[Ohne Titel]

Bereits mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (2. KostRMoG) zum 1.8.2013 haben sich für sozialgerichtliche Verfahren umfangreiche Änderungen, auch in Bezug auf die Umstellung auf eine "echte" Anrechnungsregelung unter Abschaffung der ermäßigten Gebührentatbestände (Nrn. 2401, 3103 VV) ergeben. Hierfür ist – seinerzeit für sozialrechtliche Mandate – eine gänzlich neue Anrechnungsmethode bei einer Vorbefassung eingeführt worden (Vorbem. 2.3 Abs. 4 und Vorbem. 3 Abs. 4 VV). Dadurch war nun auch § 15a RVG anwendbar und zu beachten. Trotz der zwischenzeitlich siebenjährigen Gültigkeit der Anrechnungsregelungen gibt es in der Praxis häufig Fehlentscheidungen und Minder- oder Überanrechnungen hinsichtlich der Geschäftsgebühr. Insofern könnte man durchaus meinen, derartige Fragen seien ein "alter Hut". Insbesondere die Frage über die Anrechnung der tatsächlich erhaltenen oder entstandenen Geschäftsgebühr spaltetet aber bisweilen noch Teile der Rspr. Dies gibt Anlass, das Rechtsinstitut der gebührenrechtlichen Anrechnung näher zu erläutern.

I. Gesetzliche Grundlagen

1. Allgemeines

Das RVG sieht an vielen Stellen eine Anrechnung bestimmter Gebühren vor, um Tätigkeiten, welche bereits ein einem vorgelagerten Verfahrensabschnitt entfaltet und vergütet worden sind, nicht erneut zu honorieren. Durch die Vorbefassung sei die anwaltliche Tätigkeit in der nachfolgenden Angelegenheit verringert und weniger arbeitsintensiv.

Es findet also zur Vermeidung einer Doppelabgeltung bestimmter Tätigkeiten eine Begrenzung des Gesamtgebührenaufkommens statt.

So auch in sozialrechtlichen Angelegenheiten bei Betragsrahmengebühren nach §§ 3 Abs. 1 S. 1, 14 Abs. 1 RVG in den Vorbemerkungen 2.3 Abs. 4 und 3 Abs. 4 VV.

Zur Ergebnisvermeidung einer regelwidrigen und verbotenen Doppelberücksichtigung der Anrechnung normiert nun § 14 Abs. 2 RVG, dass die Gebühr im nachfolgenden Verfahrensabschnitt, auf die angerechnet wird, so zu bestimmten ist, als sei der Rechtsanwalt[1] zuvor nicht tätig gewesen. Die Vorbefassung soll alleine durch die vorgeschriebene Anrechnung berücksichtigt werden.

Durch die Aufnahme dieser Regelung aus den Vorbemerkungen in den Paragraphenteil des RVG soll klargestellt werden, dass dies für jedes Bemessungskriterium gilt und darüber hinaus eine Angleichung an die Regelungen für Wertgebühren erfolgt.

Allgemein anerkannt ist das Wahlrecht des Rechtsanwalts (auch sog. Entscheidungsvorrecht) dahingehend, welche Gebühr er in voller Höhe und welche Gebühr er in verminderter Höhe unter Berücksichtigung der Anrechnung von seinem Auftraggeber, dem zur Erstattung verpflichteten Dritten oder der Landeskasse, einfordert.

Anzurechnen sind nur gesetzliche Gebühren, eine vereinbarte Vergütung nach § 3a RVG ist bei fehlender Vereinbarung über eine Anrechnung nicht anzurechnen.

Weiterhin hat keine Anrechnung zu erfolgen, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt ist, vgl. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG.

[1] Die enthaltenen Angaben beziehen sich sowohl auf die weibliche, männliche als auch die neutrale Form. Zur besseren Lesbarkeit wurde auf die zusätzliche Bezeichnung verzichtet.

2. Anrechnung im Verwaltungsverfahren

Soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr Nr. 2302 VV im Verwaltungsverfahren (Antragsverfahren) entsteht, ist diese entsprechend Vorbem. 2.3 Abs. 4 VV zur Hälfte auf die weitere Geschäftsgebühr im nachfolgenden Verwaltungsverfahren (Widerspruchs-/Vorverfahren) anzurechnen. Die Anrechnung ist in der nachfolgenden Angelegenheit durchzuführen.

 

Beispiel

Der Rechtsanwalt vertrat seine Mandantin im Antragsverfahren vor der Verwaltungsbehörde und sodann im nachfolgenden Widerspruchsverfahren nach Ablehnung der beantragten Leistung.

Ausgehend von der Schwellengebühr hat die Anrechnung grds. wie folgt zu erfolgen:

 
I. Verwaltungsverfahren I (Antragsverfahren)  
Geschäftsgebühr, Nr. 2302 VV 359,00 EUR
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 72,01 EUR
Gesamt 451,01 EUR
II. Verwaltungsverfahren II (Widerspruchs-/Vorverfahren)  
Geschäftsgebühr, Nr. 2302 VV 359,00 EUR
Anrechnung gem. Vorbem. 2.3 Abs. 4 VV – 179,50 EUR
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 37,91 EUR
Gesamt 237,41 EUR

3. Anrechnung im gerichtlichen Verfahren

Soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr Nr. 2302 VV im Verwaltungsverfahren (Widerspruchs-/Vorverfahren) entsteht, ist diese entsprechend Vorbem. 3 Abs. 4 VV zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens anzurechnen.

 

Beispiel

Der Rechtsanwalt vertrat seinen Mandanten im Widerspruchsverfahren vor der Verwaltungsbehörde und anschließend im streitigen Verfahren nach Erlass des Widerspruchsbescheides.

Ausgehend von der Schwellen- bzw. Mittelgebühr hat die Anrechnung grds. wie folgt zu erfolgen:

 
I. Verwaltungsverfahren (Widerspruchs-/Vorverfahren)  
Geschäftsgebühr, Nr. 2302 VV 359,00 EUR
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 72,01 EUR
Gesamt 451,01 EUR
II. Streitiges Verfahren  
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV 360,00 EUR
Anrechnung gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV – 179,50 E...

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