Das LG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat verweist, einen Gebührenanspruch des Beschwerdeführers für das Berufungsverfahren abgelehnt.

Die Frage, ob dem Verteidiger für seine Tätigkeit in der Berufungsinstanz eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 4124 VV zusteht, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor deren Begründung zurücknimmt, ist in Rspr. und Lit. umstritten.

a) In der Lit. wird recht einhellig die Meinung vertreten, auch im Falle einer späteren Rücknahme der Berufung durch die Staatsanwaltschaft reiche für das Entstehen der Gebühr nach Nrn. 4124, 4125 VV eine vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist entfaltete Tätigkeit des Verteidigers (vgl. Burhoff, RVG, 3. Aufl., Nr. 4124 VV Rn 24 ff; Burhoff, in: Gerold/Schmitt, RVG, 21. Aufl., Einl. zu Nrn. 4124, 4125 VV Rn 7 und Nrn. 4124, 4125 VV Rn 6; Uher, in: Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Matthias/Uher, RVG, 4. Aufl., Nrn. 4128–4135 VV Rn 93; Schneider, in: Schneider/Wolf, AnwK-RVG, 7. Aufl., Nrn. 4124–4125 VV Rn 7; Hartung, in: Hartung/Schons/Enders, RVG, 2. Aufl., Nr. 4124–4129 VV Rn 11; Hartmann, KostG, Nrn. 4124–4129 VV Rn 7; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 464a Rn 10 für den Regelfall; Gieg, in: Karlsruher Kommentar, 7. Aufl., § 464a Rn 10).

b) Der Senat hat die Frage bereits mehrfach für das Revisionsverfahren dahingehend entschieden, dass die Gebühr nach Nr. 4130 VV nicht anfällt, weil erst die Revisionsbegründung den Umfang und die Zielsetzung des Rechtsmittels aufzeigt, so dass erst in diesem Verfahrensstadium eine sinnvolle Verteidigung möglich ist (vgl. Senat v. 22.6.2015 – 2 Ws 361/15; Senat v. 5.6.2003 – 2 Ws 317/03, Rpfleger 2003, 685; Senat v. 4.6.2004 – 2 Ws 296/04 u. 206/04). Zum Berufungsverfahren besteht zwar insoweit ein Unterschied, als § 317 StPO eine Begründung der Berufung nicht zwingend vorschreibt. Nach Nr. 156 Abs. 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) muss die Staatsanwaltschaft aber jedes von ihr eingelegte Rechtsmittel begründen. Der Verteidiger kann deshalb davon ausgehen, dass – wenn keine Berufungsrücknahme erfolgt – die Berufung der Staatsanwaltschaft innerhalb der Frist des § 317 StPO begründet wird. Das Anfallen der Verfahrensgebühr für Berufung und Revision ist daher in der vorliegenden Konstellation nicht unterschiedlich zu beurteilen. Dementsprechend hält der Senat auch im Hinblick auf das Anfallen der Verhandlungsgebühr für das Berufungsverfahren an seiner Rspr. fest.

c) Diese Auffassung steht in Übereinstimmung mit dem weit überwiegenden Teil der Rspr. (KG JurBüro 2012, 471 (Berufung), KG JurBüro 2010, 599 (Revision); OLG Bremen NStZ-RR 2011, 391 (Revision); OLG Rostock JurBüro 2009, 541 (Revision); OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 351 (Revision); OLG Karlsruhe JurBüro 1996, 31 (Revision); OLG Koblenz Rpfleger 2006, 670 (Revision); OLG Düsseldorf MDR 1993, 582 (Revision) JurBüro 1981, 229 (Revision); OLG Oldenburg JurBüro 2002, 531 (Revision); OLG Düsseldorf MDR 1993, 582 (Revision); OLG Bamberg JurBüro 1988, 64; LG Bochum JurBüro 2007, 38 (Berufung); LG Koblenz JurBüro 2009, 198 (Berufung), LG Köln StraFo 2007, 305, a.A. OLG Stuttgart StV 1998, 615 (Revision).

d) Die dagegen vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen.

aa) Der Angeklagte mag ein Interesse daran haben, allgemeine Informationen über den Fortgang des Verfahrens zu erhalten. Gibt der Verteidiger einen kurzen Hinweis auf die Rechtslage und den weiteren Verfahrensgang, ist dies aber bereits mit den Gebühren für die Vorinstanz abgegolten. Das ist deswegen gerechtfertigt, weil der Verteidiger, der – wie hier – schon in der Vorinstanz tätig war, sich die notwendigen Kenntnisse bereits in diesem Rechtszug verschafft hat und sonst keinerlei Tätigkeit mehr für diesen Hinweis entfalten muss. Zudem gehört bei ihm gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG sogar die Einlegung der Berufung einschließlich der diesbezüglichen Beratung zum Rechtszug erster Instanz (Hartmann, a.a.O., Nrn. 4124–4129 VV Rn 5). Daraus ist zu schließen, dass bei einer Berufung der Staatsanwaltschaft die bloß informelle Beratung über den weiteren Verfahrensgang erst recht noch von der erstinstanzlichen Gebühr abgedeckt wird.

bb) Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers besagt § 17 Abs. 1 RVG, wonach das Verfahren über ein Rechtsmittel und der vorausgegangene Rechtszug verschiedene Angelegenheiten sind, nichts über die Vergütungsfrage, die in § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG für den Strafprozess gesondert geregelt ist.

cc) Eine über allgemein gehaltene Informationen hinausgehende Beratung ist vor Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist nicht notwendig, denn i.d.R. macht erst die Begründung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft dessen Umfang und Zielrichtung erkennbar und versetzt den Verteidiger in die Lage, den Mandanten sachgerecht zu beraten und die weitere Verteidigungsstrategie mit ihm zu besprechen. Zudem muss damit gerechnet werden, dass die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel nach Kenntnisnahme von den schriftlichen Urteilsgründen ...

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