht aber beide. Gleichwohl wird hier addiert, weil jeder Zugewinnanspruch seinen eigenen wirtschaftlichen Wert hat.[1]

Anders ausgedrückt: Wird ein teilweise zugesprochenes Schmerzensgeld von beiden Seiten angegriffen, dann ist nach wie vor das gesamte Schmerzensgeld im Streit, so dass der gesamte Werte anzusetzen ist.

Mit derselben Logik des OLG Celle müsste man auch schon erstinstanzlich Schadenersatzklagen und Schadenersatzwiderklagen im Verkehrsunfallprozess als denselben Gegenstand betrachten:

 

Beispiel

Der Kläger verlangt aus seinem Verkehrsunfall Ersatz seines Sachschadens in voller Höhe von 8.000,00 EUR. Der Beklagte ist der Auffassung, der Kläger sei allein schuld, und verlangt ausgehend von einer 100%igen Haftung des Klägers seinerseits 10.000,00 EUR Schadensersatz.

Hier ist es – soweit ersichtlich – einhellige Rechtsprechung, dass der Streitwert des Verfahrens auf 18.000,00 EUR festzusetzen ist, obwohl das Gericht nicht beiden Anträgen zusprechen kann. Soweit es die Haftung des einen bejaht, muss es die des anderen verneinen. Im Beispiel könnten also maximal 10.000,00 EUR ausgeurteilt werden. Dies spielt aber für den Wert keine Rolle, weil die Parteien sich wirtschaftlich um beide Ansprüche streiten.

Norbert Schneider

AGS 3/2014, S. 128 - 129

[1] OLG Stuttgart AGS 2007, 47 = FamRZ 2006, 1055; OLG Karlsruhe NJW 1976, 3247; OLG Bamberg FamRZ 1995, 492; OLG München FamRZ 1997, 41; OLG Köln FamRZ 1997, 41; OLG Köln FamRZ 2001, 1386 = MDR 2001, 941; OLGR 2001, 9; OLG Hamburg AGS 2000, 230 = OLGR 2000, 306; Schneider/Herget, Rn 6384.

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