Auch wenn vorliegend kein Fall gegeben ist, dass im Kostenfestsetzungsverfahren die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr nach § 15a Abs. 2 RVG auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist, muss bei der Berechnung der Obergrenze nach § 15 Abs. 3 RVG die Anrechnung der Geschäftsgebühr berücksichtigt werden. Andernfalls ergäbe sich u.a. in den Fällen, in denen eine Gebühr nach Nr. 3101 VV anfällt, das nicht begründbare Ergebnis, dass unterschiedliche Gebühren erstattet würden in Abhängigkeit davon, ob die vorgerichtliche Geschäftsgebühr in voller Höhe mit eingeklagt wird und auch tituliert wird oder wie hier nur die halbe vorgerichtliche Geschäftsgebühr eingeklagt und tituliert wird. Das zeigt nachfolgende Berechnung:

 
Praxis-Beispiel

Gebührenberechnung bei Mehrvergleich ohne Anrechnung

 
Gebührenart Wert Satz Gebühr
Verfahren 60.832,00 EUR 1,3 1.459,90 EUR
Nr. 3101 13.708,80 EUR 0,8 452,80 EUR
ergibt     1.912,70 EUR
Obergrenze § 15 Abs. 3 RVG 1.560,00 EUR    
Nr. 3101 gekürzt auf   100,10 EUR

Erstattung somit

 
vorgerichtlich 749,95 EUR
KFB 1.560,00 EUR
ergibt 2.309,95 EUR

alternativ bei voller Einklagung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr.

 
Verfahren 60.832 EUR 1,3 1.459,90 EUR
Anrechnung vorgerichtliche Geschäftsgebühr     729,95 EUR

Verf.-Geb. somit 729,95 EUR.

 
Nr. 3101 13.708,80 0,8 452,80 EUR
ergibt     1.182,75 EUR
Obergrenze § 15 Abs. 3 RVG     1.560,00 EUR
Nr. 3101 ungekürzt auf   452,80 EUR
Erstattung somit vorgerichtlich   1.479,90 EUR
KFB     1.182,75 EUR
ergibt     2.662,65 EUR
Unterschied 352,70 EUR

Die Rechtspflegerin differenziert vorliegend nicht ausreichend zwischen der Berechnung der Kappungsgrenze nach § 15 Abs. 3 RVG, die im Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten zu erfolgen hat, und der Anrechnung nach § 15a Abs. 2 RVG im Verhältnis zum Dritten, hier dem zur Kostentragung verpflichteten Prozessgegner.

In der Gesetzesbegründung zum § 15a RVG (BT-Drucks 16/12 717 vom 22.4.2009, S. 67 f.) ist ausgeführt, dass aufgrund der Entscheidung des BGH und der dort vorgenommenen Anrechnung diese zu unbefriedigenden Ergebnissen geführt habe, weil es den Auftraggeber benachteiligt habe. Das zeige sich in einer Reihe von Konstellationen, die für die Tätigkeit der Rechtsanwälte und die gerichtliche Praxis von überragender Bedeutung seien. Insbesondere erhalte die obsiegende Prozesspartei eine geringere Erstattung ihrer Kosten, wenn sie ihrem Rechtsanwalt vor dem Prozessauftrag in derselben Sache bereits einen Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung erteilt habe. Ziel des Gesetzesvorschlags sei es, den mit den Anrechnungsvorschriften verfolgten Gesetzeszweck zu wahren, zugleich aber unerwünschte Auswirkungen der Anrechnung zum Nachteil des Auftraggebers zu vermeiden. Die Vorschriftregel in Abs. 1, welche Wirkung der Anrechnung im Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem Schuldner der Gebühren zukomme. In Abs. 2 lege sich fest, und welchem Umfang sich die Anrechnung gegenüber Dritten auswirke.

Zur Neuregelung des § 15a Abs. 2 RVG heißt es im Gesetzesvorschlag (Bundestagsdrucksache a.a.O.): "Absatz 2 betrifft die Wirkung der Anrechnung im Verhältnis zu Dritten, die nicht am Mandatsverhältnis beteiligt sind, sondern etwa für entstandene Gebühren Schadensersatz zu leisten oder sie nach prozessrechtlichen Vorschriften zu erstatten haben. Da die Anrechnung dem Bestand der einzelnen Gebührenansprüche bereits im Innenverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem Auftraggeber unberührt lässt, wirkt sie sich insoweit im Verhältnis zu Dritten nicht aus. In der Kostenfestsetzung muss also etwa eine Verfahrensgebühr auch dann in voller Höhe festgesetzt werden, wenn eine Geschäftsgebühr entstanden ist, die auf sie angerechnet wird. Sichergestellt werden soll jedoch, dass ein Dritter nicht über den Betrag hinaus auf Ersatz oder Erstattung in Anspruch genommen wird, den der Rechtsanwalt von seinem Auftraggeber verlangen kann. Insbesondere ist zu verhindern, dass insgesamt mehr als dieser Betrag gegen den Dritten tituliert wird. Das leistet die hier vorgeschlagene Vorschrift: Danach kann sich auch ein Dritter auf die Anrechnung berufen, wenn beide Gebühren im gleichen Verfahren – etwa in der Kostenfestsetzung – gegen ihn geltend gemacht werden. In gleicher Weise ist die Anrechnung zu berücksichtigen, wenn und soweit der Anspruch auf eine der Gebühren bereits gegen den Dritten tituliert ist oder von ihm selbst bereits beglichen worden ist".

Daraus ergibt sich, dass die Berechnung der Kappung nach § 15 Abs. 3 RVG unabhängig von der Frage zu erfolgen hat, ob eine Anrechnung entsprechend § 15a Abs. 2 RVG im Kostenfestsetzungsverfahren vorzunehmen ist. Die Anrechnung der Geschäftsgebühr hat unabhängig davon zu erfolgen, ob die vorgerichtliche Geschäftsgebühr im Prozess voll, nur zur Hälfte oder überhaupt nicht mit eingeklagt worden ist. Sonst würden entgegen dem ausdrücklichen Gesetzeszweck unerwünschte Auswirkungen der Anrechnung zum Nachteil des Auftraggebers nicht vermieden.

Auf die Beschwerde des Klägers w...

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