Über den sinngemäßen Antrag der Beklagten, einen niedrigeren Gegenstandswert nach § 30 Abs. 2 RVG festzusetzen, hat gem. § 33 Abs. 8 S. 2 und 3 RVG das Gericht ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter zu entscheiden.

Der Einzelrichter hat das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache auf die Kammer übertragen.

Nach Auffassung der Kammer ist grds. der Einzelrichter für die Entscheidung gesetzlich bestimmt. Die offenbar gegenteilige Auffassung des VGH Baden-Württemberg (vgl. Beschl. v. 17.9.2010 – 4 S 2070/10, juris), auf die das OVG Berlin-Brandenburg in seinem Beschl. v. 26.10.2017 (OVG 6 K 74.17, juris [= AGS 2017, 579]) Bezug nimmt, überzeugt dagegen nicht. Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik des § 33 Abs. 8 RVG sprechen dafür, dass der Gesetzgeber eine Entscheidung über die Festsetzung des Gegenstandswertes durch die Kammer nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 33 Abs. 8 S. 2 RVG wollte, i.Ü. aber aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung die Entscheidung durch den Einzelrichter bereits kraft Gesetzes getroffen werden sollte. Die Regelung entspricht insoweit fast wortgleich derjenigen des § 76 Abs. 4 Asylgesetz (AsylG). Daher geht die Kammer davon aus, dass der jeweilige Berichterstatter auch im Fall des § 33 Abs. 8 RVG bereits gesetzlich bestimmter Einzelrichter ist und die Sache daher auf die Kammer übertragen kann.

Der Antrag der Beklagten hat keinen Erfolg.

Nach § 30 Abs. 2 RVG kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Wert festsetzen, wenn der nach Abs. 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig ist. Die Entscheidung ist in das Ermessen des Gerichts gestellt und setzt eine atypische Sachlage voraus, an der es vorliegend fehlt. Allein der Umstand, dass die Klage auf reine Bescheidung des Asylantrages im Wege der Untätigkeitsklage gerichtet ist, rechtfertigt eine Halbierung des gesetzlich bestimmten Gegenstandswertes nicht.

Soweit das BVerwG in dem von der Beklagten genannten Beschl. v. 11.7.2018 (BVerwG – 1 C 18.17, juris) die Auffassung vertritt, dass bei einer Klage, die sich auf eine reine Bescheidung ohne Sachprüfung des Asylantrages beschränkt, das begrenzte "Prüfprogramm" eine Halbierung des Gegenstandswertes rechtfertige, folgt die Kammer dieser Auffassung nicht. Die Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO erlaubt lediglich in prozessualer Hinsicht eine Klageerhebung ohne vorherige Sachentscheidung der Behörde, ohne dass es dabei auf den Inhalt des Klagebegehrens ankommt. Eine Klage auf bloße Bescheidung eines Antrages ist hingegen gesetzlich nach § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO möglich, wobei nur wegen der Besonderheiten des Asylverfahrens ausnahmsweise keine Verpflichtung des Gerichts besteht, die Sache spruchreif zu machen. Welche Rechtsauffassung des Gerichts einem Bescheidungsurteil beigelegt wird, entscheidet die Kammer in richterlicher Unabhängigkeit. Daher vermag auch die Auffassung, im Falle einer reinen Bescheidungsklage sei für Entscheidungsvorgaben des Gerichts kein Raum, nicht zu überzeugen.

Die Erhebung einer auf Bescheidung eines Asylantrages gerichteten Klage begründet daher als solche keine besonderen Umstände des Einzelfalls i.S.d. § 30 Abs. 2 RVG, die eine Halbierung des Gegenstandswertes aus Billigkeit rechtfertigen. Bei der als Bescheidungsklage erhobenen Untätigkeitsklage handelt es sich um eine bestimmte Typisierung einer Vielzahl gleichgelagerter Fallkonstellationen und nicht um einen Einzelfall. Wenn der Gesetzgeber eine Absenkung des Gegenstandswertes in diesen Fallkonstellationen gewollt hätte, hätte er dies in § 30 Abs. 2 RVG regeln können. Davon hat er aber abgesehen. Es ist weder ersichtlich, dass es sich um eine planwidrige Regelungslücke handelt, noch ist die Fallkonstellation gleichgelagert, um § 30 Abs. 2 RVG im Wege richterlicher Rechtsfortbildung analog für diese Konstellationen entsprechend anzuwenden, zumal es sich um eine eng auszulegende Ausnahmeregelung handelt.

Es liegen i.Ü. auch im vorliegenden Fall keine besonderen Umstände des Einzelfalls vor, die eine Halbierung des Gegenstandswertes rechtfertigten, zumal die Beklagte offenbar selbst nicht von einer einfach gelagerten Untätigkeitsklage ausgegangen ist. Sie hat mit Schriftsatz v. 13.10.2017 wortreich begründet, warum aus ihrer Sicht die Klage unzulässig sei bzw. welche Gründe die Verzögerung der Bescheidung des Asylantrages vom 25.11.2014 von knapp drei Jahren rechtfertigen sollten, mit denen sich der Kläger-Vertreter auseinander setzen musste. Der Aufwand des Kläger-Vertreters ist in solchen gerichtskostenfreien Verfahren auch nicht in einer Weise vermindert, die eine Halbierung des Gegenstandswertes billig erscheinen lässt. Vielmehr wäre es unbillig, die Untätigkeit der Beklagten mit der Halbierung des Gegenstandswertes zu honorieren.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache wird gem. § 33 Abs. 3 S. 2 RVG die Beschwerde zugelassen.

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