Die Verpflichtung des Anwalts, eine Streitwertbeschwerde einzulegen, zumindest darüber zu belehren, war bereits mehrfach Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen.

So hat das OLG Hamm (Urt. v. 31.3.2011 – 28 U 63/10, AGS 2012, 439 = BRAK-Mitt 2011, 196 = Info M 2011, 449 = RVGreport 2011, 478 = IBR 2012, 51) einen Anwalt zu Schadensersatz verurteilt, weil er eine gebotene Beschwerde zur Herabsetzung des Streitwerts nicht eingelegt und die Mandantschaft auch über die Möglichkeit der Beschwerde nicht beraten hat. Das OLG Hamm hat im Regressprozess festgestellt, dass der im Ausgangsverfahren festgesetzte Streitwert zu hoch bemessen war – das Gericht hatte das Additionsverbot des § 45 Abs. 1 S. 3 GKG übersehen und die Werte von Klage und Widerklage zusammengerechnet, obwohl derselbe Gegenstand gegeben war. Das Gericht hatte nicht nur den Vergütungsanspruch des Klägers auf die Gebühren nach dem zutreffenden Wert gekürzt, sondern ihn zu einem Schadensersatz in Höhe von insgesamt 82.783,50 EUR verurteilt, der dem Mandanten in erster und in den beiden folgenden Instanzen durch zu hohe Gerichtskostenrechnungen und zu hohe Erstattungsansprüche der Gegenseite entstanden war.

Das AG Hamburg (Urt. v. 6.10.1999 – 21a C 288/99, zfs 2000, 360 = BRAGOreport 2001, 145) wiederum hat einem Anwalt dessen Vergütungsansprüche gekürzt, weil er in einem rechtsschutzversicherten Mandat eine fehlerhafte Streitwertfestsetzung hat rechtskräftig werden lassen. Das Gericht hat es als Verletzung der anwaltlichen Pflichten angesehen, keine Herabsetzungsbeschwerde einzulegen bzw. den Mandanten darüber nicht beraten zu haben. Diesen hatte der Anwalt damit zu einer Obliegenheitsverletzung verleitet, sodass der Rechtsschutzversicherer zu Recht die Kostenübernahme teilweise abgelehnt hat. Dies führte dazu, dass der Anwalt insoweit auch seine Ansprüche gegen den Mandanten verloren hatte.

Einen völlig neuen Ansatz findet man in der Entscheidung des LG Frankenthal (S. 16 in diesem Heft). Dort hatte ein Anwalt Beschwerde auf Heraufsetzung des Streitwerts erhoben, da er der Auffassung war, der festgesetzte Streitwert sei falsch. Das Gericht hat der Beschwerde stattgegeben und den Streitwert erheblich angehoben, sodass sich für den Anwalt ein um ca. 100.000,00 EUR höherer Vergütungsanspruch ergab als nach dem zunächst festgesetzten Wert. Der Mandant hat darauf eingewandt, der Anwalt habe gegen seine anwaltlichen Pflichten verstoßen, weil er ohne Rücksprache mit ihm eine Erhöhungsbeschwerde eingelegt hat.

Das LG Frankenthal weist zu Recht darauf hin, dass es das eigene – in § 32 Abs. 2 RVG verbriefte – Recht eines Anwalts ist, gegen eine unzutreffende Wertfestsetzung Beschwerde einzulegen, da er nach § 32 Abs. 1 RVG an die Wertfestsetzung des Gerichts gebunden ist.

Bemerkenswert sind aber die weiteren Ausführungen des LG Frankenthal, nämlich dass der Anwalt nicht nur berechtigt ist, Streitwertbeschwerde einzulegen, sondern auch dazu verpflichtet.

Ein Rechtsanwalt dürfe nämlich nicht sehenden Auges nach einem zu niedrigen Streitwert abrechnen. Gem. § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO ist es einem Anwalt verboten, in einem gerichtlichen Verfahren eine geringere als die gesetzliche Vergütung zu vereinbaren. In diesem Zusammenhang ist es nicht nur verboten, geringere Gebühren zu fordern, sondern auch, die Gebühren nach einem zu geringen Wert abzurechnen, was im Ergebnis auf dasselbe hinausläuft.

Nähme ein Anwalt aber eine offensichtlich fehlerhaft zu niedrige Wertfestsetzung hin, dann verstoße er faktisch gegen diese berufsrechtliche Vorgabe, weil er dann über § 32 Abs. 1 RVG auch nur nach diesem niedrigeren Wert abrechnen kann. In dem pflichtwidrigen Unterlassen einer Streitwertbeschwerde sieht das LG Frankenthal faktisch eine Einigung auf einen geringeren Gegenstandswert bzw. eine Umgehung des § 49b Abs. 1 S. BRAO.

Ob man wirklich so weit gehen kann, einen Verstoß gegen § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO anzunehmen, wenn ein Anwalt wissentlich eine fehlerhafte zu niedrige Wertfestsetzung hinnimmt, mag dahinstehen.

Das LG Frankenthal stellt jedoch zutreffend klar heraus, dass es ein eigenes Recht des Anwalts ist, Beschwerde gegen unzutreffende Wertfestsetzungen im eigenen Namen einzulegen, und dass er sich hier weder mit dem Mandanten noch mit dessen Rechtsschutzversicherer abstimmen muss.

Die häufig anzutreffende Scheu der Anwaltschaft, Streitwertbeschwerden "zum Nachteil" des Mandanten einzulegen, ist unangebracht. Im Gegenteil ist der Anwalt gehalten, richtig abzurechnen. Dazu gehört es eben auch, Streitwertbeschwerden einzulegen, mag dies dem Mandanten passen oder auch nicht. Mandanten haben ja auch keine Scheu, sich – zu Recht – gegen zu hohe Wertfestsetzungen zur Wehr zu setzen.

Autor: Norbert Schneider

Norbert Schneider

AGS 1/2015, S. II

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