Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Wartefrist. beendetes Ausgangsverfahren. Erinnerungsverfahren gegen eine PKH-Vergütungsfestsetzung. Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten. Kompensation durch schnelle Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten. Übertragung der nicht in Anspruch genommenen Vorbereitungs- und Bedenkzeit für das Vergütungsfestsetzungsverfahren in Höhe von 3 Monaten auf das Erinnerungsverfahren. keine Entschädigung für ungünstige oder qualitativ geringwertige Urteile. Kosteninteresse des Rechtsanwalts. keine Geldentschädigung. Wiedergutmachung auf andere Weise. kein Feststellungsausspruch bei vorprozessualer Anerkennung der Überlänge durch den Gerichtspräsidenten

 

Leitsatz (amtlich)

Das Prozesskostenhilfevergütungsverfahren nach § 55 RVG und ein sich anschließendes Erinnerungsverfahren stellen ein Gerichtsverfahren iSd § 198 Abs 6 Nr 1 GVG dar.

Für ein Vergütungsverfahren nach § 55 RVG steht dem Gericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von idR drei Monaten zu.

Für ein sich anschließendes Erinnerungsverfahren steht dem Gericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von idR zwölf Monaten zu.

Es kann eine Kompensation von Verzögerungszeiten durch eine zügige Bearbeitung in dem jeweils anderen Verfahrensabschnitt erfolgen.

Weisen ein Vergütungsverfahren nach § 55 RVG und ein sich anschließendes Erinnerungsverfahren eine unangemessene Dauer auf, bedarf es in der Regel nicht der Kompensation durch Gewährung einer finanziellen Entschädigung. Es reicht vielmehr mit Blick auf die im Allgemeinen nur untergeordnete Bedeutung derartiger Verfahren und unter Berücksichtigung der von einer unangemessenen Verfahrensdauer für mit der Prozessführung vertraute Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege ausgehenden, vergleichsweise geringfügigen seelischen Belastung die Wiedergutmachung auf sonstige Weise aus.

Hat der Beklagte im vorprozessualen Entschädigungsverfahren die Unangemessenheit der Verfahrensdauer anerkannt und hierüber sein Bedauern zum Ausdruck gebracht, ist der Anspruch auf Wiedergutmachung in sonstiger Weise als kleiner Entschädigungsanspruch erfüllt.

 

Orientierungssatz

1. Sinn und Zweck des Entschädigungsverfahrens ist es nicht, einen Ausgleich für das im eigentlichen Verfahren nicht Erlangte zu verschaffen oder eine richterliche Entscheidung möglicherweise nur geringer Qualität zu kompensieren.

2. Mit Blick auf den Sinn der Wartefrist, dem Gericht die Möglichkeit einzuräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch (weiteren) Schaden zu vermeiden, ist anerkannt, dass eine Klage ausnahmsweise vor Fristablauf erhoben werden kann, wenn nämlich das betroffene Verfahren schon vor Fristablauf beendet wurde (vgl BGH vom 21.5.2014 - III ZR 355/13 = NJW 2014, 2443 und BVerwG vom 26.2.2015 - 5 C 5/14 D = Buchholz 300 § 198 GVG Nr 4).

3. Teilweise Parallelentscheidung zum Urteil des LSG Berlin-Potsdam vom 17.2.2021 - L 37 SF 55/20 EK AS.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht B zum Aktenzeichen S 165 SF 203/18 E geführten Erinnerungsverfahrens.

Der Kläger, ein Rechtsanwalt, vertrat in dem vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 124 AS 8642/16 gegen das Jobcenter Berlin Pankow geführten Verfahren die Klägerin N S. Mit Beschluss vom 28. August 2017 bewilligte das Sozialgericht dieser Prozesskostenhilfe (PKH) mit Wirkung ab dem 07. Juli 2016 unter Beiordnung des hiesigen Klägers. Das Verfahren wurde im November 2017 durch angenommenes Anerkenntnis erledigt. Nachdem sich das Jobcenter sodann bereit erklärt hatte, die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zur Hälfte zu übernehmen, und diese das Kostengrundanerkenntnis angenommen hatte, beantragte der hiesige Kläger mit Schriftsatz vom 06. Dezember 2017 die Festsetzung der hälftigen erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Widerspruchsverfahren (249,90 €) gegen das Jobcenter - gestützt auf § 126 der Zivilprozessordnung (ZPO) - im eigenen Namen. Die Kosten des Klageverfahrens (975,80 €) begehrte er, im Rahmen der gewährten PKH festzusetzen. Seinem Vergütungsfestsetzungsantrag lagen u.a. eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) sowie eine Einigungs-/Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG in Höhe von jeweils 400,00 € zugrunde.

Unter dem 11. Dezember 2017 erteilte die Kostenbeamtin dem Kläger einen rechtlichen Hinweis und forderte das Jobcenter zur Stellungnahme zu dem Antrag innerhalb von fünf Wochen auf. Am 12. Dezember 2017 trat der Kläger der Rechtsauffassung der Kostenbeamtin entgegen. Sein Schriftsatz wurde wenige Tage später dem Jobcenter zugeleitet. Unter dem 24. Januar 2018 wurde dieses an die angeforderte Stellungnahme erinnert, die daraufhin fünf Tage später einging. Das Jobcenter erhob keine Einwände gegen die für das Widerspruc...

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