§§ 55, 56 RVG; §§ 198 Abs. 6 Nr. 1, 201 Abs. 1 GVG; § 202 S. 2 SGG

Leitsatz

  1. Das Prozesskostenhilfevergütungsverfahren nach § 55 RVG und ein sich anschließendes Erinnerungsverfahren stellen ein Gerichtsverfahren i.S.d. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG dar.
  2. Für ein Vergütungsverfahren nach § 55 RVG steht dem Gericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von i.d.R. drei Monaten zu.
  3. Für ein sich anschließendes Erinnerungsverfahren steht dem Gericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von i.d.R. zwölf Monaten zu.
  4. Es kann eine Kompensation von Verzögerungszeiten durch eine zügige Bearbeitung in dem jeweils anderen Verfahrensabschnitt erfolgen.
  5. Weisen ein Vergütungsverfahren nach § 55 RVG und ein sich anschließendes Erinnerungsverfahren eine unangemessene Dauer auf, bedarf es in der Regel nicht der Kompensation durch Gewährung einer finanziellen Entschädigung. Es reicht vielmehr mit Blick auf die im Allgemeinen nur untergeordnete Bedeutung derartiger Verfahren und unter Berücksichtigung der von einer unangemessenen Verfahrensdauer für mit der Prozessführung vertraute Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege ausgehenden, vergleichsweise geringfügigen seelischen Belastung die Wiedergutmachung auf sonstige Weise aus.
  6. Hat der Beklagte im vorprozessualen Entschädigungsverfahren die Unangemessenheit der Verfahrensdauer anerkannt und hierüber sein Bedauern zum Ausdruck gebracht, ist der Anspruch auf Wiedergutmachung in sonstiger Weise als kleiner Entschädigungsanspruch erfüllt.

LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 17.2.2021 – L 37 SF 156/20 EK SF

I. Sachverhalt

Der Kläger begehrte vor dem LSG Berlin-Brandenburg eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem SG Berlin geführten Erinnerungsverfahrens, in dem es um die Absetzung der von ihm geltend gemachten PKH-Anwaltsvergütung ging. Der Kläger, der Rechtsanwalt ist, vertrat in dem vor dem SG Berlin gegen das Jobcenter Berlin-Pankow geführten Verfahren die Klägerin. Das SG hatte der Klägerin durch Beschl. v. 28.8.2017 Prozesskostenhilfe (PKH) mit Wirkung zum 7.7.2016 unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts bewilligt. Dieser Rechtsstreit endete im November 2017 durch angenommenes Anerkenntnis. Das Jobcenter erklärte sich bereit, die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zur Hälfte zu übernehmen. Der hiesige Kläger des Entschädigungsverfahrens beantragte am 6.12.2017 die Festsetzung der hälftigen erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin des Ausgangsverfahrens für das Widerspruchsverfahren i.H.v. 249,90 EUR gegen das Jobcenter gem. § 126 ZPO im eigenen Namen. Ferner beantragte er, die Kosten des Klageverfahrens im Rahmen der gewährten PKH wie folgt festzusetzen:

 
 
1. Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV 400,00 EUR
2. Einigungs- und Erledigungsgebühr, Nrn. 1005, 1006 VV 400,00 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 155,80 EUR
  Summe 975,80 EUR

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) erteilte dem Kläger am 11.12.2017 einen rechtlichen Hinweis und forderte das Jobcenter zur Stellungnahme zu dem Antrag binnen fünf Wochen auf. Mit Schreiben vom 12.12.2017 trat der Kläger der Rechtsauffassung der UdG entgegen. Sein Schriftsatz wurde wenige Tage später dem Jobcenter zugeleitet. Dieses wurde am 24.1.2018 an die angeforderte Stellungnahme erinnert, die daraufhin fünf Tage später einging. Das Jobcenter erhob keine Einwendungen gegen die für das Widerspruchsverfahren geltend gemachten Kosten, sah hingegen die für das Klageverfahren geltend gemachte Vergütung als nicht angemessen an. Das Jobcenter hielt eine Vergütung i.H.v. 172,55 EUR für zutreffend, wovon die Hälfte mit 86,28 EUR von ihm zu erstatten sei. Die UdG bat das Jobcenter unter dem 31.1.2018, die hälftigen Widerspruchskosten an den Kläger anzuweisen. Ferner wies sie darauf hin, dass die Kosten des Klageverfahrens vollständig gegenüber der Landeskasse geltend gemacht worden seien. Sie kündigte insoweit an, zu gegebener Zeit einen Forderungsübergang geltend zu machen. Am selben Tage leitete die UdG den Schriftsatz des Jobcenters sowie das vorgenannte gerichtliche Schreiben an den Kläger weiter.

Die UdG setzte durch Beschl. v. 21.2.2018 die aus der Landeskasse im Wege der PKH zu zahlende Vergütung des Rechtsanwalts auf 529,55 EUR fest, die sich wie folgt zusammensetzten:

 
 
1. Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV 300,00 EUR
  hierauf nach Vorbem. 2.3 Abs. 4 S. 1 VV anzurechnen, – 175,00 EUR
  Geschäftsgebühr, Nr. 2302 Nr. 1 VV  
  Rest: 125,00 EUR
2. Einigungs- und Erledigungsgebühr, Nrn. 1005, 1006 VV 300,00 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 84,55 EUR
  Summe 529,55 EUR

Gegen diesen ihm am 23.2.2018 zugestellten Beschluss legte der Kläger noch am selben Tage Erinnerung mit dem Ziel der Festsetzung der ursprünglich berechneten Vergütung i.H.v. 975,80 EUR ein. Das SG Berlin bestätigte dem Kläger am 14.3.2018 den Eingang seiner Erinnerung, übersandte den Schriftsatz dem Erinnerungsgegner zur Kenntnisnahme und verfristete den Vorgang um drei Monate. Auf einen Schriftsat...

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