Dies setzt sich fort bei der Bewertung der Verfahrensgebühr: Geltend gemacht waren 300,00 EUR, die Mittelgebühr betrug 250,00 EUR, s.o. Kaum setzt sich das LSG mit dem in der Rspr. u. Lit. dem Anwalt zugesprochenen Ermessensspielraum auseinander, der nach allgemeiner Auffassung 20 % beträgt,[4] teilweise sogar mit 30 % angesetzt wird.[5] "Hält sich der Anwalt innerhalb dieser Grenze, ist die von ihm festgelegte Gebühr jedenfalls nicht i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG unbillig und daher von dem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen."[6] Die Erhöhung ist laut BGH sogar einer gerichtlichen Überprüfung entzogen.[7]

Dies alles übersieht das LSG und verweist lediglich auf eine Uraltentscheidung des BSG zur BRAGO aus dem Jahre 1992 und eigene Entscheidungen aus den letzten Jahren, ohne sich im Geringsten mit der Rspr. zum RVG auseinanderzusetzen. Der Ermessensspielraum wird dem Rechtsanwalt gerade deshalb zugestanden, weil nur er genau das von ihm bearbeitete Mandat kennt. Die Argumentation des Senats, der Ermessensspielraum sei nur dann anzuwenden, wenn mit der vorrangigen Mittelgebühr-Methode kein fester Betrag ermittelt werden könne, andernfalls führe der Toleranzrahmen de facto in jedem Durchschnittsfall zur grundsätzlichen Erhöhung der angemessenen Mittelgebühr, widerspricht einhelliger Rspr. Das ist ein Zirkelschluss oder der Ruf in eine Echokammer.

Wird regelmäßig der Ermessensspielraum von 20 % ausgenutzt, dann findet keine Ermessensausübung statt und die Vergütung kann gekürzt werden; diese Frage prüft der Senat aber gar nicht, sondern arbeitet mit Leerformeln nach dem Motto "Wehret den Anfängen". Tatsächlich wurde hier vom Anwalt eine Begründung für die Überschreitung der Mittelgebühr angegeben: das Haftungsrisiko angesichts des im Termin abgeschlossenen Vergleichs.

Der Senat kennt die Rspr. der Zivilgerichte zur Haftung des Anwalts auch für einen in Anwesenheit des Mandanten abgeschlossenen Vergleichs nicht, anders sind seine Ausführungen, eine Haftungsrisiko bestehe wegen der Anwesenheit des Mandanten nicht, nicht zu erklären.[8]

[4] BGH AGS 2011, 120; BGH AGS 2012, 220. s. i.Ü. die Aufzählung bei AnwK-RVG/Onderka/N. Schneider, § 14 Fn 165, 166.
[5] LG Potsdam AGS 2009, 590; AG Limburg AGS 2009, 161.
[8] BGH NJW 1993, 1325; BGH NJW 2000, 1944; BGH NJW 2016, 3430; OLG Frankfurt NJW 1988, 3269; OLG Saarbrücken VersR 2002, 1378; s.a. Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts, 9. Aufl., 2017, Rn 2248 ff.

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