Die Entscheidung ist im Ergebnis zutreffend. Sie verkennt aber schon die Ausgangslage.
Auch in Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren ist gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV eine zuvor angefallene Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV hälftig anzurechnen. Hier wird allerdings von der überwiegenden Rspr.[1] und der Kommentarliteratur[2] – häufig ohne nähere Begründung – nicht genügend differenziert. Nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV ist die Geschäftsgebühr auf ein nachfolgendes Verfahren anzurechnen, das "denselben Gegenstand" betrifft. Daran fehlt es, wenn der Anwalt außergerichtlich hinsichtlich der Hauptsache tätig war (etwa im Falle der Abmahnung), während das einstweilige Verfügungsverfahren eine vorläufige Regelung zum Inhalt hat. Es liegen dann verschiedene Gegenstände vor,[3] so dass eine Anrechnung zu unterbleiben hat.[4]
Eine vorangegangene Geschäftsgebühr kann hier nur dann angerechnet werden, wenn sie aus dem Gegenstand des Verfügungsverfahrens angefallen ist, wenn der Anwalt also außergerichtlich auch hinsichtlich einer vorläufigen Regelung tätig war. Dann entsteht aus diesem Gegenstand eine (weitere) Geschäftsgebühr, die dann auf die Verfahrensgebühr des einstweiligen Verfügungsverfahrens anzurechnen ist.[5]
A hat ein Grundstück, das nur über einen Weg auf dem Grundstück des B zu erreichen ist. B sperrt sein Grundstück eigenmächtig ab, so dass A sein Grundstück nicht mehr erreichen kann. A beauftragt seinen Anwalt zunächst außergerichtlich, den ungehinderten Zugang auf Dauer zu verlangen und darüber hinaus bis zur endgültigen Klärung der Sache ihm vorläufig und in bestimmtem Umfang den Zugang zu gewähren. Da B auf beides nicht reagiert, beantragt der Anwalt auftragsgemäß den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der B aufgegeben werden soll, den Zugang in bestimmtem Umfang vorläufig zu ermöglichen. Gleichzeitig wird auch Klage zur Hauptsache auf dauerhaften Zugang erhoben.
Außergerichtlich ist der Anwalt sowohl hinsichtlich der Hauptsache als auch einer vorläufigen Regelung tätig geworden. Er erhält daher die Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV) zweimal, einmal aus dem Wert der Hauptsache und einmal aus dem Wert der Eilsache.
Die Geschäftsgebühr aus dem Gegenstand der vorläufigen Regelung ist gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen auf die Verfahrensgebühr des einstweiligen Verfügungsverfahrens. Die Geschäftsgebühr betreffend die endgültige Regelung ist anzurechnen auf die Verfahrensgebühr des Hauptsacheverfahrens.
Ausgehend von einem Wert der Hauptsache in Höhe von 10.000,00 EUR und hinsichtlich der einstweiligen Verfügung von 5.000,00 EUR ergibt sich bei Annahme einer Mittelgebühr folgende Berechnung:
I. Außergerichtliche Vertretung, vorläufige Regelung (Wert: 5.000,00 EUR)
1. | 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV | 454,50 EUR | |
2. | Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 474,50 EUR | ||
3. | 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV | 90,16 EUR | |
Gesamt | 564,66 EUR |
II. Einstweiliges Verfügungsverfahren (Wert: 5.000,00 EUR)
1. | 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV | 393,90 EUR | |
2. | gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, 0,75 aus 5.000,00 EUR | – 227,25 EUR | |
3. | 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV | 363,60 EUR | |
4. | Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 550,25 EUR | ||
5. | 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV | 104,55 EUR | |
Gesamt | 654,80 EUR |
III. Außergerichtliche Vertretung Hauptsache (Wert: 10.000,00 EUR)
1. | 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV | 837,00 EUR | |
2. | Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 857,00 EUR | ||
3. | 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV | 162,83 EUR | |
Gesamt | 1.019,83 EUR |
IV. Hauptsacheklage (Wert: 10.000,00 EUR)
1. | 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV | 725,40 EUR | |
2. | gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, 0,75 aus 10.000,00 EUR | – 418,50 EUR | |
3. | 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV | 669,60 EUR | |
4. | Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 996,50 EUR | ||
5. | 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV | 189,34 EUR | |
Gesamt | 1.185,84 EUR |
Norbert Schneider
AGS 12/2016, S. 564 - 566
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